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24. Januar 2009

Warum der Anschlag in Mumbai die Freiheit Osteuropas bedroht. George Friedmans geopolitisches Mosaik

Bei der juristischen Aufarbeitung der "Spiegel"- Affäre des Jahres 1962 tauchte die sogenannte "Mosaik- Theorie" auf.

Der "Spiegel" hatte damals nachgewiesen, daß alle Fakten in dem inkriminierten Artikel "Bedingt abwehrbereit", denen der Vorwurf des Landesverrats gegolten hatte, zuvor schon anderswo veröffentlicht gewesen waren. Dem wurde die Mosaik- Theorie entgegengehalten: Dadurch, daß er diese Fakten zusammengeführt habe, hätte der "Spiegel" eine "militärisch wesentliche Zusammenfassung" geleistet; und das sei Geheimnisverrat.

Als Vorwurf gegen den "Spiegel" war das damals einigermaßen absurd; aber in der Sache ist es so falsch nicht. Ein wesentlicher Teil der Arbeit von Geheimdiensten besteht darin, an sich bekannte Fakten so zusammenzuführen, daß neue Erkenntnisse entstehen.



Stratfor ist kein Geheimdienst, sondern verkauft Informationen. Allerdings ist es ein Informationsdienst, der seinen Abonnenten - und in beschränktem Umfang auch dem allgemeinen Publikum - Analysen anbietet, wie sie auch von Geheimdiensten erarbeitet werden. Eine besondere Rolle spielt auch hier das Zusammenführen von Informationen aus unterschiedlichen Quellen, aus weit entfernten Teilen der Erde. Das Erstellen eines Mosaiks aus Informations- Steinchen also.

Ein Musterbeispiel ist ein Artikel des Gründers und Leiters von Stratfor, George Friedman, der sich Anfang dieser Woche mit der geopolitischen Situation befaßte, wie Präsident Obama sie bei seinem Amtsantritt vorfindet. Titel: "Obama enters the Great Game" - Obama wird Teilnehmer des Große Spiels.

"Groß" ist dieses Spiel in zweierlei Hinsicht. Erstens, weil es um die globale Verteilung der Macht geht. Zweitens, weil in diesem Spiel voneinander geographisch weit entfernte Schauplätze eine Rolle spielen.

Friedman beschreibt ein Mosaik von Zusammenhängen und Abhängigkeiten. Wenn man ein Mosaik beschreiben will, muß man dessen zweidimensionales Muster linearisieren, wie es die Sprache nun einmal verlangt. Einen "Anfang des Fadens" gibt es eigentlich nicht. Aber man muß irgendwo anfangen. Friedman fängt bei den Anschlägen von Mumbai Ende November 2008 an.



Schon damals war - unter anderem von Stratfor - vermutet worden, daß die eigentliche Zielrichtung der Aktion das indisch- pakistanische Verhältnis war: Die Spannungen zwischen den beiden Ländern sollten so angeheizt werden, daß Pakistan gezwungen sein würde, Truppen an die Grenze zu Indien zu verlegen. Diese würden von der Grenze zu Afghanistan abgezogen werden müssen, also aus dem Operationsgebiet gegen die Kaida und die Taliban.

Die von Stratfor damals vorhergesagte Truppenverlegung hat inzwischen in der Tat stattgefunden, bisher aber glücklicherweise nicht zu der befürchteten Konfrontation geführt. Aber die Beziehungen zwischen Pakistan und Indien bleiben auch weiterhin gespannt. Die militärischer Lage im Grenzgebiet zu Afghanistan ist unsicherer denn je.

Und das nun - so Friedman - hat unmittelbare Konsequenzen für die Strategie, die Präsident Obama offensichtlich für Afghanistan plant: Nach dem Vorbild des Surge im Irak soll die Truppenstärke dort erhöht und sollen die Taliban so geschwächt werden, daß sie schließlich die Waffen niederlegen und sich in Teilen in die Regierung integrieren lassen.

Das verlangt einen verstärkten Nachschub nach Afghanistan.

Hier nun kommt die Geopolitik ins Spiel: Dieser Nachschub verläuft nämlich bisher überwiegend (zu rund drei Vierteln) über Pakistan. Das Benzin, die Munition, die Verpflegung und sonstige Nachschub- Güter werden in Karachi auf Laster geladen und auf zwei Routen (eine über den Khyber- Paß, die andere über das pakistanische Chaman in Richtung Kandahar) nach Afghanistan transportiert.

