19. Dezember 2007

Marginalie: Was steht wirklich in Castros Brief?

"Castro nimmt Abschied von der Macht", titelt die FAZ; und ähnlich lauteten gestern die Meldungen in nahezu allen Medien.

Diese Meldungen beziehen sich auf einen Brief, den Fidel Castro zur Verlesung in der montäglichen Talk- Show Mesa Redonda geschickt hat; einer Show, die auch von CubaVision übertragen wird und in der ich oft Castro als Gast seine Monologe habe halten sehen.

Was steht in diesem Brief? Geht man nach dem englischen Dienst der cubanischen Nachrichten- Agentur Prensa Latina, dann ist sein einziges Thema die Klimakonferenz von Bali. Unter der Überschrift "Fidel Castro Stresses Climate Change Accords" (Fidel Castro hebt die Vereinbarungen zum Klimawandel hervor) wird über Castros Sicht auf diese Konferenz berichtet:
The statesman emphasized that several heads of Third World governments fighting for their development met in that small Indonesian island to demand of the industrialized nations' delegates: equal treatment, financial resources and transference of technologies. (...)

Fidel Castro noted that after 12 days of vain persuasive efforts, US representative Paula Drobransky, sighing deeply, declared: "We join the agreement."

"It is obvious," the Cuban president said, "that the United States maneuvered to get around its isolation, although it absolutely did not change the empire's sinister intentions."

Der Staatsmann hob hervor, daß etliche Regierungs- Chefs der Dritten Welt, die für ihre Entwicklung kämpfen, sich auf dieser kleinen indonesischen Insel trafen, um von den Delegierten der industrialisierten Nationen dies zu verlangen: Gleichbehandlung, finanzielle Mittel und den Transfer von Technologien. (...)

Fidel Castro wies darauf hin, daß nach 12 Tagen vergeblicher Überzeugungs- Versuche die Vertreterin der USA, Paula Drobransky, mit einem tiefen Seufzer erklärte: "Wir treten der Vereinbarung bei".

"Es ist offensichtlich", sagte der cubanische Präsident, "daß die Vereinigten Staaten manövrierten, um aus ihrer Isolation herauszukommen. Aber das hat in keiner Weise die finsteren Absichten des Imperiums verändert".
Es ist schon interessant, wie unterschiedlich man eine solche Konferenz betrachten kann. Aus Castros Sicht stand dort nicht das Weltklima im Mittelpunkt, sondern die Forderungen der "Dritten Welt". Und die Botschaft seines Briefs war es, davor zu warnen, in dem Entgegenkommen der USA eine Änderung der "finsteren Absichten des Imperiums" zu sehen.

So weit also war das die xte Variante dessen, was alle Reden Castros beinhalten: Die gute "Dritte Welt" (so heißt das bei ihm immer noch) gegen den imperialistischen Satan USA. Sein Lebensthema, die Obsession dieses Mannes.



Ja, aber wie kommen denn die Agenturen dazu, etwas über "Castros Abschied" in diesen Brief hineinzulegen?

Man findet kein Wort davon im englischsprachigen Dienst von Prensa Latina. Aber der spanische Dienst druckt den Brief ungekürzt ab.

Der Vergleich zeigt, daß der englischsprachige Dienst den Text korrekt zusammengefaßt hat - allerdings nur knapp die ersten beiden Drittel.

Von den 13 Absätzen des Briefs befassen sich die ersten 8 mit diesem Thema. Es folgen zwei Absätze, in denen Castro, wie er es immer tut, noch einmal auf die USA losgeht.

Und dann die letzten drei Absätze mit einem neuen Thema:
Mi más profunda convicción es que las respuestas a los problemas actuales de la sociedad cubana (...) requieren más variantes de respuesta para cada problema concreto que las contenidas en un tablero de ajedrez. Ni un solo detalle se puede ignorar, y no se trata de un camino fácil, si es que la inteligencia del ser humano en una sociedad revolucionaria ha de prevalecer sobre sus instintos.

Mi deber elemental no es aferrarme a cargos, ni mucho menos obstruir el paso a personas más jóvenes, sino aportar experiencias e ideas cuyo modesto valor proviene de la época excepcional que me tocó vivir.

Pienso como Niemeyer que hay que ser consecuente hasta el final.

Es ist meine tiefste Überzeugung, daß die Antworten auf die gegenwärtigen Probleme der cubanischen Gesellschaft (...) mehr unterschiedliche Varianten für jedes konkrete Problem verlangen als diejenigen, die es auf einem Schachbrett gibt. Kein einziges Detail darf übersehen werden, und es handelt sich nicht um einen leichten Weg, wenn es so ist, daß die Intelligenz des menschlichen Seins in einer revolutionären Gesellschaft über seine Instinkte siegen muß.

Meine elementare Pflicht ist es nicht, an Lasten festzuhalten, und noch viel weniger, jüngeren Personen im Weg zu stehen, sondern Erfahrungen und Ideen beizutragen, deren bescheidener Wert sich von der außerordentlichen Epoche herleitet, die mein Leben ausmachte.

Ich glaube wie Niemeyer, daß man bis zum Ende konsequent sein muß.

Rechtfertigt das Schlagzeilen wie "Castro spricht von Rücktritt" ("Spiegel Online")?

Was an dem Brief, wenn man ihn zur Gänze liest, vor allem auffällt, das ist die Dichte der Fakten und Zahlen, die Castro - wie es seine Art ist - in diesem kurzen Text unterbringt.

Er will damit, wie immer, Kompetenz signalisieren. Er will seinen Untertanen zeigen, daß er alles durchschaut und alles im Griff hat. Das tut man nicht unbedingt in einem Brief, in dem man seinen Rücktritt ankündigt.

Im kommenden Jahr wird in Cuba der Präsident gewählt. Daß Castro dann noch einmal antritt, ist nie wahrscheinlich gewesen. Ein Rücktritt ist das nicht, wenn er als schwerkranker dann 82jähriger sich nicht mehr zur Wahl stellt.

Was der Brief wirklich zeigt, das ist Castros Entschlossenheit, auch über diesen Termin hinaus noch "bis zum Ende konsequent" zu sein. Sich also gerade nicht aufs Altenteil zurückzuziehen.

Wie er sich das vorstellt, das deutet er an, wenn er von "Jüngeren" spricht, denen er nicht im Weg stehen will. Sein Bruder Raul, der jetzt die Geschäfte führt, ist nicht viel jünger als er. Auch die sonstigen Machtpositionen im Partei- und Staatsapparat sind, wie in jeder kommunistischen Dikatur, mit Revolutionären besetzt, die mit der Revolution alt geworden sind, aber nicht von der Macht lassen können.

Wen also meint Castro mit "Jüngeren"?

Ich habe da eine Vermutung. Hugo Chávez, der im Oktober so durch Cuba reiste, als sei er bereits der Präsident einer Union aus Venezuela und Cuba, wird nächstes Jahr 54.

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