In Frankreich ist gestern die Regierung von François Fillon zurückgetreten. Also wird in Deutschland gemeldet, es werde nun einen neuen Premierminister geben. Man geht dabei davon aus, daß der Rücktritt eines Premierministers (so heißt er; nicht "Ministerpräsident") auch das Ende seiner Amtszeit bedeutet.
In FAZ.Net beispielsweise ist seit gestern Abend zu lesen:
Wenn in Deutschland ein Kanzler sein Amt niederlegt - also den Bundespräsidenten um seine Entlassung bittet, wie es bisher zweimal geschehen ist (Ludwig Erhard am 1. Dezember 1966; Willy Brandt am 6. Mail 1974) -, dann ist dies das Ende seiner Regierungszeit. Im Prinzip könnte er sich zwar irgendwann noch einmal um dieses Amt bewerben, aber das ist ungefähr so wahrscheinlich, wie daß Horst Köhler noch einmal Bundespräsident wird.
In Frankreich ist das anders. Die Verfassung vom 4. Oktober 1958 bestimmt in Artikel 8:
Das ist die balance of powers, das Machtgleichgewicht à la française: Gemäß dem Wortlaut der Verfassung ist der Premierminister in einer starken Position gegenüber dem ansonsten übermächtigen Präsidenten, weil er rein verfassungsrechtlich nur auf seinen eigenen Wunsch hin entlassen werden kann; und ebenso gegenüber dem Parlament, weil er von diesem nicht gestürzt werden kann.
Faktisch hat es sich allerdings so eingespielt, daß der Premierminister dem Wunsch eines Präsidenten entspricht zu demissionieren: Er gibt dem Präsidenten damit freie Hand für eine Umbildung des Kabinetts.
Der Präsident braucht dann nicht jeden einzelnen Minister zu entlassen, den er auszutauschen beabsichtigt, denn mit dem Rücktritt des Premiers endet automatisch auch die Amtszeit aller seiner Minister. Genauer formuliert: Der Premierminister kann gar nicht als Person zurücktreten; er kann beim Staatspräsidenten nur die Demission seines gesamten Kabinetts einreichen.
Wenn François Fillon gestern "zurückgetreten" ist, dann handelt es sich also lediglich um diesen formalen Akt der Demission seines Kabinetts. Ob er auch dem neuen Kabinett vorstehen wird oder nicht, ist damit keineswegs präjudiziert.
Hier finden Sie eine Liste der Premierminister der Fünften Republik. Stehen hinter den Namen Zahlen, dann bedeutet dies, daß der Betreffende mindestens einmal mit seinem Kabinett zurückgetreten ist und anschließend erneut zum Premierminister ernannt wurde.
Bereits de Gaulles zweiter Premierminister, Georges Pompidou, trat mit seinem Kabinett nicht weniger als dreimal zurück und bildete dann jeweils eine neue Regierung. Zweimal demissionierten Pierre Messmer, Raymond Barre, Pierre Mauroy und Jean-Pierre Raffarin; etliche weitere einmal.
Auch François Fillon ist bereits einmal zurückgetreten und danach von Sarkozy erneut zum Premier ernannt worden. Das erste Mal wurde er am 19 Mai 2007 ernannt und reichte bereits am 19. Juni 2007 die Demission seines Kabinetts ein. Am selben Tag ernannte ihn Nicolas Sarkozy erneut zum Premierminister.
Allerdings lag das nicht daran, daß Sarkozy seine frisch gekürte Regierung so schnell schon wieder umbilden wollte. Sondern nach der ersten Regierungsbildung hatten Wahlen zur Nationalversammlung stattgefunden; und es ist Usus - obwohl von der Verfassung nicht verlangt - , daß der Premierminister mit der Konstituierung einer neuen Nationalversammlung demissioniert.
Soweit die verfassungsrechtliche Lage und die Verfassungspraxis. Wie sieht es politisch aus? Hat der Staatspräsident Gründe, den Premier Fillon durch einen anderen - nach Lage der Dinge dann wahrscheinlich Jean-Louis Borloo - zu ersetzen?
Es wird immer wieder geschrieben, daß Präsident Sarkozy es seinem Premier François Fillon neide, daß dieser populärer sei als er selbst. Das mag schon sein; aber es ist gegenwärtig kaum möglich, als Spitzenpolitiker nicht populärer zu sein als Sarkozy. Auch Jean-Louis Borloo wäre das mit Sicherheit. Hier könnte also schwerlich ein Grund für einen Austausch des Premiers liegen.