In dem Maß, in dem die militärische Lage in Pakistan unsicher wird, sind diese für die US-Operationen in Afghanistan lebenswichtigen Nachschub- Linien gefährdet. Obamas Surge- Strategie verlangt es deshalb, neue Wege für den Nachschub aufzubauen.



Damit wandert der geostrategische Blick nach Moskau. Denn es kommen, schreibt Friedman, im wesentlich zwei Routen in Frage: Die eine über Georgien bzw. die Türkei und Armenien, Aserbeidschan und Turkmenistan; die andere über Kasachstan und Usbekistan (siehe diese Karte).

Die zweite Route würde Kasachstan direkt über russisches Gebiet erreichen; die zweite würde durch die unter russischem Einfluß stehenden Staaten Turkmenistan und evtl. Armenien führen; möglicherweise auch durch Georgien.

Welche der Routen Obama auch wählt - er muß sich also mit den Russen ins Benehmen setzen. Die nur zustimmen werden, wenn diplomatischer Druck auf sie ausgeübt wird und/oder wenn ihnen ein für sie interessanter Preis gezahlt wird.

Damit kommt Osteuropa ins Spiel, und damit gewinnt die gerade beendete Erdgas- Krise ihren Stellenwert.

Was den Druck auf Moskau angeht, müßte er, meint Friedman, eigentlich von den Europäern kommen, die ja in Afghanistan ebenfalls militärisch engagiert sind und insofern dieselben Interessen an neuen Nachschub- Routen haben wie die USA. Es würde auch der von Präsident Obama angekündigten "multilateralen" Außenpolitik entsprechen, die Europäer in die Pflicht zu nehmen.

Nur sei deren Bereitschaft zu helfen gering. Zum einen seien sie in Afghanistan ohnehin nicht übermäßig engagiert. Und zweitens hätte ihnen Rußland, indem es den Gashahn zudrehte, gerade klargemacht, wie abhängig sie von Rußland sind.

Viel Druck könnten die Europäer auf die Russen gar nicht ausüben, selbst wenn sie wollten. Schreibt Friedman; und ich sehe nicht, daß man ihm widerprechen könnte.



Bleibt also, mangels einer Peitsche, das Zuckerbrot. Was könnte man den Russen als Preis für ihre Bereitschaft anbieten, einer der beiden neuen Nachschublinien zuzustimmen?

Friedman geht von einer Analyse aus, die auch in diesem Blog schon oft zu lesen war: Daß das vorrangige Ziel der russischen Außenpolitik seit dem Aufstieg Putins die Wiederherstellung des verlorenen Reichs (der Zaren, der Sowjets) ist; vorerst in Form einer Einflußzone.

Von der "Wiederherstellung einer russischen 'Einflußsphäre' dort, wo es einmal die Sowjetunion und ihre Satelliten gegeben hatte" habe ich im vergangenen November geschrieben; zu fast wörtlich derselben Einschätzung kommt jetzt Friedman: "Simply put, the Russians will demand that the United States acknowledge a Russian sphere of influence in the former Soviet Union" - einfach gesagt, würden die Russen verlangen, daß die USA eine russischen Einflußsphäre in der früheren Sowjetunion anerkennen.



Wie das aussehen könnte, schildert Friedman im Detail:
  • Keine Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die NATO

  • Keine amerikanischen Truppen in diesen beiden Ländern

  • Keine Stationierung größerer amerikanischer Verbände und keine größeren Stützpunkte in den NATO- Ländern Estland, Lettland und Litauen. Die Russen würden darauf drängen, das förmlich zu vereinbaren, was die westlich orientierten dortigen Regierungen schwächen und - das wäre das russische Ziel - rußlandfreundliche Regierungen an die Macht bringen könnte

  • Außerdem würden die Russen das geplante Raketen- Abwehrsystem in Tschechien und Polen ins Spiel bringen und Forderungen in Bezug auf Zentralasien stellen
  • Wird sich Präsident Obama hierauf einlassen? Er wird diese Zugeständnisse nicht öffentlich, nicht formell machen wollen, meint George Friedman. Aber genau darauf würden die Russen wohl beharren.



    Soweit eine Zusammenfassung des Artikels von Friedman. Mein eigener Kommentar dazu: Unter Präsident Bush hätten sich die Osteuropäer wohl keine Sorgen machen müssen. Er hat bis zuletzt einen Beschluß zur Aufnahme Georgiens in die NATO angestrebt. Wie sich Präsident Obama verhalten wird, weiß niemand, da bisher ja über seine Außenpolitik im wesentlichen nur bekannt ist, daß sie "multilateral" und irgendwie netter sein soll als die Bushs.

