17. Februar 2007

Randbemerkung: Rauche, staune - aus die Laune

Wenn dasselbe Verbot, je nach Umständen und Umfeld, mal mit dem einen, mal mit einem anderen Argument begründet wird, dann empfiehlt es sich, hellhörig zu werden. Der Verdacht liegt nahe, daß es den VerbieterInnen gar nicht um die angegebenen Gründe geht, sondern um's Verbieten selbst.

So ist es bei einem Thema, über das ich kürzlich etwas geschrieben habe, das Verbot der Holocaust- Leugnung. In Deutschland ist das verboten, weil es eine Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener ist (inzwischen ist ein weiterer Paragraph hinzugetreten). In Frankreich, weil es etwas leugnet, was ein Internationales Gericht festgestellt hat. In Österreich, weil es gegen das Wiederbetätigungsverbot verstößt, das dort für Nazis gilt. In Kanada, weil es ein Haßdelikt ist. Und so fort.

Ein anderes Beispiel (ich vergleiche, ich setze nicht gleich, was hier besonders absurd wäre) ist das Rauchverbot. Ursprünglich sollte es dem Schutz von Nichtrauchern vor Passivrauchen dienen. Dann wurde auch ein Rauchverbot in Zügen gefordert - wo die Raucher ja gerade in den Raucherwagen, den Raucherabteilen unter sich sind.

Und nun also die Autos. Generell soll das Rauchen in Autos verboten werden, verlangt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD); so meldet es zum Beispiel die Tagesschau. "Zwar würde dies einen Eingriff in die Privatsphäre des Einzelnen bedeuten: 'Aber wir müssen uns ernsthaft fragen, ob Verkehrssicherheit und Gesundheitsschutz nicht höher zu bewerten sind.'"

Die Verkehrssicherheit soll jetzt also als Begründung herhalten. Weil ja ein Fahrer damit überfordert ist, das Auto zu lenken und sich dabei eine Zigarette anzuzünden.

Das allerdings würde es den Mitfahrern immer noch nicht verbieten, das Rauchen. Also verweist Bätzing auf eventuell mitfahrende Säuglinge.



Der Gedanke, daß Eltern selbst darüber entscheiden können, ob sie in Gegenwart eines mitfahrenden Säuglings rauchen; der Gedanke, daß wir freien Bürger überhaupt entscheiden können, was wir unserer Gesundheit zumuten und was nicht - dieser Gedanke ist ihr vermutlich ganz und gar fremd, der Sabine Bätzing. Was gut für uns ist, das weiß - denkt sie vermutlich - allein der fürsorgliche Staat, der sich um uns kümmert. Der uns vor uns selbst schützt.

Auf ihrer WebSite verrät sie uns ihr "persönliches Motto", die Frau Bätzing: "Lache und die Welt lacht mit dir, alles andere ist viel zu anstrengend".

Nein, mit dieser Frau vermag ich nicht zu lachen. Und im Grunde auch nicht über sie. Dazu sind diejenigen, die wie sie denken, in unserem Land zu mächtig geworden.

Über das Vergleichen von Äpfeln mit Birnen. Und etwas über zwei herausragende Deutsche

"Das kann man nicht vergleichen" ist ein Argument, das ich immer wieder höre und lese. Ich wundere mich darüber. Sie kommt mir oft geradezu abwegig vor, diese Behauptung: "Das kann man nicht vergleichen".

Was gäbe es denn schon, das man nicht vergleichen könnte?

Ein tertium comparationis existiert fast immer - also eine Dimension, ein gemeinsames Merkmal, vor dem als Hintergrund (als "Folie") man Unterschiede sichtbar machen kann. Man kann Mörder mit rechtschaffenen Menschen vergleichen, George W. Bush mit Adolf Hitler, einen Sonnenuntergang mit einem Alfa Romeo.

Oder, sagen wir, die Schrift von Aristoteles über die Seele mit den Pappeln, die vor einigen Tagen vor unserem Haus gefällt wurden.

Es ist mal leicht, mal schwer, solche Vergleiche anzustellen. Es ist manchmal vielleicht eine intellektuelle Herausforderung. Aber gehen tut's eigentlich immer. Aristoteles zum Beispiel hat seinen Begriff der Psyché, der Seele, keineswegs allein auf den Menschen bezogen, sondern auch die belebte Natur eingeschlossen. Für ihn war es durchaus so etwas wie ein Töten, wenn man einen Baum fällt.

Naja, das ist mir jetzt so eingefallen. Etwas weit hergeholt, das räume ich ein. Distante Vergleiche verlangen es halt, weit herzuholen. Aber das, was ich damit illustrieren will, liegt, scheint mir, auf der Hand:

Vergleichen ist ein sozusagen unschuldiges Unterfangen; allenfalls eines, das an die Kreativität, an laterales Denken appelliert. Die Behauptung "Das kann man nicht vergleichen" ist fast immer falsch. Man kann.

Und das läßt sich beweisen, indem man eben den betreffenden Vergleich anstellt.



Nun sagen, nun schreiben das allerdings oft intelligente und seriöse Leute, daß man Dies und Jenes nicht vergleichen könne.

Wieso vertreten sie eine so offensichtlich falsche Behauptung? Ich vermute, weil sie gar nicht "vergleichen" meinen, sondern "gleichsetzen"; und weil sie nicht vom Können reden, sondern vom Dürfen.

Sie sagen, man "könne" nicht "vergleichen". Sie meinen aber, man "dürfe" nicht "gleichsetzen".



Nun, dürfen tut man schon, in einer freien Gesellschaft, auch das Gleichsetzen darf man.

Nur kann man sich damit natürlich blamieren. Wer Äpfel für Birnen hält, der ist ein Dummkopf. Wer - um nun zum Politischen zu kommen - den Holocaust mit dem Gulag gleichsetzt, der ist ein schon fast unglaublicher Dummkopf. Denn es liegt doch auf der Hand, daß es dazwischen zahlreiche, fast könnte man sagen: zahllose gravierende Unterschiede gibt.

Aber natürlich auch Gemeinsamkeiten. Um es nochmal zu sagen: Unterschiede lassen sich überhaupt nur auf der Folie von Gemeinsamkeit bestimmen. Wo es kein tertium comparationis gibt, da gibt es auch keine comparatio. Kein Unterschied ohne Gemeinsamkeit.




Für diese - zugegebenermaßen etwas abstrakten - Überlegungen habe ich zwei konkrete Anlässe.

Erstens: Als ich kürzlich auf die Menschenrechtsverletzungen im Gefängnis von Guantánamo hingewiesen habe, allerdings in dem cubanischen Combinado de Guantánamo und nicht im amerikanischen Guantánamo Bay, da haben einige Kommentatoren das Bedenken geäußert, ich würde damit die US- Menschenrechtsverletzungen verharmlosen. Man dürfe da nicht vergleichen, so klang es.



Zweitens - und jetzt bitte ich den geneigten Leser in der Tat um die Bereitschaft, nicht nur Äpfel mit Birnen, sondern gefällte Pappeln mit den Schriften des Aristoteles zu vergleichen - : Der unmittelbare Anlaß für diesen Beitrag war ein Gedanke, der mir heute durch den Kopf ging:

Wie schön, daß es in Deutschland wieder eine intellektuelle Elite gibt; genauer: Eine, die endlich wieder anerkannt wird. Wie schön, daß die Hochbegabten, die Ausnahme- Intelligenten, diejenigen mit einem IQ jenseits der 135 oder 140, endlich wieder Bewunderung finden, statt daß die Egalitären sich über sie hermachen, sie heruntermachen, sie vielleicht fertigmachen.

So wurde dem großen Marcel Reich-Ranicki die verdiente Anerkennung zuteil, die Ehrendoktorwürde der Humboldt- Universität verliehen zu bekommen. In der FAZ hat dazu Frank Schirrmacher einen sehr schönen Kommentar geschrieben.

Marcel Reich-Ranicki wurde diese Ehrendoktorwürde verliehen - einem dieser großen jüdischen Intellektuellen, die das deutsche Geistesleben so ungeheuer bereichert haben. Zuerst, im Achtzehnten Jahrhundert, im liberalen, rechtsstaatlichen Preußen und Hamburg, wo Salomon Maimon, der Freund des ebenfalls sehr großen Karl Philipp Moritz, unbehelligt von Antisemiten wirken konnte, und Moses Mendelssohn.

Mit diesen Großen begann es. Das deutsche Geistesleben des Neunzehnten, des Zwanzigsten Jahrhunderts ist ohne den Beitrag jüdischer Professoren, Journalisten, Autoren überhaupt nicht zu denken. Wie Frank Schirrmacher sehr treffend schreibt:
Marcel Reich- Ranicki ist die letzte Erscheinungsform jener literarisch- kosmopolitischen Intelligenz, die die Weimarer Republik prägte. Er lässt uns ahnen, was hätte sein können, wenn sie geblieben wären und nicht ermordet oder in Tod und Exil getrieben worden wären: Menschen wie Walter Benjamin und Joseph Roth, Schönberg und Einstein, Wassermann und Kerr.


Und nun also die Birnen zu den Äpfeln: Der aktuelle, der unmittelbare Anlaß für diesen Beitrag ist - Günter Jauchs "Wer wird Millionär?". Ja.

Da war am Montag ein junger Mensch aufgetreten, ein gewisser Felix Rautenberg, 19. Gestern, am Freitag, noch mal.

Ein junger Mensch, wie man sie im Umfeld der Pariser Grandes Écoles vielfach antrifft, wie man sie in Oxford und Cambridge, am MIT und in Harvard, am israelischen Technion oft findet: Blitzgescheit, dabei unprätentiös. Eine Mischung aus Selbstsicherheit und einem leichten Anflug von Arroganz, wie das eben die Hochbegabung mit sich bringt.

Einer, der jede Frage rational analysierte, seine Chancen kühl abwog, der mit Harry- Potter- Miene sich klüger benahm als die meisten Älteren.

Als es gestern um 500 000 Euro ging, bei der Frage, welcher Verein der Fußball- Bundesliga die meisten Niederlagen kassiert hatte, da erkannte er sofort, welche Parameter da zu bedenken sind:

Wieviele Spielzeiten lang war der Verein in der Bundesliga? Wo stand er jeweils im Durchschnitt? Wenn er sehr schlecht war, dann wird er zwar viele Niederlagen eingesteckt haben, aber auch oft abgestiegen sein. Die meisten Niederlagen wird derjenige Verein gehabt haben, der zwar immer wieder in der Ersten Liga blieb, aber oft nur knapp.

Am Ende dieser Erwägungen erkannte Felix Rautenberg kühl, daß sich das Problem nicht durch rationale Analyse hinreichend sicher lösen ließ. Also hörte er auf, der Felix Rautenberg.



Menschen wie ihn braucht unser Land. Menschen wie Marcel Reich-Ranicki. Und vor allem brauchen wir endlich ein gesellschaftliches Klima, in dem auf die Außerordentlichen, die Herausragenden, nicht sofort Neid und Häme einprasseln.

Wir brauchen also Eliteschulen, Eliteuniversitäten. Wir brauchen endlich wieder eine gesellschaftliche Oberschicht, die sich ihrer Exzellenz, aber auch damit ihrer Verantwortung bewußt ist.

Es muß endlich aufhören damit, daß in Deutschland - was ja gut und richtig ist - die Schwachen gefördert, aber die Intelligenten, die Leistungsfähigen, die Reich- Ranickis und Rautenbergs scheel angesehen, oft benachteiligt werden.

Reich-Ranicki hat das ja nicht nur zur Nazi-Zeit erlebt. Auch noch in und von der Redaktion der liberalen Zeit wurde er so behandelt, wie das einem so außerordentlichen Geist nicht zugekommen wäre. Er hat sich über diese Jahre oft bitter geäußert.

Nun erlebt er noch die verdienten Ehrungen. Und wer weiß, vielleicht hat er ja den jungen Felix Rautenberg im TV gesehen und sich an dessen Intelligenz erfreut.

15. Februar 2007

Marginalie: Ist es strafbar, etwas zu leugnen? Eine Anmerkung zum First Amendment

"Pol Pot hat keine Menschen ermorden lassen. Die Antikommunisten haben das nur deshalb behauptet, weil sie den Kommunismus verunglimpfen wollten." "Stalin hat keine Menschen ermorden lassen". "Es hat keinen Genozid an Armeniern gegeben".

Was hat jemand zu befürchten, der in Deutschland solche Absurditäten behauptet? Ungläubigkeit, Unverständnis. Er wird als der Spinner, als der Fanatiker behandelt werden, der er ist.

