"In den USA sterben immer mehr Menschen durch Feuerwaffen" - richtig oder falsch? Falsch, natürlich. Die Kriminalität ist insgesamt in den USA rückläufig; die Gewaltkriminalität ist es; und es ist auch die Zahl derer, die durch Feuerwaffen ums Leben kommen.
Die Kriminalität in den USA hat seit Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zunächst stetig zugenommen. Das gilt für Eigentumsdelikte wie Einbruch und Diebstahl; es gilt ebenso für die Gewaltkriminalität. Diese Entwicklung erreichte ein Maximum und wurde dann rückläufig.
Allerdings gibt es einen Unterschied im Verlauf: Die Eigentumsdelikte erreichten bereits um 1980 ihr Maximum und gehen seither zurück, was vor allem an der Entwicklung der Zahl der Diebstähle liegt. Die Gewaltkriminalität stieg hingegen bis ungefähr 1990 an und sank erst in den letzten beiden Jahrzehnten. Wie sich das auf die einzelnen Gewaltdelikte verteilt, können Sie hier sehen:
Die obere Kurve zeigt die Gesamtzahl der Gewaltdelikte; darunter (von oben nach unten) die Kurven für Gefährliche Körperverletzung (Assault), Raub (Robbery), Vergewaltigung (Rape) und Mord (Murder).
Da die Zahlen für Mord im Vergleich zur Gesamtzahl der Gewaltdelikte niedrig sind, ist der Verlauf in dieser Grafik nicht gut zu erkennen. Hier deshalb eine Grafik, die nur den Verlauf bei den Morden zeigt; und zwar nur bei Morden unter Verwendung von Feuerwaffen:
Die vollständigen Statistiken kann man sich beim US-Justizministerium ansehen. Dort findet man auch aktuelle Daten bis 2010, die in den Grafiken noch nicht enthalten sind. Sie zeigen einen weiteren Rückgang der Morde seit dem Wert 17.030 von 2006: Auf 16.929 (2007), 16.442 (2008), 15.399 (2009) und 14.748 (2010). Der leichte Anstieg von 2000 bis 2006 hat sich also nicht fortgesetzt.
Die Zahl der Morde 2010 ist die niedrigste seit 1967. Berücksichtigt man die Bevölkerungsentwicklung und sieht man sich den Prozentsatz an, dann ist die Zahl für 2010 von 4,8 Morden auf 100.000 Einwohner sogar niedriger als 1960, als sie bei 5,1 gelegen hatte. Ungefähr zwei Drittel bis drei Viertel dieser Morde werden mit Feuerwaffen begangen.
Während seit 1991 die Zahl der Feuerwaffen in Privatbesitz in den USA um 70 bis 75 Millionen zunahm, ging seither die Zahl der Mordopfer, die durch Feuerwaffen starben, um 38 Prozent zurück.
Auch Massaker oder Amokläufe haben in den USA nicht erkennbar zugenommen.
Interessant ist vielleicht auch noch, in welchen Ländern der Welt es die meisten Feuerwaffen in Privatbesitz gibt. Die fünf Länder an der Spitze sind, in dieser Reihenfolge: USA, Jemen, Schweiz, Finnland, Serbien. In der Gruppen der ersten zehn ist auch Schweden; wie Finnland und die Schweiz nicht als ein Land mit exzessiver Gewalttätigkeit bekannt.
Soweit die Fakten. Was bedeuten sie für die Bluttat in Newtown? Welche Konsequenzen sollte man ziehen?
Charles Krauthammer hat dazu gestern in der Washington Post die beste Analyse geschrieben, die ich bisher gelesen habe.
Seine Kolumne erscheint freitags. Er konnte also zu diesem Thema nicht aktuell sein; hatte aber den Vorteil, nachdenken und recherchieren zu können. Er hat den zweiten Vorteil, promovierter Psychiater zu sein und also die psychopathologische Seite des Falls besser beurteilen zu können als die meisten anderen Kommentatoren.
Hier die Argumentation von Krauthammer:
Solche Bluttaten hängen von drei Faktoren ab: Der Waffe, der Psyche des Mörders und dem Faktor der Kultur.