    Warten wir also ab. Jedenfalls liefert Friedmans Analyse aus meiner Sicht einen nützlichen Rahmen, um das einzuordnen und zu bewerten, was die Regierung Obama in Bezug auf Pakistan, Afghanistan, Rußland und Osteuropa in nächster Zeit unternehmen wird.



    Für Kommentare bitte hier klicken. Foto: Hoshie; der Public Domain zur Verfügung gestellt.

    10. Januar 2009

    Marginalie: Wie geht das eigentlich technisch - einem Land das Gas abdrehen? Und was sollen die Inspektoren eigentlich in der Ukraine inspizieren?

    Die Antworten kann man in Slate vom Donnerstag nachlesen:

    Was das Abdrehen angeht: Zum einen gibt es in einer Gasleitung Ventile, die im Abstand von einigen Kilometern angebracht sind, um zum Beispiel bei einem Leck oder zur Wartung das Gas abstellen zu können. Diese können die Russen - oder auch die Ukrainer - schließen.

    Zweitens (und interessanter) gibt es im Abstand von ungefähr hundert Kilometern Kompressor- Stationen. Das Gas verliert nämlich beim Transport an Druck, und dieser wird durch die Turbinen dieser Stationen wieder auf die erforderliche Höhe gebracht.

    Diese Turbinen nun werden ihrerseits mit Gas betrieben, das aus den Leitungen abgezweigt wird. Womit wir bei der zweiten Frage sind: Was sollen die Inspektoren inspizieren?

    Die Gaslieferungen aus Rußland nach dem übrigen Europa fließen durch dieselben Leitungen wie diejenigen in die Ukraine. Damit sie in Deutschland usw. ankommen, müssen die Kompressor- Stationen in der Ukraine arbeiten. Diese verbrauchen Gas.

    Die Russen behaupten, die Ukrainer hätten von den Gaslieferungen, die für Europa bestimmt gewesen waren, einen Teil für sich selbst abgezweigt. Diese entgegnen, sie hätten nur das Gas abgezweigt, das zum Betrieb der Turbinen erforderlich sei. Die Inspektoren sollen überwachen, was tatsächlich passiert.



    So jedenfalls erklärt es uns Jacob Leibenluft in Slate, und er hat dazu nicht einfach in der Wikipedia nachgesehen, sondern Experten befragt: Tom Miesner von Pipeline Knowledge and Development, Jonathan Stern vom Oxford Institute for Energy Studies und Brian Towler von der University of Wyoming.

    Das hat er gemacht für einen kleinen Artikel in Slate.

    Würde "Spiegel- Online" doch nur für einen langen Artikel wenigstens ein Drittel dieses Recherche- Aufwands investieren!



    Für Kommentare bitte hier klicken.

    17. August 2008

    Zitat des Tages: "Nach Georgien kommt die Ukraine dran". Sowie über militärische Aspekte der Invasion Georgiens

    For the first time since 1991, Russia has used military force against a sovereign state in the post-Soviet area. The world will not be the same. A new phenomenon is unfolding in front or our eyes: a re-emerging power that is willing to use force to guarantee it interests. The West does not know how to respond. (...)

    After Georgia is Ukraine. The EU and U.S. cannot take their eyes off Ukraine now. Russia will do everything possible to ensure that NATO will not offer Ukraine the chance to start accession talks in December.


    (Erstmals seit 1991 wendet Rußland in der nachsowjetischen Ära militärische Gewalt gegen einen souveränen Staat an. Die Welt wird nicht mehr dieselbe sein. Vor unsren Augen bildet sich ein neues Phänomen: Eine wieder aufstrebende Macht, die gewillt ist, ihre Interessen mit Gewalt sicherzustellen. Der Westen weiß nicht, wie er reagieren soll.

    Nach Georgien kommt die Ukraine dran. Die EU und die USA dürfen den Blick jetzt nicht von der Ukraine wenden. Rußland wird alles nur irgend Mögliche tun, um dafür zu sorgen, daß die Nato der Ukraine nicht die Chance gibt, im Dezember Beitrittsgespräche zu beginnen.)

    Pawel Swieboda, Direktor von demosEUROPA, einem Warschauer Forschungs- Institut, zitiert von Judy Dempsey in der gestrigen International Herald Tribune.