Er redet Unfug. Nur ist es ja kein Verbrechen, Unfug zu reden.

Wenn jemand aber behauptet "Die Nazis haben keine Juden ermordet", dann trifft ihn nicht nur die berechtigte allgemeine Ablehnung, die ein solcher Dummkopf verdient hat, ein solcher Mensch, der keine Sensibilität gegenüber Opfern kennt.

Sondern dann wird er zu Gefängnis verurteilt. Wie gestern Ernst Zündel



Als ich als Schüler viel Philosophie gelesen, mich für die Aufklärung begeistert habe, da war mir kaum ein Satz wichtiger als der Voltaire zugeschriebene: "Ich bin überhaupt nicht deiner Meinung, aber ich werde dein Recht verteidigen, es zu sagen."

Friedrichs II "Gazetten sollen nicht genieret werden" war für mich die praktische politische Anwendung. Dann, als ich mehr gelesen hatte, das First Amendment der amerikanischen Verfassung.



Es ist meines Erachtens ein Skandal, daß im Deutschland des 21. Jahrhunderts jemand dafür verurteilt wird, daß er etwas geleugnet hat.

Es ist ein Schandfleck auf unserer Rechtskultur. Durch nichts zu entschuldigen. Ein Stück totalitären Denkens in einem liberalen Rechtsstaat.

P.S.: Von Zustimmung durch Antisemiten bitte ich abzusehen.

Ein Diktator für den Irak? Nebst Anmerkungen zu politischen Grundfragen

Vor ein paar Tagen gab es in der BBC eine jener Diskussionssendungen, wie man sie in dieser Mischung aus Schärfe und Fairness wohl nur in dem Land findet, in dem Discussion Clubs zu jeder Uni gehören. Und je besser die Uni, umso unbarmherziger wird argumentiert. Meist auch umso fairer, wenngleich auch schon einmal ein Schürhaken die Diskussion bereichern kann, wenn allzu viele Genies beteiligt sind. Und wenn es schon etwas mehr ist als ein Discussion Club.

In der betreffenden Sendung wurde die These diskutiert, daß der Irak einen Dikator brauche. Spannend war die Diskussion eigentlich nicht, denn die Argumente, die pros and cons, lagen auf der Hand:

Pro: Gegen brutale, mit allen Mitteln kämpfende Terrroristen kann man nicht allein mit den Mitteln eines demokratischen Rechtsstaats gewinnen. Counterinsurgency ist immer, wenn sie erfolgreich sein soll, ein schmutziges Geschäft. Im Irak kann diese Härte, diesen erbarmungslosen Kampf gegen die Erbarmungslosen, nur ein Diktator hinbekommen.

Pro: Der Irak hat, wie die ganze arabische Welt, keine demokratische Tradition. Die meisten dort wollen im Grunde den Kalifen, den Sultan, den Scheich - jedenfalls denjenigen, der sagt, wo es langgeht.

Con: Wozu den Irak von Saddam befreien, wenn man ihn nun einem anderen Diktator ausliefert?

Das war's im Grunde, das Argument contra Diktator.

Ein nun allerdings sehr starkes Argument.



Spricht nicht doch oft vieles für den Starken Mann? Für das autoritäre System? Diese Frage, diese oft in Frageform gekleidete Behauptung, finde ich in letzter Zeit immer häufiger.

Und wieder mal ist wie so oft: Linke und Rechtsextreme sind einer Meinung. So argumentieren sie, so reden sie dahin, so reden sie daher:
  • Castro? Ja gewiß, in Cuba werden die Menschenrechte nicht unbedingt beachtet. Aber wenn man es im Vergleich mit anderen Staaten Lateinamerikas sieht ... wenig Analphabeten ... so viele Mediziner, daß die sogar exportiert werden können ... Das ist doch alles positiv. (Anmerkung: Nur Autobahnen hat er bisher nicht gebaut, der Máximo Leader, heute meist bescheiden El Comandante genannt. Was freilich beides "der Führer" heißt). Nun ja. Führer ist ja nichts Schlechtes, oder? Sogar eine Fußballmannschaft braucht einen Spielführer, nicht wahr?

  • Rußland? Zugegeben, "lupenreiner Demokrat" war vielleicht ein wenig übertrieben. Aber vor Putins Präsidentschaft herrschte doch, nicht wahr, in Rußland ein ziemliches Chaos. Da regierten doch diese Juden, die Plutokraten. Nein, "Plutokraten" hießen sie ja bei den Nazis. Also: diese jüdischen Oligarchen, das ist das Wort. Mit ihren undurchsichtigen Verbindungen zu Israel, zur "Ostküste" der USA, Sie wissen schon. Und Putin, das ist, nicht wahr, ein Patriot, ein wirklicher Russe. Der wehrt sich gegen die Herrschaft dieses internationalen Kapitals.

  • China? Ja, da werden die Menschenrechte freilich auch nicht beachtet. Aber wer würde denn wünschen, daß dieses Riesenreich im Chaos versinkt?

  • Venezuela? Ja, sicher, Chávez bereitet ein Ermächtigungsgesetz vor. Aber wie sonst soll er sich denn gegen die übermächtigen USA behaupten? Und war das denn bisher in Venezuela eine Demokratie? Nur weil es freie Wahlen gab? Ja, herrschten denn da nicht die Reichen, die Kollaborateure der USA?


  • Und so fort. Bei keinem dieser Argumente kann man auf Anhieb erkennen, ob es ein linkes oder ein rechtsextremes ist.




    Für eine Diktatur, für die systematische Mißachtung der Menschenrechte, gibt es aber keine Argumente. Genauer: Es gibt sie nicht, solange und insofern man den demokratischen Rechtsstaat bejaht. Das, was ich aufgezählt habe, und alles, was sonst an Argumenten dieser Art vorgetragen wird - das sind ja allenfalls Argumente gegen das Recht, gegen die Freiheit, gegen die Demokratie.

    Und da geht es nun freilich um, sagen wir, Axiome. Mit jemandem, der gegen Recht, Freiheit, Demokratie ist, mag ich nicht diskutieren. Das wäre ungefähr genauso sinnvoll, wie wenn sich die Gazelle mit dem Löwen auf eine Diskussion darüber einlassen würde, ob man vegetarisch leben sollte. Vielleicht hätte sie ja die besseren Argumente. Aber wahrscheinlich nicht das bessere Ende für sich.




    Daß Rechtsextreme solche Auffassungen vertreten, das darf man füglich von ihnen erwarten. Warum aber auch Linke? Mir scheint das diverse, sagen wir, hochempfindliche Punkte der Linken zu berühren:
  • Das ambivalente Verhältnis zur Freiheit. Linke sind immer mit Verve für die Freiheit eingetreten, wenn sie von rechten Diktatoren bedroht war. Kaum je sind Linke mit derselben Deutlichkeit aufgetreten, wenn die Freiheit von Links bedroht wurde. Castro ist sozusagen das vorletzte, Chávez im Augenblick das aktuellste Beispiel für diese Ambivalenz. Stalin, Mao, Pol Pot sind frühere und noch schlimmere Beispiele. Die Linke tritt in ihrer großen Mehrheit im Grunde nicht für die Freiheit ein, sondern nur für die Freiheit, linke Politik zu machen. Übrigens tat das auch Rosa Luxemburg, die Vielzitierte, vielfach Falschzitierte.

  • The white man's burden. In Diskussionen mit linken Freunden und Bekannten höre ich immer wieder diese Überlegung: Wo nehmen wir Weißen, wir Europäer, eigentlich das Recht her, anderen unser Verständnis von Demokratie aufzuzwingen, mindestens aufzudrängen? Sie haben eben andere Traditionen, andere Werte. Wie dürfen uns doch nicht als Lehrmeister der Welt aufspielen.

  • Und dann das, sagen wir, linke Super- Extra- Total- Argument: Hä, was ist denn das für eine Freiheit, die bei uns herrscht? Die Freiheit von 200 Reichen, ihre Meinung zu verbreiten? Die Freiheit der Konzerne, ihre Produkte zu vermarkten? Die Freiheit von Arbeit, von sozialer Gerechtigkeit?

  • Da kann ich dann nicht mehr mitdiskutieren. Wer nicht verstanden hat, daß Menschen nicht glücklich leben können, wenn sie nicht frei sind, der mag das halt glauben. Ich glaube es nicht. Und ich glaube es dem Betreffenden, ehrlich gesagt, auch nicht, daß er es ehrlich glaubt.




    Ein Problem gibt es freilich schon. Aus meiner Sicht ist es nicht das Problem, ob Freiheit oder Unterdrückung vorzuziehen sei. Sondern das Problem ist es, wie man die Freiheit so organisiert, daß sie auch funktioniert.

    Alle diese Argumente gegen Freiheit und Recht - das sind ja im Grunde nur Argumente gegen gescheiterte Freiheit, gegen mißglückte Rechtsstaatlichkeit.

    Der Demokratische Rechtsstaat ist freilich nicht leicht hinzukriegen. Er kann sehr schnell scheitern, er ist immer gefährdet. Also muß man sehr viele Überlegungen daran wenden, wie man ihn so organisiert, daß er der menschlichen Einfalt, dem Egoismus von uns Menschen, unserem Machtstreben usw. Rechnung trägt.



    Mit anderen Worten: Eine demokratische Verfassung, die funktioniert, muß so konstruiert werden wie eine komplexe Maschine. Das ist in der Geschichte bisher ein einziges Mal gelungen: Bei der Konstruktion der amerikanischen Verfassung. Sie war angewandte politische Theorie. Sie war ein nachgerade unglaublicher Erfolg - eine Verfassung, vor mehr als 200 Jahren erdacht, die immer noch fast völlig so ist, wie sie damals war. Gegen die niemals jemand revoltieren wollte, die niemals die Zustimmung der Mehrheit des Volks verloren hat.

    Es geht also. Es ging unter den extrem schwierigen Bedingungen der amerikanischen Kolonien, die sich ihre Unabhängigkeit erkämpft hatten. Unter den Bedingungen einer bunt zusammengewürfelten Gesellschaft, die keine eigene Tradition hatte, die sich ständig durch neue Einwanderungswellen veränderte.

    Es kann ebenso unter ähnlich schwierigen Bedingungen gehen, in Asien, in Afrika, in Lateinamerika.

    Es gibt keine Entschuldigung dafür, den demokratischen Rechtsstaat abzuschreiben, egal wo. Und es gibt erst recht keine Entschuldigung dafür, Verfassungen zu beschließen, die irgendwelche Wolkenkuckucksheime zu realisieren versuchen.

    Statt auf den Erfahrungen der US-Verfassung aufzubauen.

    14. Februar 2007

    Zettels Meckerecke: Diese verfluchten Automatismen - mit einer besonderen Breitseite gegen Blogspot und Word

    Es mag sein, daß Blogspot, wo ich nun mal publiziere, besonders schlimm ist: Jedenfalls beginnt, wenn ich einen Text ins Netz zu stellen versuche, ein ermüdender Kampf gegen die Idiotie von Automatismen, die sich irgendwer ausgedacht hat.

    Um mir zu helfen, behauptet er. In Wahrheit, um mich zu knechten, um mir Ärger zu machen.

    Ich beginne eine Aufzählung. Am Beginn des ersten Punkts der Aufzählung (blockquote, li) habe ich Unglücksrabe vielleicht etwas kursiv oder durch bold hervorgehoben.

    Also setzt das dieses idiotische Programm auch bei allen anderen Items der Aufzählung ein, ohne meinen Willen, und ich muß es dann mühsam wieder löschen.

    Wenn ich einen horizontalen Strich (hr) eingefügt habe, und danach kommt irgendwas, dann nimmt dieses schwachsinnige Programm an, daß nun Dasselbe hinter allen horizontalen Strichen der Fall sein wird. Setzt es also ein, und ich lösche und lösche. Ein Kampf gegen die Dummheit.

    Kurzum, es ist der reine Sozialismus Es ist Gleichmacherei, es ist eine unverschämte Einschränkung der Freiheit des Einzelnen, was diese Programme veranstalten.

    Word ist, in seinen neuen Versionen, voll derartiger "Hilfen", die in Wahrheit eine ständige Vergewaltigung des Benutzers sind. Ich benutze folglich meine alter Version und weigere mich, sie "upzudaten".



    Warum, zum Geier, kann nicht wenigstens jedes dieser Programme eine Option haben: Reject all automatic helps oder sowas?

    Ich würde sie liebend gern abschalten, alle. Ich will genau das schreiben, was ich schreiben will, und kein wizard soll mir da reinreden.

