7. Dezember 2012

Bald doch die Bezahlschranke für Zeitungen im Internet? Die NYT machte es vor. Jetzt zieht die Washington Post nach

Einen Artikel wie diesen werden Sie vielleicht in einem halben Jahr nicht mehr in ZR lesen können. Denn für ihn stütze ich mich auf einen Beitrag in der Washington Post (WP), den ich kostenlos im Netz lesen kann. Das wird ab Mitte 2013 wahrscheinlich nicht mehr gehen - wie ich just diesem Artikel entnehme.

In ihm wird angekündigt, daß die WP "wahrscheinlich" ab Mitte kommenden Jahres eine Bezahlschranke (paywall) einführen wird. Nach dem Vorbild ihrer Konkurrentin, der New York Times, die das seit März 2011 praktiziert. Nach dem Vorbild des Wall Street Journal und der Financial Times.

Genauer gesagt: Es soll sich wie dort um eine metered paywall handeln, eine mit Messung verbundene Bezahlschranke. Zahlen muß, wer das Blatt regelmäßig lesen will. Eine bestimmte Anzahl von Besuchen (bei der NYT gegenwärtig 20 im Monat) ist frei. Bei der NYT kann man einen Artikel darüber hinaus auch dann frei lesen, wenn man ihn ergoogelt oder über einen Link aufruft. Beim Googeln funktioniert das allerdings nur fünfmal am Tag.



Bisher sind Versuche, Zeitungen und Zeitschriften im Internet zahlungspflichtig zu machen, wenig erfolgreich gewesen. Der Grund liegt auf der Hand: Der Konsument hat genügend Möglichkeiten, auf kostenlose Alternativen auszuweichen. Wenn es im Restaurant nebenan ein schmackhaftes Menü gratis gibt, dann wird der Gast vermutlich nicht dort speisen, wo er zahlen muß.

Daß die Anbieter mit dem Einführen einer Bezahlschranke zurückhaltend waren, hatte noch einen anderen Grund: Mit einem kostenfreien Angebot erreicht man mehr Leser, also mehr Menschen, die auch die Werbung lesen. Entsprechend teurer kann man diese verkaufen.

Es war und ist also für die Anbieter ein Optimierungsproblem: Ist das Ergebnis für sie günstiger, wenn sie eine hohe Klickzahl für ein kostenloses Angebot erreichen, oder rechnet es sich besser, den Zugang zahlungspflichtig zu machen?

Hier scheint sich nun die Waage immer mehr in Richtung Bezahlschranke zu neigen. In dem Artikel der WP wird als einer der Gründe der sinkende Anzeigenerlös im Online-Geschäft genannt. Andererseits hat sich das Experiment der NYT als erfolgreich erwiesen; sie hat inzwischen 600.000 Abonnenten für ihre digitale Ausgabe.

Aber es dürfte auch tieferreichende strukturelle Faktoren geben:

Bisher haben noch die Print-Ausgaben ihre Abonnenten und ihre Leser, die das Blatt am Kiosk kaufen. Je komfortabler es wird, seine Zeitung auf dem Tablet oder dem Kindle zu lesen, umso weniger attraktiv wird es aber werden, sich noch das unhandliche Print-Produkt zu kaufen.

Der Reisende, der im ICE seine Zeitung bis zur Nasenspitze seines Nachbarn entfaltet, dürfte bald der Vergangenheit angehören. Wer, beispielsweise, die digitale Ausgabe des "Spiegel" abonniert hat, der fragt sich, wozu denn jemand noch denselben Inhalt mit (fast) demselben Layout auf Papier braucht - platzraubend, ohne Suchfunktion; ohne die Möglichkeit, sich durch Googeln oder durch Wecheln zur Wikipedia zusätzliche Informationen zu besorgen.

Eine Zeitung oder Zeitschrift auf Papier zu lesen wird bald, außer vielleicht einem nostalgischen Reiz, keine Vorteile mehr haben, aber gegenüber der digitalen Version erhebliche Nachteile. Also dürfte die gedruckte Zeitung an Bedeutung verlieren; vielleicht am Ende ebenso verschwinden, wie die Audio- und die Videokassette von digitalen Speichermedien aus dem Markt befördert wurden.



Anfangs war die digitale Ausgabe ein Zusatzangebot zur Druckausgabe von Zeitungen und Zeitschriften gewesen; ein Aushängeschild im Internet gewissermaßen. Dann ging man hier und da dazu über, das ganze Blatt ins Netz zu stellen, zur gefälligen kostenlosen Bedienung. So macht es heute beispielsweise die WP noch; so hat es bis vor kurzem das französische Nachrichtenmagazin Le Nouvel Observateur gemacht, das man von der ersten bis zur letzten Seite kostenlos im Netz lesen konnte.

Das ist inzwischen vorbei. So, wie sich das kostenlose "Spiegel-Online" vom kostenpflichtigen digitalen "Spiegel" abgenabelt hat, ist es auch beim Nouvel Observateur geschehen. Ähnlich ist "Zeit-Online" ein eigenständiges Produkt geworden, das nur gelegentlich den einen oder anderen Artikel aus der gedruckten "Zeit" übernimmt.

In diese Richtung dürfte wohl die Entwicklung gehen: Wer sich auf dem aktuellen Stand der Nachrichten halten will, der kann das in den Internet-Ausgaben tun, die sich über Anzeigen finanzieren. Wer sich gründlicher informieren möchte, der liest wie bisher seine Zeitung. Sein Blatt, das er wie bisher bezahlt - nur liest er es eben nun auf seinem Notebook, seinem Tablet oder seinem Kindle.

Wer sich freilich einerseits gründlich informieren will, andererseits aber nicht nur aus "seiner" Zeitung, sondern aus vielen Quellen, der wird es künftig schwerer haben. Ich beispielsweise kann, als Grundlage für viele Artikel in ZR, bisher die wichtigsten deutschen, amerikanischen und französischen Blätter verfolgen. Sie alle bezahlen würde ich schwerlich wollen, sollten sie kostenpflichtig werden. Seit die NYT nicht mehr gratis zu lesen ist, lasse ich sie schon jetzt meist links liegen.

Man wird sehen, wie sich das entwickelt. Ich hoffe, daß ich nicht am Ende, um alle diese Informationsquellen zu bezahlen, meinerseits ZR kostenpflichtig machen muß.

Nein, erschrecken Sie nicht. Das war ein kleiner Scherz.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette vom Autor Daniel X. O'Neil unter Creative Commons Attribution 2.0 Generic-Lizenz freigegeben.