Zweitens wird argumentiert, daß Borloo der Regierung ein "sozialdemokratischeres Profil" geben könne (siehe das obige Zitat aus "Zeit-Online"); was Sarkozy als Reaktion auf die Aufruhr der letzten Wochen allerdings vielleicht wünschen könnte. (Zu diesen Unruhen siehe Der heiße Herbst 2010. Was ist mit den Franzosen los?; ZR vom 21. 10. 2010).
In der Tat hat Jean-Louis Borloo alles andere als eine konservative oder gaullistische politische Vergangenheit. Er war in seiner Jugend Maoist, dann nach einer Zeit als erfolgreicher Anwalt erst Grüner, danach ein freischwebender Liberaler, der einmal auf der einen, dann wieder auf der anderen Liste kandidierte.
Noch im Wahlkampf 2007 unterstützte er nicht Sarkozy, sondern dessen Gegenkandidaten François Bayrou (siehe zu diesem interessanten Politiker Die Rechte, die Linke - und François Bayrou; ZR vom 27. 2. 2007). Nach seinem Sieg hat ihn Sarkozy im Rahmen seiner Politik der "Öffnung" ins Kabinett geholt, durch die auch der Sozialist Kouchner Außenminister wurde; zu Kouchner gleich mehr.
Für eine Öffnung zur Mitte hin würde dieser quirlige, hochbegabte Mann (er hat Studienabschlüsse in Philosophie, Jurisprudenz, Geschichte und Nationalökonomie) als Premier vielleicht schon sorgen. Aber qualifiziert ihn das zum Premierminister von Nicolas Sarkozy?
Quirlig und egozentrisch ist Sarkozy selbst genug. Er braucht einen ruhigen, zuverlässigen, sich selbst zurücknehmenden Menschen als seinen zweiten Mann. Einen, der effizient seine Pflicht tut, statt sich mit dem Staatspräsidenten um einen Platz im Rampenlicht zu streiten. Fillon verkörpert das perfekt. Borloo wäre das Gegenteil.
Nicolas Sarkozy ist immer für eine Überraschung gut. Ich will also nicht ausschließen, daß er im Lauf des heutigen Tages doch Borloo ernennt. Aber es würde mich wundern.
Es würde auch Arnaud Leparmentier wundern, der für Le Monde das Elysée (das französische Präsidialamt) beobachtet und dorthin offenbar ausgezeichnete Kontakte hat.
Wenn man ihm glauben will, dann ist die Entscheidung zugunsten von Fillon schon gefallen; Sarkozy werde sie am heutigen Sonntag bekanntgeben.
Borloo hätte er, schreibt Leparmentier, verschiedene Ministerien angeboten - das Außen-, das Justiz- oder das Umweltministerium. Borloo, der schon als der sichere neue Premier gehandelt worden war, hätte darauf nicht reagiert und zeige die Neigung, überhaupt "die Tür zuzuschlagen".
Zuzutrauen wäre das diesem eigensinnigen, brillanten, unabhängigen Mann, der jede andere Option hätte, als unbedingt Minister zu sein. (In den achtziger Jahren war der junge Borloo von Forbes als einer der bestbezahlten Anwälte der Welt eingestuft worden).
Ansonsten wird es wohl ein kräftiges Stühlerücken geben. Michèle Alliot-Marie könnte Außenministerin werden, nachdem sie als Verteidigungs-, Innen- und momentan Justizministerin schon fast alle anderen klassischen Ressorts durchlaufen hat. Rama Yade, Französin afrikanischer Herkunft, dürfte ihren Posten als Staatssekretärin für Sport verlieren, weil sie einmal auf einer Afrikareise Sarkozy die Schau gestohlen hat; für sie könnte die Französin nordafrikanischer Herkunft Jeannette Bougrab, eine liberale Moslemin, die diversité repräsentieren.
Und Außenminister Bernard Kouchner? Von ihm spricht niemand mehr. Falls Sie diesen Blog regelmäßig lesen, dann kennen Sie die Hintergründe. Ich habe darüber vor vier Wochen berichtet (Der außerordentliche Außenminister Bernard Kouchner wird sehr wahrscheinlich abtreten; ZR vom 15. 10. 2010).
Kouchner hat dem Staatspräsidenten sein handschriftliches Demissionsschreiben bereits am 25. August übergeben. Er wollte dann zunächst nur noch bestimmte Vorgänge im Außenministerium abschließen, bevor er offiziell zurücktreten würde. Wie es scheint, hat Sarkozy ihn überreden können, bis zur jetzigen Kabinettsumbildung zu warten.