    Gut, ich muß dann ein paar mehr Steuerzeichen einsetzen. Aber ich habe das Textschreiben mit LocoScript und mit Wordstar gelernt, Anfang der achtziger Jahre; da machte man das eben.

    Und war Herr des Textes. Bekam genau das, was man wollte.



    Ich benutze auch keine shortcuts. Warum, verflucht noch mal, macht der Rechner ständig etwas, was ich gar nicht will, nur weil ich mich vertippt und dabei eine Tastenkombination ausgelöst habe?

    Ich will diese Shortcuts nicht. Ich will diese Automatismen nicht. Ich will, daß der Rechner nicht für mich denkt, sondern gefälligst als mein Sklave genau das tut, was ich will.



    Kurz bevor dieser Text fertig war, habe ich versehentlich irgendeine Tastenkombination betätigt, die dazu geführt hätte, daß er unfertig publiziert worden wäre.

    Glücklicherweise hatte ich aber gegen ein anderes Gebot verstoßen, nämlich vor jeder Publikation festzulegen, ob Kommentare zu diesem Beitrag erlaubt sind. Obwohl ich das generell festgelegt habe -, das fürsorgliche Programm zwingt mich, es wieder und wieder zu bestätigen.

    Die eine sozialistische Vergewaltigung hat in diesem Fall die andere konterkariert.

    Was wahrscheinlich generell das Geheimnis des Überlebens im Sozialismus ist.



    PS: Absurdistan hoch zwei: Bei Blogspot kann man, was schön ist, neuerdings den Beiträgen Stichwörter zuordnen, Tags also. Irgendwann habe ich zum Beispiel mal "Diktatur des Proletariats" eingeben. Das hat das freundliche Programm sich gemerkt. Als ich vorhin "Diktatur" eingegeben habe, hat es also in seiner unverschämten Dummheit "des Proletariats" ergänzt. Und ich kann machen und löschen, wie ich will - am Ende steht wieder "Diktatur des Proletariats" da.

    Also habe ich jetzt "Dik" geschrieben.

    Gegen Sozialismus ist der Einzelne hilflos, gegen Dummheit ist er es. Wie erst gegen die Dummheit sozialistischer "Hilfe".

    11. Februar 2007

    Rückblick: Putin 2007 und sein Iwanow

    In einem Beitrag gestern habe ich mich, wie ein freundlicher Kommentator schrieb, "rasanten Spekulationen über Putins Strategie des Machterhalts" hingegeben. Stimmt; jedenfalls was das Spekulative angeht.

    Heute nun lese ich in der SZ einen Gastbeitrag des russischen Verteidigungsministers Iwanow. Er stammt schon vom 7. Februar, war mir aber entgangen.

    Es ist wohl auch damals, Mitte letzter Woche, kaum über ihn berichtet worden. Im Licht des Auftritts von Putin scheint mir das, was Iwanow da schreibt, nun aber sehr aufschlußreich zu sein. Und auch hier und da die Spekulationen in meinem Beitrag zu bestätigen.

    Besonders interessant ist, was Iwanow über die Staaten schreibt, die einmal zum russischen Kolonialreich gehörten (Hervorhebungen von Zettel):
    Die Errichtung eines Raketenabwehr-Abschnitts nahe der russischen Grenze ist ein unfreundliches Signal. Es belastet die Beziehungen zwischen Russland und den USA, Russland und den Nato-Staaten sowie Russland und Polen (oder jedem anderen Land, das seinem Beispiel folgt). (...)

    Der Aufnahmeprozess neuer Mitglieder in die Allianz führt nicht nur zu einer Erweiterung ihrer Grenzen, sondern auch zur Vergrößerung ihres Interessengebiets. (...) Ich bin zutiefst überzeugt, dass die intensiven Gespräche, die auf einen Beitritt der Ukraine und Georgiens zur Nato abzielen, weder die Sicherheit in der Region noch die Sicherheit Russlands erhöhen.(...)

    Das führt zu ernsthaften Risiken und Problemen. (...) Estland und Lettland können als Präzedenzfälle dienen. (...) Selbst die "Demokratisierung" in diesen baltischen Staaten hat einen verdrehten Charakter angenommen. (...)

    In absurder Weise werden faschistische und nationalistische Ideen propagiert, wird die russischsprachige und insbesondere die ethnisch- russische Bevölkerung diskriminiert. Die politische "Blindheit" der Allianz in dieser Frage ruft bei uns, gelinde gesagt, Unverständnis hervor.
    Auch hier will ich die Parallele zu Hitler in den dreißiger Jahren nicht überstrapazieren - aber auch diesem hat damals die "Minderheitenfrage" immer wieder als Hebel gedient, um Druck auf kleinere Nachbarstaaten wie Polen und die Tschechoslowakei auszuüben.



    Sergej Iwanow (nicht zu verwechseln mit dem früheren russischen Außenminister Igor Iwanow) ist übrigens, wie Putin, ein alter KGB-Mann. Er trat schon im Alter von 23 Jahren, sofort nach Abschluß seines Studiums, in den KGB ein, absolvierte erst die KGB- Schule in Minsk und dann die Moskauer Führungsakademie des KGB. Er war dann in diversen KGB- Residenturen im Ausland im Einsatz, unter anderem in Helsinki und in Kenia. Auch nach dem Ende der Sowjetunion setzte er seine Karriere im KGB und späteren FSB fort; zum Schluß als dessen stellvertretender Leiter, direkt dem Leiter Putin unterstellt. 1999 ernannte ihn Jelzin zum Chef des russischen Nationalen Sicherheitsrats, und von dort wechselte er unter Putin ins Verteidigungsministerium.

    10. Februar 2007

    Marginalie: Das irakische Gesundheitsministerium

    Ist Ihnen das auch schon aufgefallen? Immer mal wieder kommen offizielle Meldungen aus dem Irak, die Erschreckendes beinhalten. Ihre Quelle ist das irakische Gesundheitsministerium.

    Amtlich demnach. Also müssen sie doch, nicht wahr, zuverlässig sein, diese Meldungen darüber, wie schlimm es im Irak steht.

    Telepolis zum Beispiel wußte im September 2004 zu berichten, es gehe "aus einer Statistik des irakischen Gesundheitsministeriums hervor, dass den militärischen Operationen der von den US-Truppen geführten multinationalen Streitkräften doppelt so viele Iraker - meist Zivilisten – zum Opfer fallen wie bei den Anschlägen der so genannten 'Aufständischen'."

    Und "unter Berufung auf eine gemeinsame Studie des irakischen Gesundheitsministeriums, des UN- Entwicklungs- Programms und eines norwegischen Instituts" berichtete die Washington Post im Dezember desselben Jahrs, daß sich die Zahl der unterernährten Kinder im Irak seit der "Besetzung des Landes" verdoppelt habe. So berichtete es Faktuell im deutschen Web.

    Laut "Zahlen des irakischen Gesundheitsministeriums" wurden, so meldete es Anfang dieses Jahres die Deutsche Welle, allein 2006 im Irak 35 000 Zivilisten getötet.



    Und so fort. Jeder, der die Medien verfolgt, kennt es, dieses "irakische Gesundheitsministerium". Es scheint offenbar weniger mit Krankenversicherung, mit der Qualität der Krankenhäuser, mit Seuchenprävention befaßt zu sein, und was sonst zu den Obliegenheiten von Gesundheitsministerien weltweit gehört, als damit, Zahlen zu publizieren, die die USA in ein schlechtes Licht stellen und die die Lage im Irak dramatisieren.

    Seltsam, nicht wahr?

    Das Geheimnis wurde in diesen Tagen gelüftet. Der stellvertretende Chef dieses Gesundheitsministeriums ist ein gewisser Hakim al-Zamili, der jetzt festgenommen wurde.

    Er ist ein hoher Funktionär der El-Sadr-Milizen und wird beschuldigt,
  • Ambulanzfahrzeuge eingesetzt zu haben, um für Terroristen Waffen zu transportieren

  • die Tötung mehrerer Mitarbeiter seines Ministeriums veranlaßt zu haben, weil diese im Kampf zwischen Schiiten und Sunniten auf der falschen Seite standen

  • den schiitischen Milizen Millionen von Dollar aus dem Gesundheitsministerium zugeschanzt zu haben



  • Werden unsere Medien nun die "offiziellen Daten aus dem irakischen Gesundheitsministerium" etwas kritischer verwerten als bisher?

    Ich fürchte, nein. Denn bad news is good news.

    Für kein Land gilt das so sehr wie für den Irak. Und in wenigen Ländern sind die Medien in ihrer Mehrzahl derart voreingenommen, einseitig und propagandistisch in ihrer Irak- Berichterstattung wie in Deutschland.

    Warum, das ist ein eigenes Thema. So, wie der deutsche Antiamerikanismus ein eigenes Thema ist. Ich komme darauf zurück.

    Randbemerkung: Putin 2007, Hitler 1936

    Den ersten Band seiner Geschichte des Zweiten Weltkriegs, "The Gathering Storm", eröffnet Winston Churchill mit dem Kapitel "The Follies of the Victors", der Wahnwitz der Sieger. Darin beschreibt er, wie die Sieger des Ersten Weltkriegs ein immer noch starkes, demographisch auf Wachstum ausgerichtetes Deutschland den "bösartigen und dummen" (malignant and silly) Bestimmungen des Versailler Vertrags unterwarfen.

    Eine Einladung an dieses gedemütigte Deutschland, den Weltkrieg wieder aufzunehmen, wie Hitler das dann getan hat.



    Nein, ich will Putin nicht mit Hitler "vergleichen" oder gar "gleichsetzen". Ich will auf eine historische Parallele hinweisen.

    Deutschland hätte 1919 - Churchill beschreibt das - durch einen großzügigen Frieden, der seine berechtigten Interessen wahrte, in den Kreis der friedlichen Großmächte aufgenommen werden können. Oder man hätte es mit allen militärischen Mitteln niederhalten müssen.

    Man tat aber weder das eine noch das andere. Deutschland wurde als besiegter Feind behandelt, mit Reparationen gepiesackt. Aber zugleich ließ man es zu, daß v. Seeckt die Reichswehr als die Kadertruppe einer neuen Wehrmacht aufbaute.



    Der Verlust Osteuropas, der Zerfall der Sowjetunion hat Rußland nach 1989 ähnlich tief gedemütigt wie die Niederlage von 1918 Deutschland. Rußland verlor nicht nur sein gesamtes osteuropäisches Kolonialreich, sondern auch die baltischen Sowjetrepubliken, die Ukraine, Weißrußland, den Kaukasus.

    Diese ihren russischen Kolonialherren entronnenen Völker wußten - anders als die naiven deutschen Friedensfreunde ("von Freunden umzingelt") - , daß sie ihre Freiheit einer vorübergehenden Schwäche des russischen Herrenvolks verdankten. Daß also Rußland, sobald es wieder zu Kräften gekommen sein würde, wieder seine angestammte Rolle zurückzugewinnen versuchen würde: Die Wiederherstellung des Zarenreichs, des kommunistischen Kolonialreichs.

    Diese befreiten Völker flüchteten infolgedessen unter den Schirm der NATO. Sie machten riesige Anstrengungen, sich fit für die EU zu machen. Es war und ist ihre einzige Chance, der erneuten Kolonisierung durch die Russen zu entgehen.



    Aber so, wie v. Seeckt beharrlich und mit sehr großem Erfolg in den zwanziger Jahren die deutsche Wiederaufrüstung vorbereitete, so ist Rußland, still und heimlich, längst wieder auf dem Weg, auch militärisch zu seiner Weltmachtrolle zurückzukehren. Und damit seine Nachbarn, das heißt seine verlorenen Provinzen, erneut zu bedrohen.

    Die rührenden Vereinbarungen zur Verschrottung von Raketen ("Friedensdividende"), diese ganze Friedensbesoffenheit nach 1989, hat das lange kaschiert: Wir stehen vor einer neuen Ost- West- Konfrontation.

    Die Länder Osteuropas, die rechtzeitig der NATO und der EU beitreten konnten, wird Rußland abschreiben müssen. Umso mehr wird es um den Rest seines Kolonialreichs im Westen kämpfen - die Ukraine, Weißrußland, den Kaukasus.



    Putins heutiger Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz bedeutet, daß Rußland sich jetzt stark genug fühlt, auch nach außen hin die Konsequenzen aus seiner Aufrüstung der letzten zehn Jahre zu ziehen (so, wie sofort nach der Machtübernahme der Nazis aus den Kadern der Reichswehr wieder eine Wehrmacht aus dem Boden gestampft worden war - in demselben atemberaubenden Tempo).

