5. Dezember 2007

Nuklearrüstung des Iran: Was steht wirklich im Bericht des DNI ?

Eine seltsame Geschichte ist das, in jeder Hinsicht.

Zunächst einmal, was die Reaktionen auf diese Presse- Erklärung mit dem Titel "Iran: Nuclear Intentions and Capabilities" ("Iran: Nukleare Absichten und Fähigkeiten") angeht, verfaßt vom DNI, dem Amt des Director of National Intelligence der USA. Diese Presse- Erklärung ist eine Zusammenfassung des eigentlichen Berichts, auf neun Seiten kondensiert.

Eines Berichts, dem - jedenfalls einigen seiner Aussagen in der verstümmelten Form, in der sie ihren Weg in die Agenturen gefunden haben - von unseren Medien ein fast kindliches Vertrauen entgegengebracht zu werden scheint.

Seltsam, nicht wahr? Denn die US-Geheimdienste haben bei uns ja eigentlich eine notorisch schlechte Presse. Man traut ihnen nicht; macht ihre Fehlinformationen gar für den Irak- Krieg verantwortlich. Und nun auf einmal - keinerlei Zweifel am Bericht des DNI !

Selbst die kommunistische "Junge Welt", die sonst nicht eben von Vertrauen in die US-Geheimdienste getragen ist, gibt sich derart von der Richtigkeit dieses Berichts überzeugt, daß sie Präsident Bush bereits als aus dem "direkten Umfeld seiner Administration als Lügner bloßgestellt" darstellt.



Das ist natürlich so wahr wie das meiste, was Kommunisten schreiben; also ein leere Behauptung. Nichts in dem Bericht, den ja jeder nachlesen kann, besagt oder impliziert auch nur im Geringsten, daß Bush gelogen hätte.

Der Bericht ist aber schon interessant, nur in einer ganz anderen Hinsicht.

Seltsam ist nämlich nicht nur, wie er in Deutschland anscheinend ein wundersames Vertrauen in die Treffsicherheit amerikanischer Geheimdienste geschaffen hat.

Sondern noch seltsamer, ja fast sensationell ist das geringe Vertrauen, das diese Geheimdienste, folgt man dem Bericht, in ihre eigenen Erkenntnisse haben.



Der Bericht enthält ziemlich am Anfang einen längeren Abschnitt, der eine Art Gebrauchsanweisung ist - und zwar mit der offenkundigen Absicht, alles an Erklärendem zu liefern, damit nur ja der DNI nicht mißverstanden werde.

Die Überschrift lautet "What We Mean When We Say: An Explanation of Estimative Language" - "Was wir meinen wenn wir [etwas] sagen: Eine Erklärung der Einschätzungs- Sprache".

Und das liest sich dann fast wie aus einer Einführung in die sprachanalytische Philosophie entnommen:
In all cases, assessments and judgments are not intended to imply that we have "proof" that shows something to be a fact or that definitively links two items or issues.

In addition to conveying judgments rather than certainty, our estimative language also often conveys 1) our assessed likelihood or probability of an event; and 2) the level of confidence we ascribe to the judgment.

In allen Fällen sind Einschätzungen und Beurteilungen nicht in dem Sinn zu verstehen, daß sie implizieren, daß wir den "Beweis" hätten, der etwas als ein Faktum ausweist oder der zwei Punkte oder zwei Themen definitiv miteinander verknüpft.

Wir bieten nicht nur Beurteilungen anstelle von Gewißheit, sondern unsere Einschätzungs- Sprache bietet oft auch 1) die von uns bestimmte Gewißheitsstufe oder Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses; 2) den Grad der Zuverlässigkeit, die wir einer Aussage zuschreiben.
Das wird dann im Einzelnen aufgedröselt, indem so etwas wie Ordinalskalen definiert werden:
Terms such as probably, likely, very likely, or almost certainly indicate a greater than even chance. The terms unlikely and remote indicate a less then even chance that an event will occur; they do not imply that an event will not occur.

Terms such as might or may reflect situations in which we are unable to assess the likelihood, generally because relevant information is unavailable, sketchy, or fragmented. Terms such as we cannot dismiss, we cannot rule out, or we cannot discount reflect an unlikely, improbable, or remote event whose consequences are such that it warrants mentioning.

Begriffe wie wahrscheinlich, sehr wahrscheinlich, höchstwahrscheinlich stehen für eine Wahrscheinlichkeit größer als eins zu eins. Die Begriffe unwahrscheinlich und entfernt wahrscheinlich stehen für eine Wahrscheinlichkeit geringer als eins zu eins, daß ein Ereignis eintreten wird; sie implizieren nicht, daß ein Ereignis nicht eintreten wird.