Die Waffe: Sofort hat sich das Augenmerk nur auf diesen Faktor gerichtet. Nur ist das wohlfeil. Denn es gibt nun einmal das Second Amendment als einen Grundpfeiler der US-Verfassung. Dieser zweite Verfassungszusatz erlaubt den Bürgern der USA den Besitz von Waffen.
Es gibt viele Millionen von Bürgern, die Waffen besitzen; fast jeder zweite. Sie haben sie legal erworben.
Will man sie ihnen wegnehmen? Das wäre gegen das Recht. Waffen sind langlebig. Eine Entwaffnung der Bürger der USA, indem man den Verkauf untersagt, würde rund ein Jahrhundert dauern.
Es ist schlicht eine Illusion, über eine Änderung des Waffenrechts eine Wiederholung von school shootings wie jetzt in Newtown verhindern zu wollen. Der Gesetzgeber hat bereits 1994 assault weapons, also automatische Waffen, wie sie vom Militär eingesetzt werden, bei Privatleuten verboten. Es hat keinen Erfolg erbracht.
Jetzige Gesetzesvorschläge wie derjenige der (linken) demokratischen Senatorin Dianne Feinstein würde rund 900 Arten von Waffen von einem Verbot ausnehmen.
Zweitens: Die Mörder. Krauthammer weist auf einen Sachverhalt hin, der in der öffentlichen Diskussion zu der Bluttat von Newtown kaum berücksichtigt wurde: In den USA ist es seit den siebziger Jahren immer schwerer geworden, psychisch Kranke in die Psychiatrie einzuweisen. Die vielen Obdachlosen und auch Kriminelle rekrutieren sich in den USA zu einem Teil aus den Kranken, die in anderen Ländern in die Psychiatrie eingewiesen werden würden.
Das ist nicht ein Problem der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems; sondern die Frage ist, wann der Staat einschreiten darf. Krauthammer zitiert eine Untersuchung von Gesundheitswissenschaftlern der Universität Berkeley, die zeigt, daß in denjenigen Bundesstaaten, die in dieser Hinsicht weitergehende Gesetze haben, weniger Morde geschehen als in den anderen.
Drittens spielt, schreibt Krauthammer, die Kultur eine Rolle:
Ich bin, wenn ich mir das anschaue, was an Gewalt, an Sadismus, an Pornographie für heutige Jugendliche sozusagen Standard ist, so besorgt wie Charles Krauthammer.
In der Psychologie gibt es den Begriff des "Überlernens" (overlearning), den Krauthammer verwendet. Man übt etwas über den Punkt hinaus weiter, wo man es bereits beherrscht. Kinder und Jugendliche überlernen heutzutage oft das Töten in der virtuellen Situation des Spiels. Den meisten mag es nicht schaden. Aber wenn eine psychische Erkrankung hinzukommt, dann kann es zu Taten kommen wie jetzt der in Newtown.
Das ist die Analyse des Psychiaters und Publizisten Charles Krauthammer. Es ist die Art von Analyse, die man braucht, um solche entsetzlichen Vorfälle zu verstehen; statt nur mit dem Finger auf die "Waffenlobby" zu zeigen.
Wenn etwas Entsetzliches passiert, dann hat man zu allen Zeiten nach dem Sündenbock gesucht. Hat man erst einmal den Schuldigen, dann ist die Welt wieder in Ordnung; jedenfalls mehr in Ordnung als nach der Tat.
Die nachgerade lächerliche Art, wie jetzt die "Waffenlobby" zum Sündenbock gemacht wird, liefert das irrationale Gegenstück zu der rationalen Analyse von Charles Krauthammer.
Die Kriminalität in den USA hat seit Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zunächst stetig zugenommen. Das gilt für Eigentumsdelikte wie Einbruch und Diebstahl; es gilt ebenso für die Gewaltkriminalität. Diese Entwicklung erreichte ein Maximum und wurde dann rückläufig.