    Wenn man die Parallele noch ein wenig ausreizen möchte - dieser heutige Auftritt Putins ist vergleichbar dem Einmarsch Hitlers in das entmilitarisierte Rheinland am 7. März 1936. Beide Male das Signal, das den anderen sagt: Jetzt sind wir militärisch wieder soweit, euch Paroli zu bieten. Es ist aus mit unserer Schwäche, vorbei mit der Demütigung.



    Natürlich muß man Putins heutigen Auftritt auch vor dem Hintergrund der in gut einem Jahr bevorstehenden Präsidentschaftswahlen sehen.

    In einem kürzlichen Beitrag habe ich einige Szenarien für die Fortsetzung der Präsidentschaft Putins diskutiert. Als ich das schrieb, ging mir eine weitere Variante durch den Kopf, die mir aber allzu spekulativ erschien: Putin könnte eine internationale Krise inszenieren, in der er als einziger als Retter des Vaterlands in Frage kommen würde.

    Seit heute erscheint mir das nicht mehr so abwegig. So rüde wie Putin ist meines Wissens noch nie jemand in München aufgetreten, seit es diese Sicherheitskonferenz gibt.

    Kennt Schönheit Alter? Evolutionsbiologisches zu einer Werbekampagne. Und Bemerkungen zur sexuellen Attraktivität

    Wann ist ein Mensch schön? Die Evolutionsbiologie gibt eine einfache, plausible Antwort: Schön ist, wer sexuell attraktiv ist. Und sexuell attraktiv sind diejenigen, die dem potentiellen Sexualpartner durch ihr Aussehen eine gute Chance signalisieren, durch Paarung mit ihnen seine Gene weiterzugeben.

    Sexuell attraktiv ist somit erstens, wer gesund aussieht. Was am Äußeren eines Menschen auf Gesundheit hinweist - eine ebenmäßige Gestalt, eine glatte Haut, ein fröhliches Lachen, graziöse Bewegungen -, das ist attraktiv, also schön.

    Das gilt für beide Geschlechter. Dann aber differenziert es sich.



    Frauen sind attraktiv, also schön, wenn sie in einem Alter sind, in dem sie noch viele Kinder gebären können. Und wenn sie auch sonst Gebärfreude erkennen lassen. Also finden wir - sagen die Evolutionsbiologen - junge Frauen schön, mit breitem Becken und die nachts gern lieben.

    Jenseits der Menopause ist es nichts mehr mit diesem Versprechen, den Genen des Sexualpartners zur Weitergabe zu verhelfen. Also verlieren Frauen, wenn die Runzeln kommen, rapide an Schönheit. Ebenso wie spröde, männlich auftretende Frauen nicht schön sind.



    Bei Männern dagegen gibt es kein Äquivalent zur Zeit der Gebärfähigkeit. Sie sind (in der Regel) bis ins hohe Alter zeugungsfähig. Daß sie überhaupt in der Lage sind, viele Nachkommen zu zeugen, reicht somit - sagen die Evolutionsbiologen - nicht aus, um Männer attraktiv, also schön zu machen. Das kann jeder Kümmerling.

    Attraktiv macht einen Mann, daß er mit seinem Aussehen signalisiert, Nachkommen nicht nur zeugen, sondern auch schützen und ernähren zu können. Er sollte also stark sein, reich, dominant. Dann ist er auch schön.



    "Schönheit kennt kein Alter" - das ist der Titel einer in diesen Tagen anlaufenden Werbekampagne des Kosmetika- Herstellers Dove, von der ich vermute, daß sie zu den erfolgreichsten dieses Jahrzehnts werden wird. Sie trifft den Zeitgeist, und sie bricht Tabus. So wie einst der Afri- Cola- Rausch, später die Benneton- Werbung.

    Allerdings: Die Botschaft dieser Werbekampagne scheint auf den ersten Blick den Ergebnissen der Evolutionsbiologie zu widersprechen. Man zeigt und preist Frauen jenseits der fünfzig, nackt fotografiert, die attraktiv sein sollen. Nicht jung, nicht mehr gebärfähig. Also, so scheint es, doch gerade unattraktiv, wenn man die Evolutionsbiologie heranzieht.

    Nein, wenn man sie mißversteht.



    Wer, wie ich, von Jugend an nicht nur FKK- Strände, sondern auch FKK- Vereinsgelände kennengelernt hat, für den ist diese Schönheit des nackten Körpers, auch im Alter, eine Selbstverständlichkeit.

    Nackte Menschen, wenn sie gesund sind, häßlich zu finden, ist eigentlich ausgeschlossen.

    Häßlich ist es, wenn jemandem der Wanst aus der Badehose quillt, oder wenn die Brüste im Oberteil des Badeanzugs wabbeln. So, wie diese starren Gesichter der Gelifteten häßlich sind. So, wie eine auf jung geschminkte alte Frau häßlich ist, oder einer jener greisenhaft- geisterhaften, geziert einherstelzenden Gecken, wie sie einst die Heilbäder bevölkerten.

    Sie sind häßlich, diese sich gezwungen (manchmal zwanghaft) als jugendlich Darstellenden. Der alte Mann Rolf Eden, als jugendlicher Verführer umherhüpfend, ist ein abschreckendes Beispiel. So, wie alles Unechte häßlich ist.

    Wenn hingegen jemand sich körperlich so zeigt, wie er oder sie nun mal ist, dann mag das nicht sexuell attraktiv sein. Aber es ist nicht häßlich; oft ist es schön.



    Wie paßt das nun allerdings mit der Auffassung der Evolutionsbiologen zusammen, daß die Schönheit eines Menschen nichts anderes ist als seine sexuelle Attraktivität?

    Vielleicht spielt das eine Rolle, was man heute gern "Authentizität" nennt. Das Wort kommt vom griechischen aut-henes, das ist der Selbst- Macher. Man könnte auch "Echtheit" sagen, denn nichts anderes ist gemeint. Echtheit, das bedeutet Harmonie mit sich selbst. Harmonisches ist schön.

    Wie ist das in der Sicht der Evolutionsbiologie?

    Nun, nichts ist für die sexuelle Attraktivität eines Menschen so wichtig, wie daß er echt ist. Ein Sexualpartner, der eine gute Chance bietet, die eigenen Gene weiterzugeben - das ist nicht der windige Hund, nicht die Schlampe. Das ist der beständige, der echte, der authentische Mensch. Ihm seine Gene gewissermaßen anzuvertrauen, das zahlt sich aus. À la longue.

    Schönheit ist der Gegenbegriff zum Schein, zur Mache, zum Gezierten und Gestelzten, zum Aufgedonnerten und Oberflächlichen. Keine neue Erkenntnis natürlich. Eine Trivialität fast in der Geschichte der Ästhetik.

    Aber ist es nicht ... hm, hm ... schön, daß es nun auch mit den Ergebnissen der Evolutionsbiologie übereinstimmt? Sozusagen mit ihnen harmoniert?

    Zettels Meckerecke: Fröhliche PS-Protzerei

    Die SPD und die Grünen sind gegen "spritfressende" Dienstwagen. Das war heute ein Thema in den TV- Nachrichten; morgen wird es in den Zeitungen stehen. Im Web schon heute. Zitat aus der Welt:
    "Heute subventioniert die Allgemeinheit die Spritfresser. Wenn wir eine Obergrenze einführen, ist damit endlich Schluss", sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Ulrich Kelber (...). Auch die Grünen fordern eine Kürzung. (...) "Die Zeiten fröhlicher PS-Protzerei sind vorbei", sagte Kuhn.
    Aber noch nicht lange, muß man dazu anmerken. Denn noch 2005 fand sie in einem nie gekannten Ausmaß statt, die fröhliche PS-Protzerei, in der rotgrünen Bundesregierung.

    Im März 2005 mußte diese Regierung auf eine Kleine Anfrage des FDP- Bundestagsabgeordneten Volker Wissing antworten, der nach den Dienstwagen des Kanzleramts und der Ministerien gefragt hatte.

    Aus der Antwort ergab sich, daß in der Zeit jener Regierung - also zwischen 1998 und damals 2005 - die PS- Leistung neu angeschaffter Dienstwagen von 120 auf 170 PS gestiegen war. Im letzten Jahr vor Amtsantritt dieser Regierung - im Jahr 1998 - waren neue Dienstwagen für 1,6 Millionen Mark angeschafft worden. Im Jahr 2004 hatte die rotgrüne Regierung für 42 Millionen Mark neue Dienstwagen gekauft. In diesem Jahr allein.

    Besonders doll trieb es der Umweltminister Trittin. Laut der zitierten Spiegel- Meldung ließ er sich in einem Mercedes der E-Klasse fahren. Auto-Bild allerdings schreibt ihm - seltsamerweise die Spiegel- Meldung zitierend - zu, daß er zwischen einem Audi 8 und einem VW Phaidon wählen konnte.

    Alles finanziert von der Allgemeinheit, von uns Steuerzahlern.

    Irgendwie scheinen den Roten und den Grünen ihre Bedenken gegen spritfressende Dienstwagen erst gekommen zu sein, als sie selbst sie nicht mehr nutzen konnten.

    9. Februar 2007

    Erneuter Rückblick: "Das Leben der Anderen". Nebst einem Lob amerikanischer Filmkritik

    Das Vergnügen an einem Kunstwerk wird gesteigert, wenn man dazu eine kluge Interpretation, eine passende, vielleicht dem Werk kongeniale Kritik liest. Man freut sich an der Klugheit der Kritik, man freut sich, sozusagen sekundär, erneut an dem Kunstwerk, wie man es jetzt im Licht der Kritik sieht.

    So ist es mir gegangen, als ich in der gestrigen New York Times A.O. Scotts Besprechung von "Das Leben der Anderen" gelesen habe.

    Ich habe diesen Film zweimal gesehen und war sehr von ihm beeindruckt. Das hat sich in zwei Beiträgen hier im Blog niedergeschlagen. Im ersten habe ich diskutiert, ob das eigentlich ein politischer Film ist. Im zweiten ging es mir darum, zu schildern, wie anders man einen Film beim zweiten Besuch sieht.



    Die Kritik von A.O. Scott ist ein Musterbeispiel amerikanischer Filmkritik. Eines Stils der Kritik, den ich immer bewundert habe. Der Kritiker legt es nicht auf Lob oder Verriß an. Er nimmt den Film nicht, wie es so oft deutsche Kritiker tun, zum Anlaß, um sich selbst in den Vordergrund zu spielen.

    Sondern es wird sorgsam, konkret, detailliert auf den Film eingegangen. Der Kritiker sieht sich nicht als "Kunstrichter"; vielmehr versteht er sich als ein Vermittler zwischen dem Kunstwerk und dem Leser.

    Es ist vielleicht ein Reflex des generellen Unterschieds zwischen amerikanischem und deutschem Journalismus. Deutscher Journalismus will sehr oft belehren und beeinflussen; amerikanischer will informieren und interpretieren, ohne sich dem Leser aufzudrängen.



    Es fällt mir schwer, etwas von dieser ausgezeichneten Kritik besonders hervorzuheben. Eigentlich möchte ich fast jeden Absatz zitieren. Aber dann kann ja der Leser dieses Blogs ebensogut selbst auf die WebSite der New York Times gehen (Anmeldung erforderlich, aber es tut gar nicht weh).

    Also gut, einige Passagen, die ich besonders treffend finde:
    "The Lives of Others," one of the nominees for this year’s best foreign-language film Oscar, never sacrifices clarity for easy feeling. Posing a stark, difficult question — how does a good man act in circumstances that seem to rule out the very possibility of decent behavior? — it illuminates not only a shadowy period in recent German history, but also the moral no man’s land where base impulses and high principles converge.

    "Das Leben der Anderen", für den diesjährigen Oscar für den besten fremdsprachigen Film nominiert, opfert niemals die Klarheit für seichtes Gefühl. Er wirft eine tiefe, schwierige Frage auf - wie verhält sich ein guter Mensch unter Bedingungen, die als solche die Möglichkeit anständigen Verhaltens auszuschließen scheinen? Er beleuchtet dabei nicht nur eine dunkle Zeit der jüngsten deutschen Geschichte, sondern auch das moralische Niemandsland, auf dem sich einfachste Impulse und hohe Grundsätze treffen.