Auch in Deutschland wird derzeit von einer bevorstehenden Kabinttsumbildung gemunkelt. Die Freiheit, die Nicolas Sarkozy und sein neuer (nach meiner Vermutung zugleich sein alter) Premierminister bei der Verteilung der Ressorts haben, besitzt eine deutsche Kanzlerin freilich nicht.
Anläßlich der letzten Kabinettsumbildung in Frankreich im Juni 2009 habe ich mich mit diesen unterschiedlichen Spielräumen befaßt (Kabinettsumbildung in Frankreich. Warum geht das nicht auch in Deutschland? Nebst einer Anregung für Schwarzgelb; ZR vom 24. 6. 2009).
Damals schien ein christlich-liberaler Sieg bei den Bundestagswahlen möglich, und ich habe die optimistische Hoffnung geäußert, daß eine solche Regierung aus zwei einander politisch nahestehenden Parteien ohne das Korsett eines überdetaillierten Koalitionsvertrags auskommen könnte, der beispielsweise auch regelt, wer welche Ressorts besetzen darf:
In FAZ.Net beispielsweise ist seit gestern Abend zu lesen:
Kaum zurück vom G20-Gipfel in Südkorea, empfing Präsident Nicolas Sarkozy am Samstag einen Spitzenpolitiker nach dem anderen. Am Abend dann teilte sein Amt in dürftigen zwei Sätzen mit, dass die Regierung zurückgetreten sei. Der Präsident habe den Rücktritt angenommen und damit die Amtszeit von Ministerpräsident François Fillon beendet. Die Ernennung eines neuen Regierungschefs steht damit unmittelbar bevor.Und "Zeit-Online" ergänzte gestern Abend um 20.30 Uhr:
Allerdings hatten die französischen Medien in den vergangenen Tagen spekuliert, dass Fillon doch im Amt bleiben würde. Noch am Samstag hatten Vertreter der Regierung und der regierenden UMP diese Hypothese als "quasi sicher" hingestellt. Sarkozy muss nun spätestens am Sonntag mitteilen, wer Fillons Nachfolger wird.Es ist möglich, daß Sarkozy sich für Borloo entscheidet; aber sicher ist das keinswegs. Wer meint, daß mit dem Rücktritt der Regierung François Fillons dessen Zeit im Palais Matignon zwangsläufig beendet sei, legt deutsche - also hier falsche - Maßstäbe an.
Als Nachfolgekandidat gilt derzeit Umweltminister Jean-Louis Borloo, nicht zuletzt, weil er über ein eher sozialdemokratisches Profil verfügt, das wählerbesänftigend wirken soll.
Wenn in Deutschland ein Kanzler sein Amt niederlegt - also den Bundespräsidenten um seine Entlassung bittet, wie es bisher zweimal geschehen ist (Ludwig Erhard am 1. Dezember 1966; Willy Brandt am 6. Mail 1974) -, dann ist dies das Ende seiner Regierungszeit. Im Prinzip könnte er sich zwar irgendwann noch einmal um dieses Amt bewerben, aber das ist ungefähr so wahrscheinlich, wie daß Horst Köhler noch einmal Bundespräsident wird.
In Frankreich ist das anders. Die Verfassung vom 4. Oktober 1958 bestimmt in Artikel 8:
Le Président de la République nomme le Premier ministre. Il met fin à ses fonctions sur la présentation par celui-ci de la démission du Gouvernement.Entlassen kann also der Präsident einen Premierminister von sich aus nicht. Dieser kann auch nicht von der Nationalversammlung gestürzt werden; auch wenn sie das Recht hat, ihm das Mißtrauen auszusprechen.
Sur la proposition du Premier ministre, il nomme les autres membres du Gouvernement et met fin à leurs fonctions.
Der Präsident der Republik ernennt den Premierminister. Er entbindet ihn von seinen Aufgaben, nachdem dieser die Demission seiner Regierung eingereicht hat.
Auf Vorschlag des Premierministers ernennt er die übrigen Regierungsmitglieder und beendet ihre Amtszeit.
Das ist die balance of powers, das Machtgleichgewicht à la française: Gemäß dem Wortlaut der Verfassung ist der Premierminister in einer starken Position gegenüber dem ansonsten übermächtigen Präsidenten, weil er rein verfassungsrechtlich nur auf seinen eigenen Wunsch hin entlassen werden kann; und ebenso gegenüber dem Parlament, weil er von diesem nicht gestürzt werden kann.
