13. November 2010

Zitat des Tages: "Gerade dieser Zusammenhang ...". Dialektik im Bundestag. Der israelische Soldat Gilad Shalit und Gregor Gysis Wirken in der DDR

Der Zusammenhang zwischen der israelischen Besatzungspolitik und der Gefangennahme des israelischen Soldaten Gilad Shalit liegt auf der Hand. Gerade dieser Zusammenhang bestärkt die Rechte Gilad Shalits aus der dritten Genfer Konvention. Sie müssen ihm umgehend gewährt werden.

Aus einem Antrag der Fraktion der Partei "Die Linke", der in der vorgestrigen Sitzung des Bundestags eingebracht wurde. Überschrift des Antrags: "Durch einen humanitären Akt Frieden befördern – Gilad Shalit freilassen".


Kommentar: Verstehen Sie das? Nein? Dann sind Sie nicht hinreichend dialektisch geschult. Dann haben Sie noch nicht die Kunst begriffen, eine scheinbar pro-israelische Forderung so zu begründen, daß sie sich in eine Denunziation Israels verwandelt.

Der Antrag der Kommunisten wurde von den demokratischen Parteien abgelehnt. In derselben Sitzung verabschiedeten sie einen eigenen Antrag zum selben Thema, den Sie hier finden.

In diesem gemeinsamen Antrag der Union, der FDP, der SPD und der Grünen wurde gesagt, um welchen Fall es sich handelt:
Bei einem Angriff der Hamas und zwei weiterer militanter Palästinensergruppen am 25. Juni 2006 auf einen Posten der israelischen Streitkräfte bei Kerem Shalom wurden zwei israelische Soldaten getötet. Der junge Feldwebel Gilad Shalit, damals 19 Jahre alt, wurde verletzt und entführt.
Kerem Shalom liegt auf israelischem Boden, nah bei der Grenze zum Gazastreifen. Es handelte sich also - das ist wichtig für die Argumentation in dem Antrag der Partei "Die Linke" - keineswegs um einen Besatzungssoldaten.

Seit seiner Entführung hält die Hamas Shalit an einem unbekannten Ort gefangen. Jeden Kontakt mit seiner Familie verweigert sie.

Welchen Status hat der Soldat Gilad Shalit? Ist er ein Kriegsgefangener, ist er eine Geisel?

Wir stoßen hier wieder auf eines der Probleme für das Kriegsrecht, die mit der Verbreitung asymmetrischer Kriege in die Welt gekommen sind.

Ich habe das kürzlich erläutert (Der Krieg ändert sein Gesicht. Ein absurder Prozeß in Guantánamo. Ein absurder Hightech-Krieg in der Wüste; ZR vom 11. 11. 2010); und zwar im Hinblick auf den Status von gesetzlosen Kämpfern (unlawful combatants), wenn sie in die Hände von regulären feindlichen Truppen geraten.

Der Fall Shalit liegt spiegelbildlich dazu: Hier ist es ein regulärer Soldat, der in die Hände von irregulären Kämpfern gefallen ist.

Ob er Kriegsgefangener ist, hängt aber nicht davon ab, ob er von regulären oder irregulären Truppen gefangen genommen wurde. Sofern es sich überhaupt um eine kriegerische Auseinandersetzung handelt und nicht einfach um eine Tat von Kriminellen, gilt die Dritte Genfer Konvention für beide Seiten. Sie sichert Kriegsgefangenen unter anderem das Recht zu, in Kontakt mit ihren Angehörigen zu treten. Dagegen verstößt die Hamas, indem sie Shalit an einem unbekannten Ort in Isolation versteckt hält.

Man kann sich freilich auch auf den Standpunkt stellen, daß die Hamas keine Kriegspartei ist, sondern eine Bande von Terroristen.

Sistierte Kämpfer der Hamas wären dann so zu behandeln, wie das Präsident Obama für die verbliebenen Insassen von Guantánamo will - als Zivilisten, die nach dem allgemeinen Strafrecht zu verurteilen sind. Im Fall Shalit also wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und ähnlichen Delikten, begangen an diesem Soldaten.



Und was hat es nun mit dem seltsamen Satz im Antrag der Kommunisten auf sich, daß "gerade dieser Zusammenhang" mit der israelischen Besatzungspolitik (den sie unterstellen) "die Rechte Gilad Shalits aus der dritten Genfer Konvention" stärke?

Wie erwähnt: Shalit war kein Besatzungssoldat; die Entführung geschah beim Angriff auf einen Posten im israelischen Kernland. Aber einen juristischen Sinn ergibt es gleichwohl, einen solchen Zusammenhang zu konstruieren.

Denn wenn man die Taten der Hamas auf die israelische Besatzungspolitik zurückführt, dann bedeutet dies, daß die Hamas eine legitime Widerstandsorganisation ist, wie sie von der Dritten Genfer Konvention ausdrücklich anerkannt wird; was wiederum den Status von Shalit als ein regulärer Kriegsgefangener bekräftigen würde.

Darauf also läuft der Antrag, den der Dr. jur. Gregor Gysi unterzeichnet hat, offensichtlich hinaus: Unter dem Vorwand, sich für den Soldaten Shalit einzusetzen, sollte der Deutsche Bundestag die Bemühungen der Hamas, als legitime Widerstandsbewegung anerkannt zu werden, indirekt unterstützen.

Hübsch ausgedacht. Schön dialektisch gedacht: Man setzt sich scheinbar für die eine Seite ein, fördert aber in Wahrheit die Interessen der Gegenseite.



Erinnern Sie sich, wie das damals in der DDR war, als die Partei, deren Fraktionsvorsitzender der Jurist Gysi heute ist, noch SED hieß?

Damals war Gregor Gysi bekanntlich als Anwalt von Dissidenten wie Robert Havemann, Rudolf Bahro, Bärbel Bohley und Freya Klier tätig.

Zugleich diente er dem Regime, gegen das diese Demokraten aufbegehrten, in herausgehobener Position innerhalb eines - natürlich von der SED kontrollierten - "Organs der sozialistischen Rechtspflege", nämlich als Vorsitzender des Kollegiums der Rechtsanwälte in Berlin und zugleich Vorsitzender der Kollegien der Rechtsanwälte in der DDR.

Der Anwalt der Regimegegner war zugleich ein hochrangiges Mitglied der Nomenklatura; er war oberster Rechtsanwalt der DDR und ein von Erich Honecker sehr geschätzter Genosse. Näheres können Sie in Grüße des Genossen Honecker an den Rechtsanwalt Gysi lesen; ZR vom 20. 5. 2008.

Warum ich das im jetzigen Zusammenhang erwähne? Lassen Sie mich überlegen.

Oder nein, machen wir es doch so: Ich lasse Sie überlegen.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an flobotron und Gorgasal. Besonderer Dank an tw_24. Er hat mich auf einen Artikel in "Spiegel-Online" aufmerksam gemacht, in dem die Vorgeschichte der beiden Anträge anders dargestellt wird, als ich es in der ursprünglichen Version dieses Artikels getan hatte, gestützt auf die von der Israelischen Botschaft verbreitete Erklärung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Ich habe den Artikel jetzt so geändert, daß die Frage der Vorgeschichte der beiden Anträge, die für das Thema auch irrelevant ist, offen gelassen wird.