Begriffe wie könnte oder mag spiegeln Situationen wider, in denen wir die Wahrscheinlichkeit nicht abschätzen können, in der Regel deshalb nicht, weil die erforderliche Information fehlt, sie vage oder unvollständig ist. Begriffe wie wir können nicht zurückweisen, wir können nicht ausschließen oder wir können nicht ablehnen spiegeln ein nicht wahrscheinliches, unwahrscheinliches oder ein Ereignis von entfernter Wahrscheinlichkeit wider, dessen Konsequenzen derart sind, daß es eine Erwähnung wert ist.

Genug. Lieber Leser, seien Sie mir nicht böse, daß ich Ihnen diese Textpassagen zugemutet habe (die, z.B. in ihrer Unterscheidung von Objektebene und Sprachebene, von - ihr zugeordnet - likelihood und confidence schon gewisse philosophische Grundkenntnisse voraussetzen). Ich habe es getan, weil sie den Schlüssel zu dem ganzen Dokument liefern:

Es ist nämlich ein Kind der Irrtümer, die den US-Geheimdiensten im Vorfeld des Irak- Kriegs unterlaufen sind. So, wie die Einrichtung des DNI selbst eine Antwort auf die tiefe Krise gewesen ist, in die ihre falschen Informationen über die Waffen Saddam Husseins die Dienste gestürzt hat, so ist auch dieser Text Ausdruck der Reaktion auf das damalige Trauma.

Es liest sich nicht wie die selbstbewußte Lagebeurteilung von Top- Spionagechefs, deren global agierende James Bonds sie mit den Interna aller Regierungen dieser Welt versorgen, sondern eher wie ein Paper von blassen Forschern, die bei ihrer Initiation tief in alle Wasser wissenschaftlicher Vorsicht und Skepsis getaucht worden sind.

Die da schreiben, sind gebrannte Kinder, die sich dem Feuer jetzt nur noch in Asbest- Kleidung nähern, am einen Arm einen Eimer Löschwasser und in der anderen Hand eine Feuerpatsche.



Und was sagt nun dieses Dokument über die Nuklearrüstung des Iran? Nichts Gewisses; damit werden Sie, wenn Sie bis hierhin gelesen haben, schon gerechnet haben. Schon gar nicht - wie schon erwähnt - irgend etwas, das Präsident Bush der Lüge überführen würde.

Sondern es werden einige Einschätzungen vorgenommen, die mit unterschiedlichen Zuverlässigkeits- Prädikaten versehen werden.

Die (aus meiner Sicht) wichtigsten:
We judge with high confidence that in fall 2003, Tehran halted its nuclear weapons program, we also assess with moderate- to- high confidence that Tehran at a minimum is keeping open the option to develop nuclear weapons. (...)

Wir urteilen mit hoher Zuverlässigkeit, daß Teheran im Herbst 2003 sein Atomwaffen- Programm unterbrochen hat, wir stellen ebenso mit mittlerer bis großer Zuverlässigkeit fest, daß Teheran die Option, Atomwaffen zu entwickeln, zumindest offenhält. (...)

We assess with moderate confidence Tehran had not restarted its nuclear weapons program as of mid-2007, but we do not know whether it currently intends to develop nuclear weapons (...)

Wir stellen mit mittlerer Zuverlässigkeit fest, daß Teheran sein Atomwaffen- Programm in der Mitte des Jahrs 2007 noch nicht wieder aufgenommen hatte, aber wir wissen nicht, ob es gegenwärtig die Entwicklung von Atomwaffen beabsichtigt (...)

Iranian entities are continuing to develop a range of technical capabilities that could be applied to producing nuclear weapons, if a decision is made to do so. (...)

Iranische Einrichtungen entwickeln weiter eine Palette technischer Fähigkeiten, die verwendet werden könnten, um - wenn eine solche Entscheidung getroffen wird - Atomwaffen zu produzieren.

We do not have sufficient intelligence to judge confidently whether Tehran is willing to maintain the halt of its nuclear weapons program indefinitely while it weighs its options, or whether it will or already has set specific deadlines or criteria that will prompt it to restart the program.

Wir haben nicht genügend Erkenntnisse, um zuverlässig beurteilen zu können, ob Teheran willens ist, die Unterbrechung seines Atomwaffen- Programms auf unbestimmte Zeit aufrechtzuerhalten, während es seine Optionen abwägt, oder ob es bestimmte Termine oder Kriterien setzen wird oder schon gesetzt hat, die eine Wiederaufnahme des Programms auslösen werden.



Das ist das Wichtigste, in der gebotenen Kürze. Ich empfehle Ihnen sehr, den ganzen Text dieses Dokuments zu lesen. Und das dann mit dem zu vergleichen, was in den deutschen Medien berichtet wird, was von Kommentatoren landauf, landab behauptet wird.

Ja, kann man denn überhaupt keinen zuverlässigen Bericht über dieses Dokument lesen? Doch. Zum Beispiel den von Scott Horton in Harper's Magazine.



Nachtrag: Und - eben entdeckt - von Michael Kreutz im Transatlantic Forum.

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