Faktisch hat es sich allerdings so eingespielt, daß der Premierminister dem Wunsch eines Präsidenten entspricht zu demissionieren: Er gibt dem Präsidenten damit freie Hand für eine Umbildung des Kabinetts.
Der Präsident braucht dann nicht jeden einzelnen Minister zu entlassen, den er auszutauschen beabsichtigt, denn mit dem Rücktritt des Premiers endet automatisch auch die Amtszeit aller seiner Minister. Genauer formuliert: Der Premierminister kann gar nicht als Person zurücktreten; er kann beim Staatspräsidenten nur die Demission seines gesamten Kabinetts einreichen.
Wenn François Fillon gestern "zurückgetreten" ist, dann handelt es sich also lediglich um diesen formalen Akt der Demission seines Kabinetts. Ob er auch dem neuen Kabinett vorstehen wird oder nicht, ist damit keineswegs präjudiziert.
Hier finden Sie eine Liste der Premierminister der Fünften Republik. Stehen hinter den Namen Zahlen, dann bedeutet dies, daß der Betreffende mindestens einmal mit seinem Kabinett zurückgetreten ist und anschließend erneut zum Premierminister ernannt wurde.
Bereits de Gaulles zweiter Premierminister, Georges Pompidou, trat mit seinem Kabinett nicht weniger als dreimal zurück und bildete dann jeweils eine neue Regierung. Zweimal demissionierten Pierre Messmer, Raymond Barre, Pierre Mauroy und Jean-Pierre Raffarin; etliche weitere einmal.
Auch François Fillon ist bereits einmal zurückgetreten und danach von Sarkozy erneut zum Premier ernannt worden. Das erste Mal wurde er am 19 Mai 2007 ernannt und reichte bereits am 19. Juni 2007 die Demission seines Kabinetts ein. Am selben Tag ernannte ihn Nicolas Sarkozy erneut zum Premierminister.
Allerdings lag das nicht daran, daß Sarkozy seine frisch gekürte Regierung so schnell schon wieder umbilden wollte. Sondern nach der ersten Regierungsbildung hatten Wahlen zur Nationalversammlung stattgefunden; und es ist Usus - obwohl von der Verfassung nicht verlangt - , daß der Premierminister mit der Konstituierung einer neuen Nationalversammlung demissioniert.
Soweit die verfassungsrechtliche Lage und die Verfassungspraxis. Wie sieht es politisch aus? Hat der Staatspräsident Gründe, den Premier Fillon durch einen anderen - nach Lage der Dinge dann wahrscheinlich Jean-Louis Borloo - zu ersetzen?
Es wird immer wieder geschrieben, daß Präsident Sarkozy es seinem Premier François Fillon neide, daß dieser populärer sei als er selbst. Das mag schon sein; aber es ist gegenwärtig kaum möglich, als Spitzenpolitiker nicht populärer zu sein als Sarkozy. Auch Jean-Louis Borloo wäre das mit Sicherheit. Hier könnte also schwerlich ein Grund für einen Austausch des Premiers liegen.
Zweitens wird argumentiert, daß Borloo der Regierung ein "sozialdemokratischeres Profil" geben könne (siehe das obige Zitat aus "Zeit-Online"); was Sarkozy als Reaktion auf die Aufruhr der letzten Wochen allerdings vielleicht wünschen könnte. (Zu diesen Unruhen siehe Der heiße Herbst 2010. Was ist mit den Franzosen los?; ZR vom 21. 10. 2010).
In der Tat hat Jean-Louis Borloo alles andere als eine konservative oder gaullistische politische Vergangenheit. Er war in seiner Jugend Maoist, dann nach einer Zeit als erfolgreicher Anwalt erst Grüner, danach ein freischwebender Liberaler, der einmal auf der einen, dann wieder auf der anderen Liste kandidierte.
Noch im Wahlkampf 2007 unterstützte er nicht Sarkozy, sondern dessen Gegenkandidaten François Bayrou (siehe zu diesem interessanten Politiker Die Rechte, die Linke - und François Bayrou; ZR vom 27. 2. 2007). Nach seinem Sieg hat ihn Sarkozy im Rahmen seiner Politik der "Öffnung" ins Kabinett geholt, durch die auch der Sozialist Kouchner Außenminister wurde; zu Kouchner gleich mehr.
Für eine Öffnung zur Mitte hin würde dieser quirlige, hochbegabte Mann (er hat Studienabschlüsse in Philosophie, Jurisprudenz, Geschichte und Nationalökonomie) als Premier vielleicht schon sorgen. Aber qualifiziert ihn das zum Premierminister von Nicolas Sarkozy?
