28. Dezember 2007

Kennedy, Rabin. Jetzt Bhutto

Es gibt politische Morde, deren Bedeutung in ihrem Symbolwert liegt. Der Mord an Kennedy zum Beispiel, der wenig am Gang der amerikanischen Politik änderte, der aber die Welt aufwühlte, weil er das Ende der relativen Sicherheit der Nachkriegszeit signalisierte, den Einbruch des Verbrechens in die politische Welt der fünfziger, der frühen sechziger Jahre.

Es gibt Morde an Politikern, deren Bedeutung mehr eine unmittelbar politische ist. Der Mord an Yitzak Rabin ist ein Beispiel. Rabin war der einzige gewesen, der als Kriegsheld bei den Israelis ein solches Vertrauen genoß, daß er einen Ausgleich mit den Arabern wagen konnte und ihn hätte durchstehen können; auch mit großen Opfern auf der Seite Israels. Mit dem Mord an ihm war der Prozeß von Oslo gescheitert, auf israelischer Seite. Daß er auf der arabischen Seite in der Zeit danach noch viel gründlicher scheiterte, aus anderen Ursachen, ist freilich wahr.

Und es gibt Morde, die beides sind - von hohem Symbolwert und zugleich von massiver Bedeutung für die politische Lage. Das trifft, so fürchte ich, für den Mord an Benazir Bhutto zu.



In den kommenden Tagen wird viel darüber geschrieben und diskutiert werden, ob Benazir Bhutto nun die Lichtgestalt war, als die sie sich darstellte; die Frau, die sich für ihr Land einsetzte, obwohl sie das bequeme Leben einer Reichen im Exil hätte führen können. Oder ob sie so war, wie ihre Gegner sie sehen - eine Politikerin aus einer korrupten Familie, die sich an die Amerikaner verkaufte, um ihres persönlichen Vorteils willen.

Mir scheint diese Frage ziemlich unwichtig zu sein. Was den Mord an Frau Bhutto so bedeutsam, so im wahrsten Sinn schrecklich bedeutsam macht, das ist zum einen sein Symbolwert und es ist zum anderen die politische Situation, die nach ihm entstanden ist.

Benazir Bhutto war eine moderne Frau, die das moderne Pakistan verkörperte.

Das Pakistan der Mittel- und Oberschicht, die europäisch gebildet oder mindestens durch die europäische Kultur beeinflußt ist; die Englisch als Muttersprache oder als zweite Sprache hat. Das Pakistan der Wissenschaftler und Geschäftsleute, die international vernetzt sind und die von einem Land träumen, das wie sein Nachbar Indien in das Kommunikations- Zeitalter eintritt.

Das Pakistan der Militärs auch, die in diesem Land eine ähnlich große Rolle spielen wie in der Türkei. Viele in Sandhurst ausgebildet; mit nicht nur britischem Drill in den Knochen, sondern auch britischen Ideen im Kopf.

Der Symbolwert des Mords liegt darin, daß mit Frau Bhutto dieses moderne, dieses nach vorn gerichtete Pakistan getroffen wurde; daß die Tat ein Triumph des islamistischen, des rückwärts gewandten Pakistan ist.



Zu diesem modernen Pakistan gehört auch Präsident Musharraf. Nur repräsentiert er, der Berufssoldat, nicht dessen liberale, weltoffene Seite. Für diese stand Benazir Bhutto.

Es scheint, daß die beiden einen Pakt geschlossen hatten; daß nach den Wahlen Bhutto Ministerpräsidentin unter dem Präsidenten Musharraf hätte werden sollen.

Dieses Bündnis hätte - vielleicht, man wird es jetzt nie wissen - das moderne Pakistan erfolgreich gegen die islamistische Bedrohung verteidigen können.

Gegen die Bedrohung durch das Bündnis auf der anderen Seite des political divide, des politischen Grabens, der Trennlinie. Gegen das Bündnis von Taliban und El Kaida; das Bündnis ideologischer Fanatiker mit den ungebildeten Massen; das Bündnis derer, die in den Stammesregionen Angst vor der Moderne haben und derer, die in den Städten zu den Verlierern der Gesellschaft gehören.

Der - von den USA, direkter noch von England unterstützte - Versuch, durch ein Zusammengehen zwischen Musharraf und Bhutto dieser Bedrohung zu begegnen, ist nun zu Ende, bevor er überhaupt begonnen hatte. Musharraf ist jetzt das letzte Bollwerk gegen die Islamisten in Pakistan. Ein brüchiges, ein vielleicht schon einstürzendes Bollwerk.



Die Parallele zum Mord an Yitzak Rabin erscheint offenkundig: Von einem Tag auf den anderen haben sich die grundlegenden politischen Gegebenheiten in einem Land geändert. Ein Weg, der erfolgversprechend erschien, ist verbaut.

Damit endet freilich die Parallele. Im Nahen Osten zerbrach mit dem Mord an Rabin der Friedensprozeß; aber es änderten sich nicht die Machtverhältnisse. Jedenfalls nicht fundamental. Das aber ist in Pakistan zu befürchten.

Eine demokratische Entwicklung ist auf absehbare Zeit ausgeschlossen; schon deshalb, weil kaum ein demokratischer Politiker sich bereitfinden wird, wie Benazir Bhutto sein Leben für seine politischen Ziele aufs Spiel zu setzen.

Jetzt heißt es, so unangenehm das ist: Musharraf oder der Islamismus. Präsident Bush wird nichts anderes bleiben, uns Europäern, sogar einer Präsidentin Clinton oder einem Präsidenten Obama wird nichts übrigbleiben, als Musharraf mit allen Mitteln zu unterstützen.

Nein, kein idealer Verbündeter, gewiß nicht. Aber der einzige, der jetzt noch verhindern kann, daß uns demnächst die El Kaida mit Atomwaffen bedroht.

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