23. Dezember 2012

Was müßte geschehen, damit der Euro funktionieren kann? Vorschläge von Jacques Delors und Henrik Enderlein

Bei dem Patienten Europa sind sich in der Diagnose fast alle einig; nicht aber, was die Therapie angeht.

Die Diagnose lautet, daß durch den Euro Mechanismen geschwächt oder ganz außer Kraft gesetzt wurden, die beim Vorhandensein verschiedener Währungen dafür sorgen, daß Staaten nicht extrem über ihre Verhältnisse leben; hierzu gehören vor allem Anpassungen der Wechselkurse und der Zinsen für Staatspapiere in der jeweiligen Währung.

Fehlen diese Mechanismen, dann verlieren wirtschaftlich schwache Staaten ihre Wettbewerbsfähigkeit, weil sie zu teuer werden; und sie verschulden sich immer mehr, weil sie Staatspapiere zu günstigeren Zinsen ausgeben können, als das bei einer eigenen Landeswährung möglich wäre.

Der Fall Griechenland zeigt beides besonders deutlich.

Als radikale Therapie schlägt Hans-Werner Sinn die - jedenfalls vorübergehende - Rückkehr zu der eigenen Landeswährung Drachme vor (siehe "Wir sind die Verlierer. Der Druck auf Frau Merkel kommt von allen Seiten"; ZR vom 19. 12. 2012). Die Therapie, die gegenwärtig die europäische Politik versucht, besteht hingegen darin, Griechenland erst einmal mit Krediten zu retten und sich zugleich versprechen zu lassen, man werde künftig solider wirtschaften.

Bei "Zeit-Online" ist zu der Frage der Therapie seit heute ein Artikel zu lesen, der gedruckt bereits am 13. Dezember erschienen war. Die beiden Verfasser sind Fachleute: Jacques Delors, langjähriger Präsident der EU-Kommission, und der auf Europa spezialisierte Politologe und Ökonom Henrik Enderlein. Dieser hat kürzlich für das Forschungsinstitut Notre Europe eine von Delors und Helmut Schmidt angeregte Untersuchung zur Zukunft des Euroraums koordiniert. Deren Fazit lautete: "Nur so viel mehr Europa wie unbedingt nötig".

In dem jetzt bei "Zeit-Online" zu lesenden Artikel skizzieren die Autoren die Grundgedanken dieser Untersuchung:
  • Kein europäischer Superstaat, sondern nur diejenigen Mechanismen der Integration, die "unabdingbar sind, damit der Euro funktionieren kann".

  • Ein solcher Mechanismus soll der Angleichung der konjunkturellen Entwicklung in den einzelnen Ländern dienen. Hierfür soll ein Fonds geschaffen werden, in den Länder bei guter Konjunktur einzahlen und aus dem sie bei schwacher Konjunktur Hilfe erhalten. Also keine starren Transfers wie beim deutschen Länder­finanz­ausgleich; sondern ein System, das sich flexibel den jeweiligen Verhältnissen anpaßt.

  • Mit einer ähnlichen Flexibilität wollen die Autoren auch dem Problem der Staatsverschuldung beikommen. Die Staaten sollen weiter in eigener Verantwortung Haushaltspolitik betreiben. Geraten sie aber in Zahlungs­schwierigkeiten, dann erhalten sie Hilfe nur, wenn sie Teile ihrer finanzpolitischen Souveränität auf Europa übertragen.
  • Ob solche Mechanismen eine Chance haben, politisch durchgesetzt zu werden, ist schwer zu beurteilen; ebenso, ob sie derart wirken würden, wie die Autoren es sich erhoffen - nämlich die Strukturen in Europa einander so weit angleichen, daß eine gemeinsame Währung funktionieren kann.

    Jedenfalls ist es erforderlich, daß überhaupt derartige Modelle entwickelt und durchdacht werden; denn allein mit Rettungsmaßnahmen kann man strukturelle Probleme nicht lösen. Und Hans-Werner Sinns Therapie, die wirtschaftlich die vernünftigste wäre, hat offenbar keinen Aussicht, politisch durchsetzbar zu sein.

    Links zu weiteren Artikeln in ZR, die sich mit diesem Thema befassen, finden Sie hier.
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette vom Autor Lars Aronsson unter Creative Commons ShareAlike 1.0-Lizenz freigegeben.