Quirlig und egozentrisch ist Sarkozy selbst genug. Er braucht einen ruhigen, zuverlässigen, sich selbst zurücknehmenden Menschen als seinen zweiten Mann. Einen, der effizient seine Pflicht tut, statt sich mit dem Staatspräsidenten um einen Platz im Rampenlicht zu streiten. Fillon verkörpert das perfekt. Borloo wäre das Gegenteil.
Nicolas Sarkozy ist immer für eine Überraschung gut. Ich will also nicht ausschließen, daß er im Lauf des heutigen Tages doch Borloo ernennt. Aber es würde mich wundern.
Es würde auch Arnaud Leparmentier wundern, der für Le Monde das Elysée (das französische Präsidialamt) beobachtet und dorthin offenbar ausgezeichnete Kontakte hat.
Wenn man ihm glauben will, dann ist die Entscheidung zugunsten von Fillon schon gefallen; Sarkozy werde sie am heutigen Sonntag bekanntgeben.
Borloo hätte er, schreibt Leparmentier, verschiedene Ministerien angeboten - das Außen-, das Justiz- oder das Umweltministerium. Borloo, der schon als der sichere neue Premier gehandelt worden war, hätte darauf nicht reagiert und zeige die Neigung, überhaupt "die Tür zuzuschlagen".
Zuzutrauen wäre das diesem eigensinnigen, brillanten, unabhängigen Mann, der jede andere Option hätte, als unbedingt Minister zu sein. (In den achtziger Jahren war der junge Borloo von Forbes als einer der bestbezahlten Anwälte der Welt eingestuft worden).
Ansonsten wird es wohl ein kräftiges Stühlerücken geben. Michèle Alliot-Marie könnte Außenministerin werden, nachdem sie als Verteidigungs-, Innen- und momentan Justizministerin schon fast alle anderen klassischen Ressorts durchlaufen hat. Rama Yade, Französin afrikanischer Herkunft, dürfte ihren Posten als Staatssekretärin für Sport verlieren, weil sie einmal auf einer Afrikareise Sarkozy die Schau gestohlen hat; für sie könnte die Französin nordafrikanischer Herkunft Jeannette Bougrab, eine liberale Moslemin, die diversité repräsentieren.
Und Außenminister Bernard Kouchner? Von ihm spricht niemand mehr. Falls Sie diesen Blog regelmäßig lesen, dann kennen Sie die Hintergründe. Ich habe darüber vor vier Wochen berichtet (Der außerordentliche Außenminister Bernard Kouchner wird sehr wahrscheinlich abtreten; ZR vom 15. 10. 2010).
Kouchner hat dem Staatspräsidenten sein handschriftliches Demissionsschreiben bereits am 25. August übergeben. Er wollte dann zunächst nur noch bestimmte Vorgänge im Außenministerium abschließen, bevor er offiziell zurücktreten würde. Wie es scheint, hat Sarkozy ihn überreden können, bis zur jetzigen Kabinettsumbildung zu warten.
Auch in Deutschland wird derzeit von einer bevorstehenden Kabinttsumbildung gemunkelt. Die Freiheit, die Nicolas Sarkozy und sein neuer (nach meiner Vermutung zugleich sein alter) Premierminister bei der Verteilung der Ressorts haben, besitzt eine deutsche Kanzlerin freilich nicht.
Anläßlich der letzten Kabinettsumbildung in Frankreich im Juni 2009 habe ich mich mit diesen unterschiedlichen Spielräumen befaßt (Kabinettsumbildung in Frankreich. Warum geht das nicht auch in Deutschland? Nebst einer Anregung für Schwarzgelb; ZR vom 24. 6. 2009).
Damals schien ein christlich-liberaler Sieg bei den Bundestagswahlen möglich, und ich habe die optimistische Hoffnung geäußert, daß eine solche Regierung aus zwei einander politisch nahestehenden Parteien ohne das Korsett eines überdetaillierten Koalitionsvertrags auskommen könnte, der beispielsweise auch regelt, wer welche Ressorts besetzen darf:
Könnte man es nicht wieder so machen wie in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik: Man einigt sich in den Koalitionsverhandlungen über die Grundzüge der Regierungs- und Personalpolitik, hält das in einem Protokoll fest - und macht sich dann gemeinsam an die Arbeit?Welch ein Irrtum.
Spätere Kabinettsumbildung nicht ausgeschlossen.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie findet man hier. Titelvignette: Eugène Delacroix, La Liberté guidant le peuple (1830); Ausschnitt.