30. Dezember 2007

Zettels lobender Jahresrückblick (3): Die Nichtbegnadigung Christian Klars - eine richtige, eine wichtige Entscheidung

Formal ging es um einen Routine- Vorgang. Ein Lebenslänglicher reicht ein Gnadengesuch ein. Der Bundespräsident prüft es und entscheidet. Es ist eine Entscheidung nach Kriterien der Gnadenwürdigkeit, wie sie von früheren Präsidenten in ihrer Entscheidungs- Praxis entwickelt wurden. Unter anderem, daß jemand nicht gnadenwürdig ist, wenn er seine Taten erkennbar nicht bereut.

So weit war eigentlich alles einfach. Derjenige, der das Gnadengesuch gestellt hatte, zeigte keine Reue. Er hatte in einem zurückliegenden Gespräch mit Günter Gaus auf eine Frage nach seiner Schuld mit Unverständnis reagiert. Und er hatte in der Zeit, in der die Entscheidung über das Gnadengesuch anstand, eine Grußadresse an eine damals in Berlin tagende kommunistische Konferenz gerichtet. Darin fordert er, daß "die in Europa ökonomisch gerade abstürzenden großen Gesellschaftsbereiche den chauvinistischen 'Rettern' entrissen werden. Sonst wird es nicht möglich sein, die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden (...)".

Wer das zur Kenntnis nahm, der konnte damals - im Januar und Februar des Jahres - zu dem Schluß kommen, daß dieser Mörder seine Morde nicht nur nicht bereute, sondern daß er sie durch die poiitischen Ziele rechtfertigen wollte, die er und seine Genossen damit verfolgten.

Spätestens bei dem Gespräch, zu dem Präsident Köhler den Häftling Klar unmittelbar vor der Entscheidung in der JVA Bruchsal aufsuchte, muß auch Köhler zu dieser Überzeugung gekommen sein.

Klar hat kürzlich, in einem Interview mit der Wochenzeitung "Freitag", über dieses Gespräch berichtet:
Schließlich kam Köhler mit seiner Mission (...) Unsere Generation hätte der Vätergeneration doch immer vorgeworfen, ihre Verbrechen in der Nazi-Zeit immer beschwiegen zu haben, jetzt würden wir doch das gleiche machen. Ich habe diesem Vergleich widersprochen und ihm erklärt, dass ich nicht einverstanden bin, die RAF-Geschichte als Kriminalfall zu besprechen.
Deutlicher ging es kaum noch. Daß Köhler einen Mörder, der so zu seinen Taten steht, wie Klar das ganz unverhohlen sagte, nicht begnadigen konnte, liegt auf der Hand.



Dennoch hatte es über die Frage der Begnadigung eine heftige öffentliche Diskussion gegeben. Wer sich an sie erinnern möchte, den lade ich ein, die Beiträge nachzulesen, die ich damals zu diesem Thema geschrieben habe. Man findet sie am Ende dieses Artikels verlinkt.

Es war in dieser öffentlichen Diskussion viel von Verirrungen, ja von wirren Ideen die Rede; es war von Schuld die Rede und davon, ob man es Christian Klar zumuten könne, seine Schuld einzugestehen und damit einen großen Teil seines Lebens als einen fürchterlichen Irrtum anzuerkennen.

Ich habe das damals nicht so gesehen, und an meiner Beurteilung hat sich seither nichts geändert: Christian Klar hat in seinem Selbstverständnis als Kommunist gegen unseren Staat, unsere Gesellschaft, unsere Rechtsordnung gekämpft; und er tut es heute noch. Er wird es weiter tun, sobald er aus der Haft entlassen ist. Warum sollte ein Kommunist für das, was er im politischen Kampf tut, Schuld empfinden?

Die Bedingungen haben sich aus seiner Sicht geändert; insofern steht der "bewaffnete Kampf" heute nicht auf der Tagesordnung. Aber daß er Schuld auf sich geladen hat, als er Menschen tötete, dieser Gedanke liegt ihm fern. Er hat aus seiner Perspektive das getan, was die Pflicht des Revolutionärs ist: Die Revolution zu machen. So sieht man das als Kommunist.