Allerdings gibt es einen Unterschied im Verlauf: Die Eigentumsdelikte erreichten bereits um 1980 ihr Maximum und gehen seither zurück, was vor allem an der Entwicklung der Zahl der Diebstähle liegt. Die Gewaltkriminalität stieg hingegen bis ungefähr 1990 an und sank erst in den letzten beiden Jahrzehnten. Wie sich das auf die einzelnen Gewaltdelikte verteilt, können Sie hier sehen:
Die obere Kurve zeigt die Gesamtzahl der Gewaltdelikte; darunter (von oben nach unten) die Kurven für Gefährliche Körperverletzung (Assault), Raub (Robbery), Vergewaltigung (Rape) und Mord (Murder).
Da die Zahlen für Mord im Vergleich zur Gesamtzahl der Gewaltdelikte niedrig sind, ist der Verlauf in dieser Grafik nicht gut zu erkennen. Hier deshalb eine Grafik, die nur den Verlauf bei den Morden zeigt; und zwar nur bei Morden unter Verwendung von Feuerwaffen:
Die vollständigen Statistiken kann man sich beim US-Justizministerium ansehen. Dort findet man auch aktuelle Daten bis 2010, die in den Grafiken noch nicht enthalten sind. Sie zeigen einen weiteren Rückgang der Morde seit dem Wert 17.030 von 2006: Auf 16.929 (2007), 16.442 (2008), 15.399 (2009) und 14.748 (2010). Der leichte Anstieg von 2000 bis 2006 hat sich also nicht fortgesetzt.
Die Zahl der Morde 2010 ist die niedrigste seit 1967. Berücksichtigt man die Bevölkerungsentwicklung und sieht man sich den Prozentsatz an, dann ist die Zahl für 2010 von 4,8 Morden auf 100.000 Einwohner sogar niedriger als 1960, als sie bei 5,1 gelegen hatte. Ungefähr zwei Drittel bis drei Viertel dieser Morde werden mit Feuerwaffen begangen.
Während seit 1991 die Zahl der Feuerwaffen in Privatbesitz in den USA um 70 bis 75 Millionen zunahm, ging seither die Zahl der Mordopfer, die durch Feuerwaffen starben, um 38 Prozent zurück.
Auch Massaker oder Amokläufe haben in den USA nicht erkennbar zugenommen.
Interessant ist vielleicht auch noch, in welchen Ländern der Welt es die meisten Feuerwaffen in Privatbesitz gibt. Die fünf Länder an der Spitze sind, in dieser Reihenfolge: USA, Jemen, Schweiz, Finnland, Serbien. In der Gruppen der ersten zehn ist auch Schweden; wie Finnland und die Schweiz nicht als ein Land mit exzessiver Gewalttätigkeit bekannt.
Soweit die Fakten. Was bedeuten sie für die Bluttat in Newtown? Welche Konsequenzen sollte man ziehen?
Charles Krauthammer hat dazu gestern in der Washington Post die beste Analyse geschrieben, die ich bisher gelesen habe.
Seine Kolumne erscheint freitags. Er konnte also zu diesem Thema nicht aktuell sein; hatte aber den Vorteil, nachdenken und recherchieren zu können. Er hat den zweiten Vorteil, promovierter Psychiater zu sein und also die psychopathologische Seite des Falls besser beurteilen zu können als die meisten anderen Kommentatoren.
Hier die Argumentation von Krauthammer:
Solche Bluttaten hängen von drei Faktoren ab: Der Waffe, der Psyche des Mörders und dem Faktor der Kultur.
Die Waffe: Sofort hat sich das Augenmerk nur auf diesen Faktor gerichtet. Nur ist das wohlfeil. Denn es gibt nun einmal das Second Amendment als einen Grundpfeiler der US-Verfassung. Dieser zweite Verfassungszusatz erlaubt den Bürgern der USA den Besitz von Waffen.
Es gibt viele Millionen von Bürgern, die Waffen besitzen; fast jeder zweite. Sie haben sie legal erworben.
Will man sie ihnen wegnehmen? Das wäre gegen das Recht. Waffen sind langlebig. Eine Entwaffnung der Bürger der USA, indem man den Verkauf untersagt, würde rund ein Jahrhundert dauern.
