20. August 2011

Zitat des Tages: "Die jungen Männchen waren fasziniert von den Morden". Jane Goodall über Krieg und Kannibalismus bei Schimpansen

ZEITmagazin: In Ihrem ersten Buch beschrieben Sie die Schimpansen noch als Wesen voll Fürsorglichkeit, Mutterliebe und Intelligenz. Und nun stellten Sie fest, dass Sie es mit Kannibalen zu tun hatten.

Goodall: Es war ein Schock. Ich hatte gedacht, sie sind wie wir, nur netter. Die erste Ahnung, wie brutal sie sein können, bekamen wir, als eine Studentin eine Schimpansenmutter beobachtete und zusehen musste, wie ein Weibchen einer Nachbargruppe die Mutter angriff und ihr Baby umbrachte. Die Angreiferin sah zu, wie das Opfer an den Wunden starb; anschließend verspeiste sie das Kind. Dann kam ein vierjähriger Krieg. Eine Gruppe von Schimpansen, die bis dahin friedlich zusammengelebt hatte, teilte sich, und die beiden neuen Gemeinschaften kämpften ums Territorium. Wann immer die Männchen ein Tier der anderen Horde erwischten, brachten sie es um.

ZEITmagazin: Bei Menschen nennt man das ethnische Säuberung – ein schrecklicher Ausdruck.

Goodall: Es war furchtbar zu sehen, wie ähnlich sie uns sind. Die jungen Männchen waren fasziniert von dem Morden. Sie wollten zusehen, wenn ein anderer starb.
Aus einem Interview des Wissenschaftsjournalisten Stefan Klein mit der Primatologin Jane Goodall im Magazin der aktuellen "Zeit".

Kommentar: Soviel zu der weitverbreiteten Legende, die Neigung von Menschen zu Krieg und Grausamkeit sei nicht angeboren, sondern das Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse.

"Ich hatte gedacht, sie sind wie wir, nur netter", sagt Goodall. Diese Vorstellung vom unschuldigen Schimpansen ist eine Variante des Glaubens an den Edlen Wilden in der Tradition Rousseaus, an die friedliche "Urgesellschaft" der Marxisten, gar an ein Ur-"Matriarchat".

Die Natur, der ursprüngliche Mensch werden in dieser Mythologie als gut angesehen; das Böse wird als etwas gedeutet, daß erst durch die Kultur (im Marxismus: die Arbeitsteilung; im Feminismus: die Herrschaft des Mannes) in die Welt kam. Also muß man - so lautet die Folgerung - nur Gleichheit unter den Menschen herstellen, und das Böse wird wieder verschwinden.

Das war und ist die Grundlage der Ideologie, unter deren Herrschaft das Böse im Menschen schreckliche Triumphe gefeiert hat; von Lenin und Stalin über Mao und Pol Pot bis Kim Jong-il.
Zettel



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