    The plot, as it acquires the breathless momentum of a thriller, also takes on the outlines of a dark joke. The poet and the secret policeman — both writers, in their differing fashions — may be the only two true patriots in the whole G.D.R.; in other words, the only people who take the Republic’s stated ideals at face value. But since the nation itself functions by means of the wholesale and systematic betrayal of those ideals, the only way Wiesler and Georg can express their loyalty is by committing treason.

    Während die Handlung die atemlose Geschwindigkeit eines Thrillers erreicht, nimmt sie auch Züge schwarzen Humors an. Der Dichter und der Geheimdienstler - jeder auf seine Art einer, der schreibt - sind vielleicht die beiden einzigen Patrioten in der ganzen DDR; anders gesagt, die beiden einzigen, die das Ideal dieser Republik beim Wort nehmen. Aber da das Land in Form eines vollständigen und systematischen Verrats an diesen Idealen funktioniert, können Wiesler und Georg ihre Loyalität nur im Verrat zum Ausdruck bringen.

    The suspense comes not only from the structure and pacing of the scenes, but also, more deeply, from the sense that even in an oppressive society, individuals are burdened with free will. You never know, from one moment to the next, what course any of the characters will choose. Mr. Mühe conveys Wiesler’s curious evolution with appropriate meticulousness and reserve. It is only in retrospect that you appreciate the depth and subtlety of emotion that underlie his performance.

    Die Spannung ergibt sich nicht nur aus der Struktur und dem Tempowechsel der Schnitte, sondern - auf einer tieferen Ebene - aus dem Eindruck, das selbst in einer unfreien Gesellschaft das Individuum die Last des freien Willens trägt. Zu keinem Augenblick weiß man, wofür sich eine der Gestalten entscheiden wird. Mühe vermittelt die seltsame Entwicklung Wieslers angemessen sorgsam und zurückhaltend. Erst im Rückblick erkennt man, wie tief und subtil er spielt.

    Georg and Captain Wiesler, though they occasionally waver and worry, remain true to their essential natures, and thus embody the film’s deepest, most challenging paradox: people don’t change, and yet the world does.

    Georg und Hauptmann Wieseler sind manchmal schwankend und unsicher. Aber sie bleiben doch ihrem eigentlichen Wesen treu. Damit verkörpern sie das tiefste, uns am meisten herausfordernde Paradox des Films: Menschen ändern sich nicht, und doch ändert sich die Welt.
    Das kommt meinem eigenen Eindruck von diesem Film sehr nahe: Er handelt davon, daß man in jedem Regime, unter allen denkbaren Bedingungen, anständig sein kann. Oder sich eben frei dafür entscheiden kann, es nicht zu sein.

    Keiner der beiden Protagonisten hat im Lauf der Handlung "sich geändert". Beide haben nur erkannt, daß sie sich selbst nur treu bleiben konnten, indem sie ihr Verhalten änderten.

    8. Februar 2007

    Marginalie: Auschwitz, die RAF und deutsche Vergangenheitsbewältigung

    Heute läuft im NDR die "Nacht der RAF-Terroristen". Verdienstvoll - aber schade, daß die Wiederholung dieser Dokumentationen nachts, also fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit, gesendet wird.

    Mir scheint, es gibt da Informationsbedarf.

    Denn offenbar sind wir Deutschen ja mit dem politischen Mord noch nicht fertig. Ich hatte gedacht - wie wahrscheinlich die meisten meiner Generation -, daß der Auschwitz­prozeß, daß der Eichmann­prozeß, daß die sich daran damals anknüpfenden heftigen Diskussionen uns Deutsche damit hätten klar kommen lassen.

    Klar kommen in dem Sinn, daß wir dazu eine Einstellung gewinnen, wie sie in allen demokratischen Rechtsstaaten herrscht.

    Es gab fortan, dachte ich damals, einen breiten Konsens darüber, daß das Ermorden von Menschen nicht dadurch entschuldigt werden kann, daß der Mörder politische Motive hat oder vorgibt.

    Daß jemand Juden aus Antisemitismus ermordet hat - und nicht, um sich zu bereichern oder sonst einen persönlichen Vorteil zu erringen -, macht den Mord nicht weniger verwerflich. Boger, Kaduk, Klehr wurden nicht als politische Täter verurteilt, sondern als Mörder. Politik rechtfertigt kein Verbrechen. Das politische Motiv mindert die Schuld des Mörders nicht; allenfalls macht es sie größer.



    Wird jetzt diese Selbstverständlichkeit, die in jedem Rechtsstaat gilt, wieder problematisiert? Es scheint so. Brigitte Mohnhaupt ist eine vielfache Mörderin. Christian Klar ist ein vielfacher Mörder. Sie sind ihrer Schuld entsprechend verurteilt worden, und sie haben ihre Strafe abzubüßen, wie jeder andere Mörder.

    Mehr dürfte dazu eigentlich nicht zu sagen sein.

    Aber nun geht sie wieder los, diese Diskussion. Darf nicht vielleicht doch jemand morden, wenn er politische Motive hat? Sollte man nicht wenigstens anerkennen, daß jemand nicht ein "gemeiner Mörder" ist, wenn er Symbolfiguren des Kapitals, wie Schleyer, Beckurts und Herrhausen, ermordet hat? Verdienen diese "Kämpfer" nicht mehr Verständnis, verdienen sie nicht eher Gnade als andere Mörder, weil sie politisch motiviert gewesen waren?

    Ja, hätte man vielleicht auch Mulka, Boger und den anderen NS-Mördern strafmildernd anrechnen sollen, daß sie Antisemiten waren? Ihnen jedenfalls deshalb eine Begnadigung gewähren?

    Mehr zu diesem Thema hier im Blog in diesem, diesem, diesem und diesem Beitrag.

    7. Februar 2007

    Rückblick: Erhard Eppler und die Volksfront

    "Merkel mit weitem Abstand vor Beck" überschreibt der "Stern" den Bericht über die aktuelle Forsa- Umfrage.

    Die Kanzlerin im Beliebtheitshoch. Die Wirtschaft boomt. Die Stimmung steigt. Und wie würden die Deutschen wählen, wenn am kommenden Sonntag Wahlen wären?

    Keine Mehrheit für eine schwarzgelbe Koalition (CDU 34 Prozent, FDP 12 Prozent). Eine Mehrheit für die Volksfront (SPD 28, Grüne 11, Kommunisten 9 Prozent).

    Die Umfragen sind stabil so, wie ich sie hier beschrieben habe:

    Eine Regierung aus CDU und FDP ist nicht in Sicht. Die Große Koalition will niemand weiterführen. Abenteuerliche Ampeln sind weit weg von der Realität.

    Bleibt also die Volksfront, die Erhard Eppler - siehe den verlinkten Beitrag - will; immer noch einer der Vordenker der SPD.

    Aus meiner Sicht ist dies die mit Abstand wahrscheinlichste Regierung nach den nächsten Bundestagswahlen. Zumal sich dann eine Stimmung breit machen dürfte: Jetzt läuft die Wirtschaft ja wieder, und nun ist es Zeit für mehr soziale Gerechtigkeit.



    Wenn ich das mit Bekannten diskutiere, dann ernte ich häufig Kopfschütteln. Die SPD würde doch niemals mit den Kommunisten eine Koalition im Bund eingehen.

    Gemach, gemach. Gestern lief eine dieser Tagesschau- Wiederholungen; die vom 6. Februar 1987. Gemeldet wurde, daß die Bundestags- Vizepräsidentin Annemarie Renger (SPD) sich vehement gegen eine gemeinsame Regierung der SPD mit den Grünen ausgesprochen habe. Begründung: Keinerlei Gemeinsamkeiten in der Außen- und Sichrheitspolitik und im Verständnis des Parlamentarismus.

    Auch damals hieß es in der SPD: Koalitionen mit den Grünen in den Ländern - ja. Im Bund - ausgeschlossen.

    Marginalie: Anrüchiges Vokabular

    In Berlin, so meldet Spiegel-Online, wird ein Behördenformular verwendet, in dem von "personenbezogenen Daten besonderer Kategorien, hier zur rassischen und ethnischen Herkunft" die Rede ist.

    Hieran hat der Abgeordneten Özcan Mutlu (Grün- Alternative Liste) Anstoß genommen. In einer Kleinen Anfrage an den Berliner Senat will er, laut Spiegel-Online, unter anderem wissen, "auf welchen 'wissenschaftlichen Erkenntnissen und Theorien' die Einteilung in 'Rassen' denn basiere oder was der Senat unter 'rassischer und ethnischer Herkunft' überhaupt verstünde."

    Dazu merken die Autoren von Spiegel-Online, Hani Yamak und Sven Röbel, an: "Der Passus, dessen Vokabular an den NS-Jargon des 'Dritten Reichs' erinnert, ist seit Jahren bürokratische Realität in der deutschen Hauptstadt". Und sie urteilen: "Eine deutsche Behörde, die 62 Jahre nach Kriegsende derart anrüchiges Vokabular in ein offizielles Dokument druckt - der Vorgang birgt in der Tat politischen Zündstoff".



    Politischen Zündstoff birgt allerdings, wenn wir Hani Yamak und Sven Röbel folgen, auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das freilich schon vier Jahre nach Kriegsende formuliert wurde.

    Dort heißt es in Artikel 3, Absatz 3:
    Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
    Tja, er wabert eben überall, der "NS-Jargon". Und die "Einteilung in 'Rassen' durch 'wissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien'" zu begründen, das haben sie augenscheinlich versäumt, die Väter des Grundgesetzes, als sie dieses "anrüchige Vokabular" verwendeten.

    Und niemand hat's gemerkt. Bis auf diesen Mangel endlich, nach mehr als einem halben Jahrhundert, ein Abgeordneter der Grün- Alternativen Liste aufmerksam wurde.

    6. Februar 2007

    Was wird aus Wladimir Putin?

    Was haben Friedrich Merz und Wladimir Putin gemeinsam? Beide stehen vor dem Ende ihrer politischen Karriere.

    Merz hat angekündigt, daß er nicht noch einmal für den Bundestag kandidieren wird. Also scheidet er spätestens im Herbst 2009 aus dem Parlament aus; es sei denn, daß er sein Mandat schon früher niederlegt.

    Putin kann gemäß der Russischen Verfassung nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren. Die Präsidentschaftswahlen sind in gut einem Jahr, im Frühjahr 2008. Daß Putin danach in einem minderen politischen Amt - als Ministerpräsident, als Minister, gar als einfacher Abgeordneter - weitermacht, ist sehr unwahrscheinlich. Kein amerikanischer, kein französischer oder russischer Staatspräsident hat das je getan.

    Also wird er, wie sein Männerfreund Schröder, die Politik verlassen. Vielleicht wird er einen Job, sagen wir, im VW- Konzern annehmen. Mit seinen Deutsch- Kenntnissen ist er dafür sicher besser geeignet, als Ende 2005 Gerhard Schröder geeignet gewesen war, Angestellter eines russischen Staatskonzerns zu werden.

    Alles klar also? Nein.



    Vor ein paar Tagen hat Putin eine Pressekonferenz abgehalten. Sie wurde hier wenig beachtet, obwohl mehr als tausend Journalisten teilnahmen. Einen ausführlichen Bericht brachte gestern der Eurasian Daily Monitor, ein auf den früheren kommunistischen Machtbereich spezialisierter Nachrichtendienst der Jamestown Foundation.

    Natürlich wurde Putin nach seinem Nachfolger gefragt. Er sagte, man solle darum nicht so viel Aufsehens machen ("cut the commotion around the event"), denn wer in ein hohes Staatsamt gehöre, der habe es schon inne ("everyone who should be is already working as high state officials"). Es werde keinen "Nachfolger" geben, sondern eine Reihe von Kandidaten.

    Putin wolle sich jeden Einfluß offenhalten, meint dazu der Eurasian Daily Monitor.

    Und schließt den Artikel mit einer interessanten Überlegung:"Putin may fancy a graceful exit from the Kremlin gates, but if a split decision would necessitate a continuation of his "reign," he would have to accept the verdict. No reporter dared to ask the question about a third term -- but it is still open." Putin liebäugle vielleicht mit einem eleganten Abschied aus dem Kreml, aber falls ein unklarer Wahlausgang die Fortsetzung seiner "Regentschaft" verlangen würde, dann müsse er halt diese Entscheidung akzeptieren.

    Kein Reporter habe es gewagt, nach einer dritten Amtszeit zu fragen - aber diese Frage bleibe offen.



    Besehen wir die Situation einmal unbefangen.

    Da ist jemand Staatspräsident geworden, der sich als Nachfolger der Zaren sieht, als eine Mischung aus Iwan dem Schrecklichen und Peter dem Großen.