Es ist schlicht eine Illusion, über eine Änderung des Waffenrechts eine Wiederholung von school shootings wie jetzt in Newtown verhindern zu wollen. Der Gesetzgeber hat bereits 1994 assault weapons, also automatische Waffen, wie sie vom Militär eingesetzt werden, bei Privatleuten verboten. Es hat keinen Erfolg erbracht.
Jetzige Gesetzesvorschläge wie derjenige der (linken) demokratischen Senatorin Dianne Feinstein würde rund 900 Arten von Waffen von einem Verbot ausnehmen.
Zweitens: Die Mörder. Krauthammer weist auf einen Sachverhalt hin, der in der öffentlichen Diskussion zu der Bluttat von Newtown kaum berücksichtigt wurde: In den USA ist es seit den siebziger Jahren immer schwerer geworden, psychisch Kranke in die Psychiatrie einzuweisen. Die vielen Obdachlosen und auch Kriminelle rekrutieren sich in den USA zu einem Teil aus den Kranken, die in anderen Ländern in die Psychiatrie eingewiesen werden würden.
Das ist nicht ein Problem der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems; sondern die Frage ist, wann der Staat einschreiten darf. Krauthammer zitiert eine Untersuchung von Gesundheitswissenschaftlern der Universität Berkeley, die zeigt, daß in denjenigen Bundesstaaten, die in dieser Hinsicht weitergehende Gesetze haben, weniger Morde geschehen als in den anderen.
Drittens spielt, schreibt Krauthammer, die Kultur eine Rolle:
We live in an entertainment culture soaked in graphic, often sadistic, violence. Older folks find themselves stunned by what a desensitized youth finds routine, often amusing. It's not just movies. Young men sit for hours pulling video-game triggers, mowing down human beings en masse without pain or consequence.Ja, das ist wohl ein wesentlicher Punkt.
And we profess shock when a small cadre of unstable, deeply deranged, dangerously isolated young men go out and enact the overlearned narrative.
Wir leben in einer Unterhaltungskultur, die mit bildlicher, oft sadistischer Gewalt vollgesogen ist. Wer älter ist, der kann es nicht fassen, was die abgestumpften Jungen normal, oft amüsant finden. Nicht nur Filme. Jugendliche setzen sich stundenlang hin und drücken auf Knöpfe, um Menschenwesen niederzumähen - ohne Schmerz, ohne Konsequenzen.
Und wir zeigen uns schockiert, wenn eine kleine Kerngruppe von psychisch nicht gefestigten, zutiefst gestörten, gefährlich isolierten jungen Menschen losziehen und das in die Tat umsetzen, was sie wieder und wieder gelernt haben.
Ich bin, wenn ich mir das anschaue, was an Gewalt, an Sadismus, an Pornographie für heutige Jugendliche sozusagen Standard ist, so besorgt wie Charles Krauthammer.
In der Psychologie gibt es den Begriff des "Überlernens" (overlearning), den Krauthammer verwendet. Man übt etwas über den Punkt hinaus weiter, wo man es bereits beherrscht. Kinder und Jugendliche überlernen heutzutage oft das Töten in der virtuellen Situation des Spiels. Den meisten mag es nicht schaden. Aber wenn eine psychische Erkrankung hinzukommt, dann kann es zu Taten kommen wie jetzt der in Newtown.
Das ist die Analyse des Psychiaters und Publizisten Charles Krauthammer. Es ist die Art von Analyse, die man braucht, um solche entsetzlichen Vorfälle zu verstehen; statt nur mit dem Finger auf die "Waffenlobby" zu zeigen.
Wenn etwas Entsetzliches passiert, dann hat man zu allen Zeiten nach dem Sündenbock gesucht. Hat man erst einmal den Schuldigen, dann ist die Welt wieder in Ordnung; jedenfalls mehr in Ordnung als nach der Tat.
Die nachgerade lächerliche Art, wie jetzt die "Waffenlobby" zum Sündenbock gemacht wird, liefert das irrationale Gegenstück zu der rationalen Analyse von Charles Krauthammer.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelbild als Werk der VOA gemeinfrei; bearbeitet. Erste Grafik vom Autor Theanphibian unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported-Lizenz freigegeben. Zweite Abbildung vom Autor Urban gemeinfrei gestellt.