6. Januar 2008

Randbemerkung: Die Ausbreitung von Meinungen und die Schlager von Zarah Leander

Kaum etwas ist wichtiger für den politischen Erfolg in einer Demokratie, als seine Ideen zu verbreiten. Menschen dazu zu bringen, sie zu übernehmen und sie ihrerseits zu verbreiten.

Erstaunlicherweise ist über die Gesetze, nach denen das funktioniert, relativ wenig bekannt. Nach einer geläufigen Meinung, schreibt Julie J. Rehmeyer in der aktuellen Ausgabe von Science News Online, " ... a key reason some ideas are so successful ... is that a few highly influential people espouse them". Ideen hätten dann Erfolg, wenn einige sehr einflußreiche Menschen sie vertreten.

Aber stimmt das? Man kann empirisch an diese Frage herangehen, mit den Methoden der Sozialpsychologie. Man kann aber auch Modellrechnungen anstellen. Das haben Duncan J. Watts und Peter Sheridan Dodds in einer Simulations- Studie getan, die in der Dezember- Nummer des Journal of Consumer Research erschienen ist. Eine PDF-Datei mit dem vollständigen Text des Artikels kann hier heruntergeladen werden.



Speziell wollten die beiden Autoren eine seit Jahrzehnten als gültig betrachtete Theorie von Paul Lazarsfeld und Mitarbeitern testen, wonach für die Verbreitung von Ideen die sogenannten Influentials entscheidend sind, im Deutschen oft "Multiplikatoren" genannt. Menschen, die Ideen aufnehmen und die, weil sie besonders viel Einfluß auf ihre Mitmenschen haben, entscheidend für deren Verbreitung sind - zum Beispiel Journalisten, Lehrer, Professoren, Vorgesetzte, Imams.

Wie sehen solche Simulationsstudien aus? Man konstruiert eine kleine mathematische Welt aus "Knoten" (nodes), zwischen denen bestimmte Abhängigkeiten angenommen und quantifiziert werden. Also zum Beispiel: Wenn A der Nachbar von B ist und A eine bestimmte Meinung hat, dann erhöht das die Wahrscheinlichkeit, daß auch B diese Meinung übernehmen wird, um einen bestimmten Faktor x. Man nennt das positive externalities, positive Außen- Einwirkungen.

Aus solchen Knoten mit ihren wechselseitigen Abhängigkeiten kann man nun ganze Netzwerke bauen. Am Anfang einer Simulation stehen alle Knoten auf null, d.h. die durch sie simulierten Individuen sind neutral hinsichtlich einer Entscheidung zwischen, sagen wir, X und Y. Dann wird der "Funke gezündet": Einem der simulierten Individuen wird, sagen wir, die Meinung X gegeben. Wie wird sie sich verbreiten? Welche Rolle spielt es, wie stark bestimmte Meinungsführer sind (=wie sehr der ihrem Knoten zugeordnete Wert den in benachbarten Knoten beeinflußt)?

Man kann mit solchen Modellen viel herumspielen; sie sind sehr flexibel. Was sich bei den Simulationen von Watts und Dodds zeigte, war überraschend: Die Influentials, die Meinungsführer sind in vielen Fällen gar nicht so wichtig. Viel wichtiger ist es, daß es viele Individuen gibt, die alle eine große Bereitschaft haben, sich beeinflussen zu lassen, und die sich gegenseitig beeinflussen. Dann schaukeln sich "Kaskaden" hoch, die im Anfangszustand des Modells gar nicht vorherzusagen waren.

In bestimmten Fällen können allerdings die Meinungsführer einmal wichtig sein. Aber sie sind mehr wie Zündfunken. Wie sich ein Flächenbrand ausbreitet, meinen die Autoren, hängt nicht davon ab, wie stark die Zündkraft des Ereignisses ist, das ihn startet. Sondern kritisch ist, wie nah die Bäume zusammenstehen, wie brennbar sie sind, wie der Wind weht usw.



Als ich das Manuskript gelesen habe, ist mir Zarah Leander in den Sinn gekommen. Ein CD-Album mit allen ihren Liedern lag bei uns dieses Jahr auf dem Gabentisch.

Wenn man diese Schlager, Songs, Chansons hört, dann fällt es sehr schwer, zu sagen, welcher "gut" ist und welcher weniger. Die meisten haben eingängige Melodien. Sie werden mit Zarahs unnachahmlicher Stimme und Intonation mal geraunt und mal geschmettert. Alle gehen sie ins Ohr.

Warum wurde der eine ein Weltschlager und ist der andere vergessen? Was macht überhaupt solche Musik- Produktionen zu Erfolgen oder zu Flops? Man kann natürlich viele Faktoren aufzählen - die Bekanntheit des Interpreten, bestimmte Moden, das Marketing usw. Aber von erfahrenen Produzenten hört man immer wieder, daß sich der Erfolg eines Schlagers nicht programmieren läßt.

Im Sinn der Modelle von Watts und Dodds könnte man sagen: Es hängt erheblich von der zufälligen Konfiguration ab, welche Kaskaden entstehen und sich ausbreiten. Wichtiger als die Meinungsführer sind dabei diejenigen, deren Meinung "geführt" werden soll.

Sie reagieren immer wieder unpredictably, nicht vorhersagbar.



Und damit sind wir doch noch bei der aktuellen Politik angekommen: Was könnte solche nicht zu prognostizierende Kaskaden, Flächenbrände, Buschfeuer besser illustrieren als die Art, wie sich die Anhängerschaften von Mike Huckabee und Barack Obama in Iowa in den vergangenen Wochen entwickelt haben?

Und nun scheint sich die Kaskade, sich weiter hochschaukelnd, nach New Hampshire auszubreiten. Bis vor wenigen Tagen eine sichere Wette für Clinton. Heute ist die zweite Umfrage nach Obamas Sieg in Iowa publiziert worden. Diese Umfrage der American Research Group (ARG) gibt Obama einen Vorsprung von 12 Prozentpunkten vor Clinton, nachdem schon eine Umfrage des Rasmussen- Instituts sie mit einem Abstand von 10 Punkten vorn gesehen hat.

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