    Er hat in sieben Jahren eine nahezu absolute Macht erlangt. Das Parlament wird von seinen bedingungslosen Parteigängern beherrscht. Er hat die Selbstregierung der Länder der Russischen Föderation weitgehend abgeschafft, indem er die Ernennung der Gouverneure an sich gerissen hat. Sein einziger ernsthafter Konkurrent, der Gouverneur Alexander Lebed, starb eines mysteriösen Todes bei einem Helikopter- Absturz.

    Putin hat Schritte eingeleitet mit dem offensichtlichen Ziel, auch die Opposition vollkommen unter seine Kontrolle zu bringen. Er hat die Justiz so weit in seine Gewalt gebracht, daß sie den Finanzier der einzigen verbliebenen ernsthaften Opposition, Chodorkowski, ins sibirische Arbeitslager schickte. Jetzt soll Chodorkowski erneut der Prozeß gemacht werden mit dem Ziel, ihn weitere Jahrzehnte einzukerkern.

    Hand aufs Herz: Wo in der Weltgeschichte hat es das je gegeben, daß jemand, der so eindeutig eine autokratische Herrschaft anstrebt und der auf dem Weg dorthin fast am Ziel ist, die Macht freiwillig abgibt, nur weil ein Artikel der Verfassung das verlangt?

    Vielleicht tut er's ja und geht zum VW-Konzern oder aufs Altenteil. Ich halte das für ungefähr so wahrscheinlich, wie daß Paris Hilton der Heilsarmee beitritt und künftig singend für die Armen sammelt.



    Mitte 2005 wurde in der internationalen Presse ausführlich diskutiert, wie denn Putin sich über diesen Artikel 81 der Russischen Verfassung hinwegsetzen könnte.

    Im August 2005 nannte der Telegraph eine Möglichkeit, die Putin besonders attraktiv erscheinen dürfte: Eine Wiedervereinigung Rußlands mit Weißrußland - mit logischerweise einer neuen Verfassung, unter der Putin erneut zum Staatspräsidenten gewählt werden könnte. Lukatschenko könnte sich, so hieß es, dafür erwärmen, um sein Regime dauerhaft zu sichern.

    Der amerikanische Politologe David Marples hat kürzlich darauf hingewiesen, daß eine erneute Union von Rußland und Weißrußland bevorstehen könnte - weil dies für Rußland eine ganze Reihe von Vorteilen hätte, und weil es Lukatschenko zum Vizepräsidenten einer solchen Union machen könnte. Referenden dazu sind in Vorbereitung.

    Die GUS - wer kennt überhaupt noch den Namen dieser "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten"? - ist tot; sie könnte in Form eines neuen Staats aus Rußland und Weißrußland in anderer Form wieder auferstehen. Mit Putin als Präsidenten, wer sonst?



    Falls das nicht klappen sollte, hätte Putin eine Reihe weiterer Optionen. Zwei davon hat der Guardian beschrieben: Die Verfassung könnte erstens so geändert werden, daß die faktische Macht auf den Premierminister übergeht; für dieses Amt könnte Putin dann kandidieren. Oder es könnte festgelegt werden, daß der bisherige Staatspräsident sich dann ein drittes Mal zur Wahl stellen kann, wenn der Versuch, einen Nachfolger zu wählen, wegen zu geringer Wahlbeteiligung gescheitert ist.

    Ähnliche Überlegungen berichtete Mitte letzten Jahres Radio Free Europe / Radio Liberty. Danach könnte Putin einige Monate vor Ablauf seiner Amtszeit zurücktreten und das Amt einem Nachfolger übergeben. Wenn er sich dann im Frühjahr 2008 erneut bewerben würde, könnte man das juristisch so deuten, daß es keine dritte Amtszeit in Folge wäre.

    Oder Putin könnte eine Auszeit von vier Jahren nehmen, in dieser Zeit eine Marionette regieren lassen und dann zurückkehren. Was freilich riskant ist, denn manche Marionette hat schon angefangen, sich selbst zu bewegen.



    Wie auch immer: Mich würde es sehr wundern, wenn im Frühjahr 2008 die Russische Föderation ihren Präsidenten Putin auf Dauer verlieren würde. Trotz Putins wiederholten Versicherungen, er wolle keine dritte Amtszeit. Oder vielmehr just wegen dieser Beteuerungen.

    Die oppositionellen russischen MosNews vergleichen das mit der Verve, mit der, so zitiert es Marc Anton in seiner berühmten Rede bei Shakespeare, Cäsar dreimal die Königskrone zurückwies.

    Daran anknüpfend, schreibt Deliya Melyanova:
    But how much are such refusals worth? Do they really mean what they say? It seems to me they only bring the third term closer. If Vladimir Putin is so dutiful and anxious – surely that implies that he is the very person to continue to bear the "President’s burden", the only man Russians can trust. (...) The Russian media embrace him as a celebrity and a symbol, but with a substratum of respect and even veneration. Exactly because he refuses it, he is the man to be trusted with any amount of power.

    Aber wieviel sind solche Zurückweisungen wert? Bedeuten sie wirklich das, was gesagt wird? Mir scheint, sie bringen eine dritte Amtszeit nur näher. Wenn Wladimir Putin so pflichtbewußt und bemüht ist - dann bedeutet das doch gewiß, daß genau er der Richtige ist, weiter die "Bürde des Präsidentenamts" zu tragen, der einzige, dem die Russen trauen können. (...) Die russischen Medien nehmen ihn als eine Autorität an, als ein Symbol, gegründet auf Hochachtung, ja Verehrung. Genau deshalb, weil er das ablehnt, ist er der Mann, dem man jeden Machtumfang anvertrauen kann.



    Eine meiner ersten Erfahrungen in politischer Taktik habe ich als Schüler gemacht. Wir Klassensprecher versammelten uns, um einen Schulsprecher zu wählen. Mehrere wurden vorgeschlagen, die die meisten aus anderen Klassen nicht kannten.

    Alle hielten kleine Bewerbungsreden, in denen sie sich anpriesen. Einer, ein schlaksiger Jüngling, stellte sich hin und sagte: Eigentlich wolle er das nicht. Er hätte sich zwar immer für andere eingesetzt, aber das könne er doch viel besser auf andere Weise. Andere seien auch viel wortgewandter als er. Also nein, lieber wäre ihm eigentlich, wenn man ihn nicht wählen würde.

    Wenn die anderen ihn aber wirklich als Schulsprecher wollten - nun, dann kenne er seine Pflicht und würde sich ihr nicht entziehen.

    Natürlich wurde der gewählt. Auch von mir. Erst danach habe ich mir klargemacht, auf was und wen ich da reingefallen war.

    5. Februar 2007

    DDR 1978. Oder: Das Elend des Meinungsjournalismus

    Ein Buch nach Jahrzehnten wieder in die Hand zu nehmen ist oft eine interessante Erfahrung. Manchmal lese ich mich wieder fest und erliege zum zweiten Mal dem Zauber eines Textes. Manchmal schüttle ich aber auch den Kopf, wenn ich mich daran erinnere, wie ich das Buch damals wahrgenommen habe, und wie anders es mir heute erscheint.

    So ist es mir vor ein paar Tagen mit diesem Taschenbuch gegangen:
    Dieter Boßmann (Hg.) Schüler über die Einheit der Nation. Ergebnisse einer Umfrage. Mit einem Vorwort von Dirk Sager. Frankfurt: Fischer, 1978
    Ich kann mich noch gut an das Buch erinnern und das gewisse Aufsehen, das es damals erregt hat.

    Der Herausgeber hatte nicht eigentlich eine Umfrage veranstaltet, sondern bundesweit Kultusministerien und Schulen angeschrieben mit der Bitte, Schüler Aufsätze zur deutschen Teilung schreiben zu lassen.

    Ausgewählt werden sollten Klassen, die bereits eine Fahrt nach Berlin gemacht hatten und/oder die einen Preis bei dem Wettbewerb der "Bundeszentrale für politische Bildung" gewonnen hatten. Boßmann wollte also Äußerungen von Schülern haben, die besser als der Durchschnitt mit der Thematik der deutschen Spaltung vertraut waren.

    Das Thema wurde ausführlich formuliert und in Form einer Reihe von Fragen erläutert: Welche Meinung hast du zur deutschen Einheit? Wie würde ein wiedervereinigtes Deutschland deiner Meinung nach aussehen? Und dergleichen mehr.



    Das Buch enthält Auszüge aus einigen der mehr als zweitausend Aufsätze, die geschrieben wurden. Die Texte sind thematisch geordnet. Dazu gibt es, neben Vorwort und Einleitung des Herausgebers, ein Vorwort von Dirk Sager, der damals seit fünf Jahren Korrespondent des ZDF in Ostberlin gewesen war.

    Ich habe in dem Buch geblättert und dies und das gelesen. Das meiste, was diese Schüler schrieben, kommt mir - aus heutiger Sicht - erstaunlich vernünftig, zum Teil nachgerade weitsichtig vor.

    Es ist von der Unfreiheit in der DDR die Rede, vom niedrigen Lebensstandard, von der kommunistischen Indoktrination ("Den Jugendlichen werden die Grundsätze des Kommunismus schon so früh eingehämmert, daß sie die Verwirklichung dieser Ideologie als ihr Lebensziel ansehen"), von der Abhängigkeit der DDR von der UdSSR.

    Die Wiedervereinigung stellt sich ein 14jähriger Gymnasiast so vor: "Die Bürger der DDR sollten eine freie Wahl abhalten, ob sie sich der BRD anschließen wollen oder nicht. Wenn ja, sollte man eine zweite Wahl abhalten, in der sie die Partei wählen sollten, für die sie sind. Überwiegt hier der Kommunismus, sollte man es bleiben lassen. Wenn nicht, sollte man in der DDR eine ungefähr zweijährige Übergangsregierung bilden, die aus Politikern der DDR zusammengesetzt ist (...)".

    Geschrieben 1978 von einem Vierzehnjährigen!



    So weit, so gut. So erfreulich, alles in allem; wenn natürlich auch viel Unausgegorenes und Abstruses geschrieben wurde. Aber überwiegend hatten diese Schüler ein realistisches Bild von den Verhältnissen in der DDR. Die meisten waren für die Wiedervereinigung, erkannten aber auch viele der damit verbundenen Probleme.

    Wie aber reagierten damals die meisten Medien auf dieses Buch? Mit Entsetzen.

    Vorurteile wurden den Schülern bescheinigt, Unwissenheit über die wahren Verhältnisse in der DDR. Es dominierte eine Reaktion, wie es sie, heftiger und auf anderem Feld, später nach der ersten PISA-Studie gab: Wie konnten deutsche Schüler die DDR nur so klischeehaft sehen? Hatte die Schule, hatte das Elternhaus bei der Aufgabe versagt, ihnen ein zutreffendes Bild des zweiten deutschen Staats zu vermitteln?

    Der Fischer-Verlag hatte das offenbar antizipiert und deshalb dem Band ein Vorwort von Dirk Sager vorangestellt.

    Wenn man dieses Vorwort liest, dann springt eines ins Auge: Viele der Schüler hatten ein erheblich realistischeres Bild der DDR als der Experte Dirk Sager.

    Mit der Kritik der Schüler an der DDR geht er hart ins Gericht, der kritische Kritiker Dirk Sager. Und findet stattdessen lobende Worte für diesen Staat:
    Es gäbe dort weniger Autos, es gäbe kein Privateigentum, die "DDRler" lebten auf "Kolchosen", alles sei teurer (...) - alles das läßt unbeachtet, daß dieser Staat bei allen Mängeln seiner Planwirtschaft zu den wichtigsten Industriestaaten gehört, daß seine vergesellschaftete Landwirtschaft so leistungsfähig ist, daß ihr Experten aus dem Westen Achtung zollen. Die Anstrengungen in der Reform des alten deutschen Bildungs- und Ausbildungswesens, der Versuch, der Frau eine dem Mann ebenbürtige Rolle in der Gesellschaft zu geben - kurz, das Programm, eine Gesellschaft mit größtmöglicher sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit aufzubauen, verdient genaueres Hinschauen (...). Denn wenn die DDR wirklich diese Sklavenhaltergesellschaft wäre, dann wäre sie zu den meßbaren Leistungen des Wiederaufbaus, zur internationalen Anerkennung nicht nur auf diplomatischem Parkett kaum fähig gewesen. (S. 14)
    Ein so erfreulich positives Bild des Kommunismus hatten nun freilich die meisten Schüler in ihren Aufsätzen nicht erkennen lassen. Dirk Sagers Urteil über sie fällt folglich vernichtend aus:
    ... belegen diese Schüleraufsätze (...) den Bewußtseinsstand von Nachkriegsgenerationen in der Bundesrepublik. Denn wichtiger als das, was ausgesagt wird (...) scheint mir das Bezugssystem zu sein, aus dem heraus argumentiert wird - ein Bezugssystem, in dem man auf manches Überlieferte aus der Zeit des Nationalsozialismus stößt, aber auch auf Legenden und Mythen, die erst in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik geschaffen wurden (S. 7/8).