Auch in diesem Punkt ist Klar jetzt, in dem Gespräch mit "Freitag", vollständig deutlich geworden. Dazu, warum "die RAF ins Leben gerufen worden" sei, sagte er:
Der authentische Grund ist der gewesen, (...) dass sich geschichtlich eine Möglichkeit gezeigt hat, revolutionäre Entwicklungen in Gang zu setzen. (...) Es ist einzig eine Betrachtungsweise aus der Perspektive einer Befreiung der besitzlosen Klassen. (...) Es ... gehört ...zum Bild, Kampfformen zu wählen, die eigentlich Kampfformen einer Minderheit sind. Eine politische Bewegung will was erreichen, will nicht nur protestieren und sozusagen die Macht anderen überlassen.
Das sagte Christian Klar vor einigen Tagen, publiziert vor einer Woche, in der Ausgabe des "Freitag" vom 21. Dezember 2007. Jeder Marxist- Leninist hätte es so oder ähnlich gesagt.



Im Rückblick kann man sich darüber verwundern, daß Anfang des Jahres die Frage, ob man jemanden begnadigen kann, der so denkt, überhaupt diskutiert wurde. Und man fragt sich, wie Christian Klar auf den Gedanken kommen konnte, er könne mit dieser Haltung zu seinen Taten begnadigt werden.

Was diese zweite Frage angeht, gibt Klar in dem Interview mit "Freitag" eine Auskunft: Günter Gaus habe ihn nach dem Interview nochmals aufgesucht und "die Idee gebracht, das Gnadengesuch zu stellen". Aber "trotz dieser kompetenten Fürsprache" sei "die Sache sehr schnell schwierig, zäh geworden". Offenbar glaubte Klar, Günter Gaus könne die Entscheidung des Bundespräsidenten maßgeblich beeinflussen. Dieser allerdings war damals Johannes Rau.

Was die damalige öffentliche Diskussion angeht, so ist inzwischen erkennbar, daß sie sich keineswegs nur aus dem Interesse der liberalen Öffentlichkeit, ihrer 68er Repräsentanten zumal, an Fragen der Aufarbeitung der siebziger Jahre, an Fragen von Schuld und Reue speiste. Sondern auch die Kommunisten selbst haben da kräftig mitgemischt.

Die "Rosa- Luxemburg- Konferenz", an die Klar seine "Grußbotschaft" richtete, hatte Mitte Januar stattgefunden; die Sache wurde aber erst im Februar einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Im Mai kam heraus, daß Klar diesen Text nicht aus eigener Initiative geschrieben hatte, sondern daß er dazu eingeladen worden war. Und zwar eingeladen auf Initiative jenes Heinrich Fink, der laut MfS- Dokumenten als IM jahrzehntelang aus der evangelischen Kirche an das MfS berichtet hatte.

Die Kommunisten meiden also heutzutage nicht nur nicht die Verbindung mit "Revolutionären" wie Klar, sondern sie suchen sie ganz offensichtlich. Welche Bedeutung sie Christian Klar beimessen, geht aus der "Dossier" genannten Zusammenstellung von Beiträgen zu Klar hervor, die die kommunistische "Junge Welt" ihren Lesern anbietet - rund dreißig Artikel allein im Jahr 2007!



Eine Begnadigung von Christian Klar trotz dessen Weigerung, seine Mordtaten als solche zu akzeptieren und seine Schuld einzugestehen, wäre ein nicht unerheblicher Propaganda- Erfolg gewesen.

Denn damit wäre ja nachträglich durch keinen Geringeren als den Bundespräsidenten das bestätigt worden, versehen mit amtlichem Brief und Siegel, was die RAF und ihre Sympathisanten immer behauptet hatten: Daß die Angehörigen der RAF, die Menschen töteten, nicht an den Maßstäben für gewöhnliche Mörder zu messen seien.

Eine solche Begnadigung hätte so verstanden werden können - und wäre von der kommunistischen Progaganda sicher so interpretiert worden -, daß der Staat jetzt eine Art Amnestie erläßt, daß er Frieden mit denen machen möchte, die damals zu "Mitteln des politischen Kampfs" griffen, die gegenwärtig nicht zeitgemäß sind.

Die Entscheidung Horst Köhlers hat das verhindert. Sie hat zum Ausdruck gebracht, daß in unserem demokratischen Rechtsstaat Politik und Verbrechen nichts miteinander zu tun haben, schon gar nicht der Mord als ein Mittel der Politik als weniger abscheulich gelten kann als ein Mord aus irgendeinem anderen Motiv. Deshalb war es nicht nur eine offensichtlich richtige, sondern auch eine für unser Land wichtige Entscheidung.

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