28. Dezember 2007

Zettels lobender Jahresrückblick (2): Walter Kempowskis Ruhm. Spät, aber noch rechtzeitig

Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze, heißt es. Dem Dichter schon, sollen wir uns dazu denken. Nur, was haben sie von den Kränzen, die ihnen die Nachwelt flicht, alle diese zu Lebzeiten Verkannten, diese Kleist, Fontane, Kafka, Arno Schmidt?

Manche andere ernten dagegen frühen Ruhm und sonnen sich in ihm ihr Leben lang. Gerhart Hauptmann, der als Dreißigjähriger "Die Weber" schrieb. Thomas Mann, der mit den "Buddenbrooks" berühmt wurde, als er noch keine dreißig war. Günter Grass, dem es mit der "Blechtrommel" ähnlich ging, da war er dreiunddreißig. Hochgeehrt ihr Leben lang alle drei; alle drei mit dem Nobelpreis bedacht.

Alle drei nicht nur in Hinsicht auf diesen frühen und anhaltenden Ruhm in den Fußstapfen Goethes sich bewegend, sondern jeder, auf seine Art, auch mit der Allüre eines deutschen Dichterfürsten. Ob sie, ob auch nur einer von ihnen auf Dauer von der Nachwelt Kränze geflochten bekommen wird, weiß man freilich nicht. Ich habe da meine Zweifel.

Reden wir jetzt aber von den anderen, den Nicht- Fürsten.

Daß Kleist, daß Kafka zu Lebzeiten "verkannt" blieben, mag sich schlicht darin begründen, daß eben ihre Lebenszeit zu kurz bemessen war. (Vielleicht, vielleicht auch nicht - als hochgeehrte, vom Thron des Meisterdichters herab uns grüßende Bekränzte kann ich sie mir beide nicht so recht vorstellen, selbst wenn sie das Greisenalter erreicht hätten).

Bei anderen, wie Fontane, Robert Walser, Arno Schmidt lag es wohl teils an ihrer Sprödheit, daß sie es nicht zur Berühmtheit zu Lebzeiten brachten; teils mag eine Rolle gespielt haben, daß ihre Kunst nicht den Moden ihrer Zeit entsprach.



So war es auch bei Walter Kempowski, der am 5. Oktober dieses Jahres an Darmkrebs starb.

Nein, nur fast war es so. Denn kurz vor seinem Tod erlebte Walter Kempowski noch die Genugtuung, die ihm zeitlebens verwehrt geblieben war:

Jetzt, jetzt auf einmal in diesen letzten Jahren, folgte Ehrung auf Ehrung. 2005 erhielt er den Thomas- Mann- Preis der Stadt Lübeck, den Hans- Erich- Nossack- Preis des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und den Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten, 2006 den Hoffmann- von- Fallersleben- Preis und - endlich! - den Kulturpreis des Landes Mecklenburg- Vorpommern.

Und in diesem Jahr 2007 wurde er Ehrenmitglied der Freien Akademie der Künste in Hamburg. Und es wurde in der Berliner Akademie der Künste eine Ausstellung zu ihm und seinem Werk eröffnet; der Bundespräsident hielt die Laudatio.

Ich habe damals, im Juni, diese Ausstellung zum Anlaß genommen, eine Würdigung Walter Kempowskis zu schreiben. Ich hatte einen solchen Anlaß gesucht, weil ich mir vorgenommen hatte, mit der Hommage nicht bis zu seinem abzusehenden Tod zu warten. Denn was hat jemand davon, wenn er nach seinem Tod gelobt und gewürdigt wird?

Nein, ich hoffte, daß Kempowski den Text lesen würde, und machte ihn deshalb darauf aufmerksam. Er antwortete sehr freundlich, wenn auch die leise Verbitterung mitschwang, die er immer wieder durchblicken ließ. Ich denke, ich kann jetzt, wo er tot ist, aus seiner Antwort zitieren: " ... ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihr Manuskript! Es ist immer interessant, wie andere Menschen kundig über mein Werk schreiben. Vor Tische las man's anders!"

Ja, so hat er es empfunden: "Vor Tische", also bis zu diesen letzten Lebensjahren, war er abseits gestellt worden; als einer, der nicht links genug war, der nicht den erwarteten Kotau vor den Großen des Kulturbetriebs machte. In einem seiner letzten Interviews, das er im Juli mit Peer Teuwsen von der "Weltwoche" führte, hat er das noch einmal gesagt:
Ich wurde nicht mal anerkannt als politischer Häftling. Ich musste als Krimineller rumlaufen und konnte doch Beamter werden, dank einem netten Schulrat. Als ich die zwanzig Jahre rumhatte, weckte ich meine Frau und sagte: So, jetzt ist die Sache verjährt. Ich habe wirklich gelitten unter der Missachtung und unter dem Verschweigen. Es gibt noch heute Zeitungen, in denen ich überhaupt nicht erwähnt werde.
Und an anderer Stelle des Interviews: "Ich bin konservativ und liberal, und das darf man in Deutschland nicht sein".

Das klingt bitter. Umso schöner, umso gerechter, daß er wenige Monate vor seinem Tod die Eröffnung der Berliner Ausstellung erleben konnte. Dem Deutschlandradio Kultur sagte er am Vorabend der Eröffnung, in seinem Leben habe es viele schöne Momente gegeben. "Der schönste wird morgen sein."

Für Kommentare und Diskussionen zu diesem Beitrag ist in "Zettels kleinem Zimmer" ein Thread eingerichtet. Wie man sich dort registriert, ist hier zu lesen. Registrierte Teilnehmer können Beiträge schreiben, die sofort automatisch freigeschaltet werden.