    Man möchte diesen "Ergebnissen" einer Umfrage Wirkung wünschen. Denn wenn eingeschliffene Sehweisen den Blick für die politische Realität weiterhin verstellen, dann bleibt ... die Gewißheit, daß aus der Mehrzahl der um Auskunft gebetenen jungen Leute recht brave Bürger der Bundesrepublik Deutschland werden, die weiterhin dogmatischem Antikommunismus folgen (S. 16/17).



    Dirk Sager war damals einer derjenigen, die unser - auch mein - Bild von der DDR prägten. Besonders großes Vertrauen hatte ich auch in die Berichte von Marlies Menge für die "Zeit", die noch einen Tick positiver waren als die Sagers.

    Wie konnte es sein, daß alle diese linken und linksliberalen, meinungsprägenden Journalisten, die doch zum Teil selbst in der DDR lebten, ein so abwegiges Bild von diesem Land hatten? Unrealistischer als das westdeutscher Schüler?

    Ich kann das bis heute nicht verstehen.

    Sie lebten in Wahrheit natürlich in einem Ghetto, rund um die Uhr vom MfS überwacht. Jeder DDR-Bürger, der mit ihnen sprach, wußte, daß er nicht unbefangen reden konnte. Mit normalen Bürgern sprachen sie kaum jemals; ihr Bild der DDR bezogen sie überwiegend von Offiziellen und Intellektuellen.

    Aber dennoch - wie konnten sie die Wirklichkeit dieses Staats schlechter erkennen als politisch interessierte Schüler?

    Ich weiß es nicht. Aber mir scheint: Das war - und ist - das Elend des Meinungsjournalismus. Journalisten, die nicht primär hinter der Wahrheit her sind, egal, wie sie aussieht. Keine Reporter des Typus, wie ihn herausragend zum Beispiel der unbestechliche Gerd Ruge verkörperte. Sondern Leute mit einem "Anliegen", mit einem mehr oder weniger geschlossenen Weltbild. Das sie dem Leser vermitteln, es ihm oft aufdrängen wollen.

    Anders ist die naive Freundlichkeit, mit der damals Journalisten wie Sager die DDR dargestellt haben, aus meiner heutigen Sicht nicht zu verstehen. Sie waren blind für das, was vor ihren Augen lag.

    Gut, daß - jedenfalls damals - sich die meisten jungen Leute einen Blick für die Wirklichkeit bewahrt hatten.

    4. Februar 2007

    Zettels Meckerecke: Hugo Chávez und sein deutscher Prof

    In einem Beitrag in B.L.O.G. hat Boche auf einen bemerkenswerten Artikel in der vorgestrigen "Jungen Welt" aufmerksam gemacht, in dem ein gewisser Heinz Dieterich die Vereinigung von PDS und WASG - nein, nicht einfach kommentiert, sondern gleich in einen "weltgeschichtlichen Kontext" stellt.

    Der Mann ist Professor. Also nur das übliche Schlagobers an Bedeutung und Tiefe, mit dem mancher deutsche Professor auch jeden noch so mickrigen Pudding zu zieren pflegt?

    Nein. Ich habe einmal nachgesehen, wer denn dieser Heinz Dieterich ist (und habe das in einem Kommentar zu dem B.L.O.G -Beitrag auch schon kurz berichtet). Was ich fand, war interessant, und es führt in der Tat in so etwas wie einen "weltgeschichtlichen Kontext".



    Unter dem Artikel in der "Jungen Welt" steht: Prof. Heinz Dieterich lehrt Soziologie an der Universidad Autónoma Metropolitana in Mexiko-Stadt.

    Auf deren WebSite läßt er sich in der Tat finden (als Heinz Steffan Dieterich), wenn auch mit sehr mageren Angaben: Als akademischer Grad wird "promoviert" angegeben, man findet eine Telefonnummer und eine Mailadresse und sonst nur noch die Angabe über den Forschungsbereich: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die Rubrik "Verzeichnis der Publikationen" ist leer.

    Ein Verzeichnis von Publikationen kann man aber auf der linksextremen WebSite Axis of Logic finden; dort heißt er auch Heinz Dieterich Steffan. Eine wissenschaftliche Publikation scheint nicht unter den dort verzeichneten Titeln zu sein; es sind journalistische, teils ausgesprochen agitatorische Schriften.

    Hier zum Beispiel schreibt Dieterich oder Dieterich Steffan (am 14. Juni 2006!!) über Deutschland: "The new doctrine of the German and Japanese sub-imperialisms (...) is a fascist doctrine in complete agreement with the logic once conceived by the most outstanding Nazi jurist, Carl Schmitt, to justify Hitler's war. "Die neue Doktrin des deutschen und des japanischen Sub- Imperialismus (...) ist eine faschistische Doktrin, die völlig mit der Logik übereinstimmt, wie sie einst von dem bedeutendsten Nazi- Juristen Carl Schmitt zur Rechtfertigung von Hitlers Krieg entworfen wurde".



    Starker Tobak, nicht wahr? Einfach nur grotesk? Ein Ewiggestriger? Ein spinnerter deutscher Kommunist, den es nach Mexiko verschlagen hat? Keineswegs. Der Mann hat Einfluß, und er verkehrt in den besten Kreisen.

    Die deutsche Wikipedia vermeldet: "Seine Thesen werden zur Zeit in Venezuela von Präsident Hugo Chávez im Zusammenhang mit der Bolivarianischen Revolution erörtert und propagiert. Ferner soll er das Vertrauen des Verteidigungsministers von Kuba, Raúl Castro, haben. Angeblich soll er an der venezolanischen Militärdoktrin mitgewirkt haben und einer seiner Freunde ist Raúl Baduel, der Oberbefehlshabers der venezolanischen Armee. Er gilt als ein inoffiziller Berater von Hugo Chavez."

    Die internationale Wikipedia sagt kürzer: "Dieterich is widely known as an advisor of the Venezuelan president Hugo Chávez". Dieterich sei weithin bekannt als Ratgeber des venezolanischen Präsidenten Chávez.



    Was nun rät Dieterich oder Dieterich Steffan dem Hugo Chávez? Das wird er gerade öffentlich ausplaudern, sollte man meinen. Aber es gibt ein Interview mit der "Jungen Welt" vom Januar 2006, das hier nachgedruckt ist. Mit erstaunlich offenen Worten. Einige Zitate:

    Über sein Verhältnis zu Chávez:
    ... haben sich immer neue Verbindungen ergeben, und ich habe einige Vorschläge und theoretische Konzepte produziert, die ihm wohl ganz plausibel erschienen und hilfreich waren in der konkreten Situation. (...) So ist es bei einer schönen Freundschaft geblieben, aus der Chávez das nimmt, was ihm nützlich erscheint. Z. B. hat er das Konzept eines "Lateinamerikanischen Machtblocks - Bloque Regional de Poder" übernommen, das ich geprägt habe. Auch der Begriff des "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" ist von mir (...).
    Über die venezolanische Militärdoktrin:
    Das wesentlich Neue daran ist geprägt durch die Erfahrungen seit dem Vietnamkrieg, den militärischen Widerstand im Irak und die Einsicht, daß eine so außerordentlich starke Militärmacht wie die USA nicht durch konventionelle Kräfte gebrochen werden kann, sondern nur durch das, was Mao den lang andauernden Volkskrieg nannte.
    Über den venezolanischen Weg zum Sozialismus:
    Meiner Ansicht nach kann man heute in Venezuela nur dasselbe machen wie Lenin in der Neuen Ökonomischen Politik. (...) Natürlich führt das nicht automatisch zum Sozialismus. Aber parallel werden die Strukturen für die Äquivalenzökonomie geschaffen. Das ist der entscheidende Unterschied: Es wird nicht erst die demokratische Revolution und dann irgendwann später die sozialistische gemacht, sondern beide Prozesse laufen parallel.
    Über die Machtübernahme:
    Ob schließlich die sozialdemokratisch-kapitalistische oder die sozialistische Richtung das Übergewicht bekommt, wissen wir nicht. (...) Und Chávez ist in dieser entscheidenden Situation. Die Machtübernahme ist weitgehend gelungen, wenn auch noch nicht so weit, wie wir es uns wünschen.




    Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik "Zettels Meckerecke". Hauptsächlich, weil er polemisch ist, gewollt polemisch, und sich insofern von den meisten Beiträgen unterscheidet.

    Aber eine Meckerei ist schon auch beabsichtigt:

    Jeder kann in den Zitaten nachlesen, daß in Venezuela nicht eine "linke Regierung" im Amt bestätigt wurde, sondern daß eine kommunistische Machtergreifung stattfindet. Falls man denn für das, was seit den vergangenen Wahlen im Gang ist, noch eine sozusagen offiziöse Bestätigung brauchte.

    Einen detaillierten Bericht über die Abschaffung der Demokratie in Venezuela finde man auch hier - auf einer Site, die das allerdings begeistert begrüßt; dort erfährt man auch, wie "Ermächtigungsgesetz" auf Spanisch heißt: Ley Habilitante.

    Wir Deutschen haben das 1933 erlebt, wie eine Regierung sich von einem eingeschüchterten Parlament per Ermächtigungsgesetz dikatorische Vollmachten geben ließ. Chávez folgt exakt diesem Vorbild, und dem Vorbild der kommunistischen Putsche in der SBZ und in Osteuropa.

    Damals haben viele weggesehen und so getan, als ginge sie das nichts an. Es scheint, daß es jetzt wieder genauso ist. Die Nonchalance in unseren Medien gegenüber diesem neuen Totalitarismus ist erschreckend.

    Ein Grund zum Meckern, oder nicht?

    3. Februar 2007

    Klimawandel, Unheilspropheten, Wissenschaft

    Das Klima hat sich immer geändert. Einen Klimawandel vorherzusagen ist also eine sichere Wette. Das Weltklima wird sich so gewißlich ändern, wie morgen wieder die Sonne aufgehen wird.

    Als die Diskussion über den Klimawandel begann, in den achtziger Jahren, war das den meisten wohl nicht bewußt. Viele Nicht- Klimatologen schienen die Vorstellung zu haben, daß der Normalfall ein konstantes Klima ist, und daß jeder Wandel nur eine Normabweichung sein kann, also etwas Schlechtes. Etwas, das man zu fürchten hat.



    Etwas, das man nicht nur einfach zu fürchten hat, sondern das man fürchten muß wie die Sünde. Denn den Klimawandel sah man kommen - ihn sahen jedenfalls die von der grün- ökologischen Weltsicht Erfaßten kommen - als eine Apokalypse.

    Der Mensch, er versündigt sich an der Natur, indem er ihre Ressourcen plündert und seinen Dreck in sie hineinbläst. Und dafür wird die Strafe kommen, in Gestalt eines Treibhauseffekts, einer Globalen Erwärmung. Einer Sintflut.

    Ja, einer Sintflut. Der "Spiegel" hatte damals, als das begann, eine Titelgeschichte, die diese religiöse Unterfütterung trefflich visualisierte: Eine Flut, aus der die Türme des Kölner Doms gerade eben noch herausragten, archengleich.



    Sie wird kommen, die Sintflut, die Klimakatastrophe - es sei denn, wir kehren um. Das predigten sie, die Nachfahren der biblischen Propheten, wie diese zottelbärtig, zelotisch, dabei irdische Macht keineswegs verachtend.

    Wie die biblischen Propheten forderten und fordern sie, wir sollten von unserer Gier ablassen - der Gier nach stromfressender Bequemlichkeit, nach Sprit fressenden Urlaubsflügen, nach weltlichem Tand ohne Rücksicht auf unser aller Mutter Gäa. (Da dringt dann ein wenig Heidnisches ins alttestamentarische Predigen ein, wie auch beim Verweis auf den "Häuptling Seattle" und sonst Erdverwurzeltes).




    Wie die meisten Liberalen habe ich in diesen beiden Jahrzehnten der "Klima- Diskussion" immer einen skeptischen Standpunkt vertreten.

