7. Dezember 2012

Rüstungsexporte, Siedlungspolitik. Automatismen der Gedankenlosigkeit und die strategische Lage im Nahen Osten

Es gibt in der deutschen Außenpolitik Stichwörter, die unweigerlich eine bestimmte - und nur diese eine - Reaktion hervorrufen; so, wie aus dem Automaten die Colaflasche purzelt, wenn man das Geld eingeworfen hat. Solche Stichwörter sind "Israels Siedlungspolitik" und "Waffenlieferungen in Krisengebiete". Die zugehörigen Reaktionen sind: Waffenlieferungen - unmoralisch, also nicht erlaubt. Israelische Siedlungen - nicht erlaubt, also unmoralisch.

Wenn sich solche Automatismen des Denkens, oder vielmehr der Gedankenlostigkeit, erst einmal festgesetzt haben, dann ist es schwer, dagegen anzugehen.

Hinzuweisen ist auf zwei Artikel, die - beide gestern erschienen - das dennoch versuchen; verfaßt von zwei Autoren, die es sich leisten (und sich das leisten können), auch einmal gegen den Strom zu schwimmen, oder quer zu ihm.



In seiner Kolumne bei "Spiegel-Online" befaßt sich Jan Fleischhauer ("Unter Linken") mit deutschen Waffen­lieferungen. Er macht auf etwas aufmerksam, das selbstverständlich sein sollte, es freilich in unserem Deutschland nicht ist: Daß es in der Außen- und Militärpolitik um die Durchsetzung und Wahrung von Interessen geht und nicht um ein gutes Gespräch. Fleischhauer:
Es war immer eine Spezialität der Deutschen, das Beiseitetreten als gute Tat zu verkaufen. Was einem im normalen Leben den Vorwurf der Feigheit eintragen würde, gilt in der Sicherheitspolitik als Ausweis höherer Gesinnung. Man kann das die Käßmann-Doktrin nennen: Reden statt helfen und damit zusehen statt handeln.

Realpolitik hingegen gilt schnell als herzlos. Deshalb braucht es einige Standfestigkeit, um sich zu ihr zu bekennen.
Und gewisse Kenntnisse können auch nicht schaden. Wenn - wonach es im Augenblick aussieht - Mohammed Morsi die Machtprobe gewinnt, auf die er sich eingelassen hat, und wenn der ebenfalls wahrscheinliche Fall eintritt, daß Syrien demnächst von einer sunnitischen Allianz regiert werden wird, dann dürfte sich die strategische Situation im Nahen Osten grundlegend wandeln (siehe "Die USA könnten sich von Israel distanzieren". George Friedman über die Folgen der Entwicklung in Ägypten für die Machtverhältnisse im Nahen Osten; ZR vom 5. 12. 2012).

Ägypten fällt dann als Stabilitätsfaktor aus. In Syrien könnten Verhältnisse entstehen wie im Irak auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen nach dem Sturz Saddams, als die Kaida ganze Provinzen zu beherrschen versuchte.

Damals standen US-Truppen im Irak, und Präsident Bush war entschlossen, das Land nicht den Dschihadisten und den schiitischen Fanatikern zu überlassen. Obamas Vereinigte Staaten sind aber nicht mehr die Bushs. Als Ordnungsmacht im Nahen Osten fällt Amerika heute weitgehend aus.

Saudi-Arabien wird damit, ob wir das wollen oder nicht, ein verbleibender Pfeiler der Stabilität sein. Alles zu tun, damit nicht auch er noch wegbricht, ist ein Gebot politischer Vernunft. Man muß die Saudis nicht lieben, um zu verstehen, daß wir sie brauchen.

Natürlich wäre es schöner, wenn der Westen sich auf demokratische Rechtsstaaten in Arabien stützen könnte. Aber wo sind sie denn, vom brodelnden Maghreb über das im Chaos versinkende Libyen und das tief gespaltene Ägypten bis hin nach Syrien mit seinem Bürgerkrieg?