    Kommentar: Ich empfehle, die machtpolitische Analyse von Judy Dempsey zusammen mit Thom Shankers militärischer Analyse des Überfalls auf Georgien ebenfalls in der International Herald Tribune zu lesen (Titel: "Russian blitz melded old-school onslaught with modern military tactics" - "Der russische Blitzkrieg verband einen Angriff alter Schule mit moderner Militärtaktik").

    Auszüge daraus habe ich auch in Zettels kleinem Zimmer zitiert und kommentiert.

    Zusammen ergeben diese beiden Aspekte das Bild einer aufstrebenden Hegemonialmacht, die sich militärisch nicht auf die Konfrontation mit den USA oder China vorbereitet, sondern auf die Beherrschung ihrer "Nahen Nachbarn", also der Staaten, die zum zaristischen und dann zum kommunistischen Kolonialreich gehört hatten.

    Beim Aufbau einer Interventionsarmee, die diese Staaten rund um Rußland bedrohen und nach dem Vorbild der jetzigen Invasion nach Belieben besetzen kann, hat Rußland, wie man in dem Artikel von Thom Shanker nachlesen kann, große Fortschritte gemacht.

    Die Russen hätten sich, schreibt er, offenbar das neueste militärische Denken angeeignet und die militärtechnische Literatur der USA studiert; unter anderem hätten sie Lehren aus dem Irak- und dem jetzigen Afghanistan- Krieg berücksichtigt.

    Gelobt wird von den Fachleuten des Pentagon vor allem die gute Koordination von Bodentruppe und Luftwaffe; auch Spezialtruppen waren offenbar auf abchasischer Seite angelandet worden. Als militärische Schwachstellen werden schlechte Wartung der Flugzeuge und schlechte Ausbildung der Piloten genannt.



    Das wirklich Bemerkenswerte (und Besorgniserregende) an der russischen Aktion ist aber nicht diese militärische Schlagkraft für sich genommen, sondern deren Einbeziehung in ein koordiniertes Vorgehen. Shanker zitiert einen Beamten des Pentagon:
    "They seem to have harnessed all their instruments of national power — military, diplomatic, information — in a very disciplined way," said one Pentagon official (...) "It appears this was well thought out and planned in advance, and suggests a level of coordination in the Russian government between the military and the other civilian agencies and departments that we are striving for today."

    "Es scheint, daß sie alle ihre Instrumente nationaler Macht auf eine sehr disziplinierte Art miteinander verknüpft haben - Militär, Diplomatie, Medien", sagte ein Beamter des Pentagon (...) Es hat den Anschein, daß das im Vorhinein gut ausgedacht und geplant war, und es deutet bei der russischen Regierung auf ein Niveau der Koordination zwischen dem Militär und den anderen, zivilen Behörden und Ministerien hin, das wir heutzutage anstreben."
    Beeindruckend war es in der Tat, wie die Russen es schafften, in den ersten Kriegstagen weltweit ihre Master Narrative durchzusetzen, daß die Georgier aus heiterem Himmel Südossetien angegriffen hätten und die Russen lediglich zum Schutz dort wohnender Landsleute einmarschiert seien.

    Selten ist eine Lüge zur Rechtfertigung eines Angriffskriegs so unkritisch akzeptiert worden. Hätten die USA so etwas gewagt, dann wäre die Story innerhalb weniger Stunden geplatzt. Die weltweite Empörung, die Demonstrationen "betroffener" Friedensfreunde kann man sich ausmalen.



    Die Länder, die einmal zur UdSSR oder zum Warschauer Pakt gehörten, sind nicht zu beneiden. Auch wenn diejenigen, die in der Nato sind, etwas besser dran sind als jetzt Georgien.

    Aber wer soll eigentlich eines dieser Länder gegen eine Aktion der Russen nach dem jetzigen Vorbild schützen? Angenommen, diese würden - das wurde ja schon exerziert - in den baltischen Ländern Unruhen inszenieren, eine Bedrohung der dortigen russischen Minderheit behaupten und zu deren "Schutz" einmarschieren - würde dann die Bundeswehr den Überfallenen zur Hilfe kommen?

    Würde Frankreich mit dem Einsatz seiner Force de Frappe drohen? Würde ein Präsident Obama GIs in Marsch nach Riga oder Tallinn setzen? Würde die Nato auch nur den Verteidigungsfall ausrufen?