    Eine Skepsis, die mir begründet erschien: Gewiß wird sich auch in Zukunft das Klima ändern, wie es sich immer geändert hat. Vor wenigen Jahrhunderten hatten wir ja beispielsweise noch eine Kleine Eiszeit. Vielleicht kommt als nächstes eine Erwärmung. Auch an sie werden wir uns anpassen. Für die Annahme einer Entwicklung, die sich als unbeherrschbar erweisen würde, schienen mir keine Anhaltspunkte vorzuliegen.

    Anfangs waren die Daten, auf die sich die düsteren Prophezeihungen stützten, geradezu erbärmlich unvöllständig und oft widersprüchlich (zum Beispiel zeigten die Satellitenmessungen keine Erwärmung, sondern eher eine Abkühlung). Es gab und gibt jede Menge Fehlerquellen (zum Beispiel die Ausdehnung der städtischen Siedlungen, die zu einer Änderung des Mikroklimas in der Umgebung vieler Meßstationen führen).

    Zudem ist das Wetter derart komplex - ja bekanntlich das Paradigma eines chaotischen Systems -, daß Extrapolationen außerordentlich riskant sind. Sie das jedenfalls damals waren, gegeben die seinerzeitigen simplen Modelle, auf Rechnern mit bescheidener Kapazität laufend.

    Immer wieder haben Klimatologen auf diese Sachlage hingewiesen und es abgelehnt, voreilige Schlüsse zu ziehen. "Jumping to conclusions", das ist nicht die Art guter Wissenschaftler.

    Dem stand und steht die unkritische, quasi- religiöse Gewißheit der Unheilspropheten gegenüber, zunehmend auch die Interessen einer wuchernden internationalen Klima- Bürokratie.

    Wer rational denkt, wer Politik nicht als Religionsersatz versteht; wer politisches Handeln als vernünftigen Interessenausgleich sieht und nicht als ein Unternehmen mit dem Ziel, das Böse aus der Welt zu verbannen, - der konnte und kann solchem quasireligiösen Raunen und Prophezeien, Drohen und Verheißen nichts abgewinnen. Er wird zu der Position neigen: Wir wissen viel zu wenig, um jetzt schon eine katastrophenähnliche Klimaänderung prognostizieren zu können.



    Nun ist aber ein caveat zu beachten. Die Negation von "Ich glaube, daß X der Fall ist" lautet: "Ich glaube nicht, daß X der Fall ist". Sie lautet nicht "Ich glaube, daß X nicht der Fall ist".

    Das Eine kann aber leicht ins Andere umschlagen. Die rationale, den Tatsachen angemessene Skepsis kann ihrerseits Glaubenscharakter bekommen. Ich habe dem zu widerstehen versucht, mich aber doch gelegentlich dabei ertappt, der Hypothese eines Nicht- Klimawandels größere Wahrscheinlichkeit einzuräumen als der Hypothese eines Klimawandels.

    Dennoch schien mir die Hypothese eines bevorstehenden Wandels allmählich wahrscheinlicher zu werden. Maßgeblich war, daß sich die Ergebnisse der Satellitenmessungen mit denen der Erdstationen vereinbaren ließen, ohne noch der Hypothese einer Erwärmung zu widersprechen. Maßgeblich war auch eine gewisse Konvergenz der Modelle. Am meisten überzeugt haben mich Beobachtungen wie der Rückgang der Gletscher, die Veränderungen in Flora und Fauna.



    Haben wir Skeptiker uns also geirrt? Nein. Wir haben uns zu Recht denen entgegengestellt, die damals, vor zwanzig Jahren, aus unzureichenden Daten viel zu weitreichende Behauptungen abgeleitet haben.

    Nun - nachdem wir um Größenordnungen mehr und bessere Daten haben, nachdem die Messungen und Beobachtungen von zwanzig Jahren hinzugetreten sind - sieht es so aus, als hätten sie mit ihren Befürchtungen richtig gelegen. Sicher ist das noch immer bei weitem nicht; aber es spricht wohl mehr dafür als dagegen, daß wir einer globalen Erwärmung relativ starken Ausmaßes entgegengehen, an der auch Emissionen ihren Anteil haben.

    Das ist halt immer auch eine Möglichkeit bei Propheten. Auch Kassandra behielt Recht.

    Nur haben viele Kassandras immer viele Ahnungen geäußert, die sich nicht bestätigten. Propheten ist nicht zu trauen. Ein blindes Huhn wird nicht dadurch zum erfolgreichen Futterpicker, daß es ein Korn findet.

    2. Februar 2007

    Marginalie: Schuldeinsicht und ihre Verweigerung

    Dies ist eine Marginalie zu einem Artikel von Philipp Wittrock in Spiegel- Online und zu einem Kommentar von Achim im Antibürokratieteam.

    Beide befassen sich mit dem im RBB erneut ausgestrahlten Interview von Günter Gaus mit Christian Klar, das ich leider nicht sehen konnte. Ich erinnere mich aber an die Erstausstrahlung. In einem Kommentar zu Achims Beitrag im "Antibürokratieteam" habe ich meine Erinnerung beschrieben.

    Achim artikuliert den Eindruck, den auch ich hatte: "Doch Klar bereut, adäquat einem anderen deutschen Täter nicht nur nichts, sondern zeigte im Gespräch nicht einmal Ansätze von Selbstkritik oder Einsicht, dass der mörderische Kampf der Rote Armee Fraktion gescheitert ist".

    In dem Kommentar von Philipp Wittrock heißt es:
    Im Interview präsentiert sich der Öffentlichkeit ein Gefangener - nicht nur im Knast von Bruchsal, vielmehr auch ein Gefangener seiner selbst. Die Mauern längst vergangener Tage endlich einzureißen, die er selbst um sich herum aufgebaut hat - das schafft Klar nicht. Auch dem Frage-Profi Gaus gelingt es nicht. (...) Tief verstört sei ihr Vater gewesen nach der Begegnung mit dem Mann, der von den Jahren der Haft schwer gezeichnet war, schreibt Bettina Gaus in der "taz". Ihr Vater habe keinen Sinn mehr darin gesehen, dass Klar weiter in Haft bleiben musste - weder den Sinn "der Resozialisierung noch den der Vereitelung weiterer Straftaten".
    Ich halte Günter Gaus für einen großen Journalisten. Seine Serien "Zur Sache" und "Zur Person" sind vorbildliche Beispiele für eine Interviewtechnik, die den Interviewten weder zu überfahren versucht, noch ihm die Stichworte liefert. Er hat sich als Interviewer um Verständnis und Kritik bemüht, um eine ehrliche Auseinandersetzung. Niemand nach ihm hat das so hinbekommen, wollte es vielleicht auch nicht.

    Ich nehme also ernst, was Günter Gaus geäußert hat. Aber ich bin einigermaßen sicher, daß auch dieser Linksliberale sich nicht frei machen konnte von seiner Sympathie für Linke, selbst wenn sie Massenmörder waren. Auch er hat nicht gesehen, daß der Graben zwischen Demokraten und Politverbrechern verläuft, und nicht zwischen Linken und Rechten.



    Ja, natürlich, es ist für einen ideologisch motivierten Mörder eine Katastrophe, einzusehen, daß er ein Mörder ist und kein Kämpfer. Gut möglich, daß Klar daran zerbricht, sich seine Schuld einzugestehen.

    Das hat man aber auch den Nazi-Mördern abverlangt, die ja auch meist ideologisch motiviert gewesen sind.

    Warum das nicht auch den RAF-Mördern abverlangen, die doch in ihrem elitären Denken, in ihrer Brutalität, in ihrer Menschenverachtung ("klägliche und korrupte Existenz beendet" als Beschreibung des Mords an Schleyer) dieselbe Mentalität hatten wie die Nazi- Verbrecher?

    Randbemerkung: Handball? Ach was - ich schreibe jetzt über Fußball

    "Schier aus dem Häuschen" war gestern Abend, laut Meldung der "Tagesthemen", wer? Der Bundespräsident Köhler, bisher nicht eben für Zustände der Exaltiertheit bekannt.

    Und warum? Weil eine Sportmannschaft gewonnen hat; unsere deutschen Handballer. Deutschland im Finale!, das war der Aufmacher der "Tagesthemen".

    Das Sommermärchen, so scheint es, hatte bei all der kollektiven Freude doch noch das hinterlassen, was Kurt Lewin ein "gespanntes System" nannte. Ein Weg auf den Gipfel war es gewesen, der aber ein paar Meter unterhalb des Gipfels geendet hatte. Der Job war nicht zu Ende gebracht worden. Das zieht, sagte Lewin, eine "Tendenz zur Wiederaufnahme" nach sich.

    Jetzt bietet sich uns dazu die Gelegenheit. Wenn auch verschoben auf eine andere Sportart, nicht so populär wie der Fußball. Aber immerhin. Wir erleben eine Wiederaufnahme des deutschen Rauschs im Sommer 2006.

    Ich kann aber leider mit dem Handball wenig anfangen. Dieses ewige Hin und Her, diese ständigen Tore. Also schreibe ich jetzt, sozusagen antizyklisch, etwas zum Fußball. Eine Randbemerkung; oder, genauer, zwei.



    Die erste betrifft das aktuelle Trainerkarussel. Heynckes tritt still ab von der Bühne, nach mißglücktem Comeback. Doll erwischt es nach langem, mit großer Geduld ertragenem Mißerfolg. Magath trifft es plötzlich und unerwartet.

    Nun kommen die Neuen, die die Alten sind; jedenfalls in München und in Hamburg. Werden sie Erfolg haben? Ja, mit großer Wahrscheinlichkeit.

    Für Wahrscheinlichkeiten ist die mathematische Wahrscheinlichkeits- Rechnung zuständig, und die mathematische Statistik. Sie sagt uns, daß es wahrscheinlich nach dem Trainerwechsel in allen drei Vereinen zu einer Verbesserung des Tabellenplatzes kommen wird.

    Ganz unabhängig davon, ob Hitzfeld in München, ob Magath in Hamburg, ob wer auch immer in Mönchengladbach ein Motivationswunder schaffen, ob sie mit neuen Taktiken Erfolge erreichen werden.

    Denn der "Effekt" eines Trainerwechsels ist ein klassisches Beispiel für das, was in der mathematischen Statistik die "Regression zur Mitte" heißt. Was das genau ist, kann man in dem verlinkten, guten Wikipedia- Artikel nachlesen. Ich will es an einem Beispiel erläutern, oder vielmehr an einer Einladung.



    Ich lade Sie ein, falls Sie Lust und ein wenig Zeit haben, mit einem Würfel den Weg eines Vereins in der Tabelle zu simulieren. Wir wollen annehmen, daß er bei Beginn unseres kleinen Experiments etwa in der Mitte steht, auf Platz 9.

    Würfeln Sie eine 1 oder 2, dann hat er gesiegt und rückt (so einfach wollen wir es uns machen) um einen Tabellenplatz nach oben. Würfeln Sie eine 3 oder 4, dann bleibt er auf seinem Platz. Wenn Sie eine 5 oder 6 würfeln, dann rutscht er um einen Tabellenplatz ab.

    Spielen Sie nun dieses kleine Simulationsspiel, indem Sie immer mit der rechten Hand würfeln. Das simuliert den Trainer bei Saisonbeginn - Magath in München, Doll in Hamburg usw. Spielen Sie das Spiel so lange, bis Ihr Verein auf Platz 15 steht. Irgenwann wird das der Fall sein - vielleicht bald, vielleicht müssen Sie auch etwas Geduld haben.

    Das Abrutschen auf Platz 15 bewirkt einen Trainerwechsel. Sie würfeln also ab jetzt mit der linken Hand. Spielen Sie noch einmal so viele Spiele, wie es bis zum Erreichen von Platz 15 gedauert hat. Auf welchem Platz stehen Sie?

    Sehr wahrscheinlich auf einem besseren Platz als 15. Der Trainerwechsel - der Wechsel der würfelnden Hand - hat geholfen.



    Meine zweite Randbemerkung geht noch einmal zum Handball und zum Fußball, im Vergleich. Der Fußball ist meines Erachtens zu Recht der weltweit beliebteste Mannschaftssport. Er ist es, weil er in vielerlei Hinsicht vermutlich das Optimale dessen bietet, was man von einem solchen Sport erwarten kann.

    Aber das brauche ich nicht aufzuschreiben. Ich habe das letzten Sommer getan, als das Fußballfieber groß, dieser Blog aber noch winzig klein gewesen ist, erst ein paar Tage alt und kaum gelesen. Deshalb erlaube ich mir einfach ein Selbstzitat, den Verweis auf diesen Beitrag von Anfang Juni 2006