Den Saudis die Panzer zu verweigern, die sie wollen, wäre unter diesen nun einmal gegebenen Umständen nicht ein Akt der Moral, sondern ein Zeugnis der Dummheit.

Übrigens - Jan Fleischhauer weist darauf hin - würden solche Waffenexporte in den Nahen Osten, wie jetzt der von Boxer-Panzerfahrzeugen nach Saudi-Arabien, schwerlich genehmigt werden, wenn Israel sie als Bedrohung seiner Sicherheit ansähe. Die Stabilität der Region liegt aber selbstverständlich im ureigensten Interesse auch und gerade Israels.



Die strategische Lage im Nahen Osten im Anbetracht der Entwicklung, die Ägypten in diesen Tagen nimmt, dürfte ein Hauptthema beim Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu in Berlin gewesen sein. Freilich sind strategische Analysen und die Frage, was aus ihnen an politischen Schritten abzuleiten ist, kein Thema für die meisten Medien.

Die israelische Siedlungspolitik aber ist es. Sie eignet sich zum bornierten Moralisieren ebenso gut wie die deutschen Rüstungsexporte.

Zu diesem Thema hat sich gestern Richard Herzinger in der "Welt" geäußert. Auch er weist auf das eigentlich Selbstverständliche hin: Ein Frieden im Nahen Osten kann nur aus direkten Verhandlungen zwischen Israel und der Autonomiebehörde hervorgehen. An diesen aber zeigt sich Mahmoud Abbas gar nicht mehr interessiert; stattdessen hat er auf Anerkennung durch die UNO gesetzt.

Entstehen soll ein Staat Palästina ohne jede Sicher­heits­garantie für Israel; mit der Folge, daß dann feindliches Militär, das Terroristen wenige Kilometer von den Bevölkerungs­zentren Israels entfernt in Stellung gehen könnten.

Auf diese Herausforderung hat Israel mit der Genehmigung von Siedlungen reagiert. Wo? Herzinger:
... der Bau von 3000 Wohnungen in Maale Adumim stellt keine qualitative Veränderung des Status quo im Westjordanland dar. Diese "Siedlung", tatsächlich eine Stadt von 35.000 Einwohnern, faktisch ein Pendlervorort von Jerusalem, bliebe im Falle eines Friedensvertrags ohnehin bei Israel.

Die zusätzlich angekündigte Bautätigkeit in der umstrittenen Zone "E1" aber ist erst in der Planungsphase. Abbas bleibt genügend Zeit, ihre Durchführung zu verhindern, indem er an den Verhandlungstisch zurückkehrt.
Wo im Fall einer (derzeit in weiter Ferne liegenden) Zweistaatenlösung einmal die Grenze verlaufen wird, kann naturgemäß erst das Ergebnis von Verhandlungen sein. Nicht "auf palästinensischem Boden" errichtet oder plant Israel Siedlungen, sondern auf Boden, der lediglich von der Autonomiebehörde beansprucht wird.



Die Situation im Nahen Osten ist seit dem Sturz Mubaraks gefährlicher, als sie irgendwann seit dem israelisch-ägyptischen Frieden von 1979 war. Eine rationale deutsche Außenpolitik muß zwei Ziele haben: An Stabilität bewahren, was irgend zu bewahren ist; und in dieser schwierigen Lage zu dem einzigen Staat in der Region stehen, der für Deutschland ein verläßlicher Partner ist; von der "Staatsräson" einmal ganz abgesehen.

Die Bundesregierung verfolgt im Großen und Ganzen eine solche Politik. In Sachen Saudi-Arabien wird sie das Schattenboxen gut überstehen, das die Opposition im Verein mit dem "Spiegel" derzeit veranstaltet. In Sachen Siedlungspolitik hat die Bundesregierung mit ihrem Protest ihrerseits ein wenig Schattenboxen für die Öffentlichkeit vorgeführt. Die Zusammenarbeit mit Israel wird das nicht berühren.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette vom Autor Cezary Piwowarski unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported-Lizens freigegeben. Bearbeitet.