    Nein. Man würde, genau wie jetzt, vermeiden, von einem Angriff oder Überfall zu sprechen. Man würde, wie jetzt, den Russen ihre offenkundige Lüge abkaufen, sie seien nur in das Land gekommen, um Frieden zu stiften.

    Und man würde, statt sich in einen militärischen Konflikt mit unabsehbaren Folgen zu stürzen, die Russen mit ihrer Beute davonkommen lassen, so wie jetzt.

    Die baltischen Staaten werden dank ihrer Nato- Mitgliedschaft nicht die ersten sein, die es trifft. Polen und Tschechien haben sich durch die Abkommen zur Stationierung des US- Raketensystems fürs erste gerettet. Die Ukraine aber ist dran; siehe oben.

    Einmarschieren müssen die Russen gar nicht unbedingt. Es genügt, daß jeder weiß: Sie könnten es jederzeit. Schon das wird genügen, um die Ukraine ebenso zum Vasallen Rußlands zu machen, wie das für Georgien offenkundig vorgesehen ist.



    Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

    11. Februar 2007

    Rückblick: Putin 2007 und sein Iwanow

    In einem Beitrag gestern habe ich mich, wie ein freundlicher Kommentator schrieb, "rasanten Spekulationen über Putins Strategie des Machterhalts" hingegeben. Stimmt; jedenfalls was das Spekulative angeht.

    Heute nun lese ich in der SZ einen Gastbeitrag des russischen Verteidigungsministers Iwanow. Er stammt schon vom 7. Februar, war mir aber entgangen.

    Es ist wohl auch damals, Mitte letzter Woche, kaum über ihn berichtet worden. Im Licht des Auftritts von Putin scheint mir das, was Iwanow da schreibt, nun aber sehr aufschlußreich zu sein. Und auch hier und da die Spekulationen in meinem Beitrag zu bestätigen.

    Besonders interessant ist, was Iwanow über die Staaten schreibt, die einmal zum russischen Kolonialreich gehörten (Hervorhebungen von Zettel):
    Die Errichtung eines Raketenabwehr-Abschnitts nahe der russischen Grenze ist ein unfreundliches Signal. Es belastet die Beziehungen zwischen Russland und den USA, Russland und den Nato-Staaten sowie Russland und Polen (oder jedem anderen Land, das seinem Beispiel folgt). (...)

    Der Aufnahmeprozess neuer Mitglieder in die Allianz führt nicht nur zu einer Erweiterung ihrer Grenzen, sondern auch zur Vergrößerung ihres Interessengebiets. (...) Ich bin zutiefst überzeugt, dass die intensiven Gespräche, die auf einen Beitritt der Ukraine und Georgiens zur Nato abzielen, weder die Sicherheit in der Region noch die Sicherheit Russlands erhöhen.(...)

    Das führt zu ernsthaften Risiken und Problemen. (...) Estland und Lettland können als Präzedenzfälle dienen. (...) Selbst die "Demokratisierung" in diesen baltischen Staaten hat einen verdrehten Charakter angenommen. (...)

    In absurder Weise werden faschistische und nationalistische Ideen propagiert, wird die russischsprachige und insbesondere die ethnisch- russische Bevölkerung diskriminiert. Die politische "Blindheit" der Allianz in dieser Frage ruft bei uns, gelinde gesagt, Unverständnis hervor.
    Auch hier will ich die Parallele zu Hitler in den dreißiger Jahren nicht überstrapazieren - aber auch diesem hat damals die "Minderheitenfrage" immer wieder als Hebel gedient, um Druck auf kleinere Nachbarstaaten wie Polen und die Tschechoslowakei auszuüben.



    Sergej Iwanow (nicht zu verwechseln mit dem früheren russischen Außenminister Igor Iwanow) ist übrigens, wie Putin, ein alter KGB-Mann. Er trat schon im Alter von 23 Jahren, sofort nach Abschluß seines Studiums, in den KGB ein, absolvierte erst die KGB- Schule in Minsk und dann die Moskauer Führungsakademie des KGB. Er war dann in diversen KGB- Residenturen im Ausland im Einsatz, unter anderem in Helsinki und in Kenia. Auch nach dem Ende der Sowjetunion setzte er seine Karriere im KGB und späteren FSB fort; zum Schluß als dessen stellvertretender Leiter, direkt dem Leiter Putin unterstellt. 1999 ernannte ihn Jelzin zum Chef des russischen Nationalen Sicherheitsrats, und von dort wechselte er unter Putin ins Verteidigungsministerium.