31. Dezember 2007

Marginalie: Der Protest der Aleviten und der Niedergang des deutschen TV-Krimis

Eigentlich sehe ich gern TV-Krimis. So, wie ich auch gern Kriminalromane lese. Freilich bin ich da altmodisch. Ich kann keinen Fortschritt des Genres erkennen.

Ich habe nicht den Eindruck, daß Conan Doyle und Ellery Queen, daß Agatha Christie durch heutige Kriminal- Geschichten übertroffen würden, was die Kunst des Plots angeht, das Entwickeln einer überraschenden Lösung aus Clues heraus, die sorgsam ausgebreitet werden, sozusagen entlang des Wegs versteckt, den der Leser geführt wird. Da sind die Altmeister unübertroffen.

Wegen derselben Qualitäten schätze ich von TV-Krimis besonders die "Kommissar"- Serie von Herbert Reinecker, deren Geschichten fast immer glänzend konstruiert waren.



Reinecker hatte auch den Ehrgeiz, die Verhältnisse seiner Zeit zu zeigen und eine psychologisch glaubwürdige Geschichte zu erzählen. Wer wissen will, wie es in den siebziger Jahren in Deutschland zuging, der sollte sich "Kommissar"- Krimis ansehen. (Falls sie denn wieder einmal wiederholt werden; eine DVD-Ausgabe gibt es immer noch nicht).

Aber in diesen klassischen Krimis, den gedruckten wie den gefilmten, waren Zeitkolorit und Psychologie doch nur sekundär. Butter bei die Fische, die Ausstaffierung des Handlungsgerüsts. Zutaten, aber nicht das Eigentliche. Das Eigentliche war selbstverständlich die spannende Kriminalhandlung.

Bei vielen heutigen TV-Krimis scheint sich dieses Verhältnis umgekehrt zu haben. Nicht mehr das Menü ist das Wichtige, sondern die Tischdekoration.

Die Filmemacher haben ein Anliegen, eine Botschaft, wenn nicht gar ideologische Ziele. Die wollen sie unter die Leute bringen. Und als Köder verpacken sie sie in eine Kriminalgeschichte.

Zum ersten Mal ist mir das aufgefallen, als ich gemerkt habe, daß es eine neue Gattung gibt, den "Umweltkrimi". Manchmal noch mit der klassischen Leiche; aber das wahre Opfer ist in diesen meist öden Filmen natürlich immer die arme Umwelt. Ersatzweise Kinder, die vergiftet werden, weil jemand irgend etwas Schädliches in die Luft pustet, in den Fluß kippt oder den ahnungslosen Eltern verkauft.

Auch wenn es nicht um die Umwelt geht, sind die Täter in der Regel Leute aus dem Milieu des Klassenfeindes, sind "die Mörder dort zu finden, wo sie am seltensten vorkommen, bei den Unternehmern, deren Gattinnen oder zumindest den mißratenen Söhnen, dem reichen Bauer oder bei den tumben Skinheads", wie es C. im "Kleinen Zimmer" trefflich formuliert hat.



Wo kann man diese Instrumentalisierung, diese feindliche Übernahme des Krimis am ausgeprägtesten finden? Natürlich im öffentlich- rechtlichen Fernsehen.

Erstens, weil sich dort die 68er, inzwischen immer mehr ihre ideologischen Kinder und Enkel, tummeln. Zweitens, weil dort gute Quoten zwar auch gern gesehen, aber nicht so lebenswichtig sind wie bei den Privaten.

Damit bin ich beim Anlaß zu dieser Marginalie. Bei einem Thema, das ich vorgestern schon aus anderer Sicht kommentiert habe. Damals war es noch ein Randthema. Inzwischen hat es, dank der gestrigen Demonstration von Aleviten in Köln, die Titelseiten erreicht.

Die Regisseurin Angelina Maccarone, deren Interview mit der SZ ich bereits für den vorausgehenden Artikel verwendet hatte, hat sich jetzt noch einmal gegenüber der FAZ erklärt. Und was sie da sagt, scheint mir nicht nur für die Aleviten- Affäre von Interesse zu sein, sondern eben auch bezeichnend für den Niedergang des deutschen TV-Krimis.

Ich zitiere jetzt Frau Maccarone, weil dies nun einmal das aktuelle Beispiel ist; das soll keineswegs heißen, daß ihr etwas vorzuwerfen sei, was nicht ebenso vielen ihrer Kollegen und Kolleginnen vorgehalten werden kann.

Der Interviewer, Michael Hanfeld, fragt: "Wie haben Sie diese Geschichte entwickelt?" Angelina Maccarone gibt eine längere Antwort, aus der die folgenden Sätze stammen:
Ich wollte die Klischees vermeiden, die häufig eine Rolle spielen, wenn es um das Thema "Ehrenmord" geht. (...) Ich hatte mir vorgenommen, mit dem Klischee zu brechen, dass die türkischen Migranten in Deutschland eine einzige, homogene Gruppe seien, und wollte stattdessen aufzeigen, dass es verschiedene türkische Gruppierungen gibt und darin wiederum Individuen, die nicht unbedingt den Erwartungen der eigenen Gruppierung oder Familie entsprechen. (...) Ich wollte nichts simplifizieren, sondern die Vielschichtigkeit türkischen Lebens in Deutschland zeigen. Dabei geht es mir ganz besonders um die einzelnen Menschen als Individuen.
Und nachdem sie das dargelegt hat - man könnte sagen, das Exposé für eine Dokumentation über Türken in Deutschland oder für ein Doku- Drama - fällt Frau Maccarone noch ein Satz ein, mit dem sie diese Antwort beendet: "Mir ging es bei der Kriminalgeschichte natürlich auch darum, erst einmal ein paar falsche Fährten zu legen".

Natürlich. Natürlich auch. Es sollte ja ein "Tatort" gedreht werden. Irgendwie konnte man da letzten Endes auch nicht ganz auf die Dramaturgie eines Krimis verzichten. Aber ihre Aufgabe hat Frau Maccarone, die auch das Drehbuch schrieb, ganz offensichtlich nicht darin gesehen, eine spannende, raffinierte Krimi- Handlung zu erdenken.



Frau Maccarone ist bisher - ich habe das schon beschrieben und möchte insbesondere auf Maccarones Interview mit After Ellen aufmerksam machen - als Autorin von Filmen über Einwanderer- Schicksale, über Frauenthemen hervorgetreten. Sie hat für diese Arbeiten etliche Preise erhalten. Sie ist offenbar eine gute Regisseurin. Nur, eine Krimi- Regisseurin ist sie nicht.

Sie ist es, so scheint mir, auch durch "Tatort: Wem Ehre gebührt" nicht geworden.

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