Wie stellen wir uns einen Stammtisch vor? Ein oft runder Tisch in einer Wirtschaft; versehen mit einem schönen Metallschild "Stammtisch". Daran sitzen Bier trinkende Männer und Frauen. In Süddeutschland, ab ungefähr der Mainlinie, darf es auch Wein sein.
Sie sitzen, trinken und reden. Früher rauchten viele auch; heute gehen sie zum Rauchen nach draußen.
Meist reden sie über Lokales, über den Klatsch und Tratsch der Gemeinde, über das Leben in ihrer sozialen Umwelt. Manchmal reden sie auch über Politik.
Und wie reden sie über Politik?
Seltsamerweise denken offenbar viele Menschen, sie würden darüber ungefähr so reden und schwätzen und kakeln, wie das laut Dirk Kurbjuweit der "Wutbürger" tut (siehe Ein Gutmensch erfindet den Wutbürger; ZR vom 11. 10. 2010 und "Wutbürger" - Wort des Jahres? Nein, Unwort des Jahres; ZR vom 18. 12. 2010).
Der "Stammtisch" - Hort der Wutbürger? Das ist ungefähr so realitätsnah wie der deutsche Offizier mit Pickelhaube oder der Franzose mit Baskenmütze und Menjou-Bärtchen, die immer noch durch die einschlägigen Karikaturen geistern.
Historisch ist das so aktuell wie die Metapher von der "Lufthoheit über die Stammtische" (manchmal auch "... über den Stammtischen"). Die Rede von der Lufthoheit stammt natürlich aus dem Zweiten Weltkrieg, als die Propaganda der Nazis meldet, daß die Luftwaffe diese und jene "Lufthoheit" erreicht hätte, d.h. daß sie über dem betreffenden Gebiet nicht mehr durch feindliche Flieger bekämpft werde.
Das ist nun schon ein wenig her. Die damals jüngsten Piloten der Nazi-Luftwaffe gehen heute auf die neunzig zu. Aber wie das so ist - Klischees sind haltbar; selbst über die Generationen hinweg.
Das gilt auch für das Klische des "Stammtischs", an dem der Wutbürger sein Wesen treiben soll; der Kleinbürger. Wo er "Stammtischgerede" produziert, nur sein eigenes egoistisches Interesse sieht, alles besser weiß und alles zu verstehen vermeint. Wo er wild räsonniert, geschüttelt von populistischen Anwandlungen.
Gewiß gibt es das. Fast jede noch so verzerrende Karikatur spiegelt ein wenn auch noch so kleines Stücklein Realität wider. Aber die Regel ist das längst nicht mehr.
Die Regel ist, daß an Stammtischen sehr unterschiedliche politische Meinungen vertreten werden; und daß eine inzwischen besonders häufige Variante der linke Stammtisch ist.
Manche von Ihnen werden ihn kennen, den linken Stammtisch. Ich kenne ihn ein wenig, weil er im universitären Milieu sehr verbreitet ist.
Auch dort wird räsonniert. Auch dort verstehen alle die Welt, haben sie zu allem eine Meinung und wissen sie alles besser. Die Klischees sitzen mindestens so fest wie einst beim Stammtisch der Kleinbürger und Honoratioren.
Nein, sie sitzen fester. Denn es gibt einen wesentlichen Unterschied: Das Weltbild der klassischen Stammtische war durch die eigene Lebenswirklichkeit der Stammtischbrüder und -schwestern geprägt; ihren Erfahrungen mit dem Staat und mit seinen Bürgern, mit Inländern und Ausländern. Die Klischees der linken StammtischlerInnen bestimmen sich aber weitgehend nicht durch eigene Erfahrung.
Da räsonnieren Lehrer und Studenten, Professoren und Beamte, ErnährungsberaterInnen, Gleichstellungsbeauftragte über Multikulti; nur gehen ihre eigenen Kinder nicht auf Schulen mit einem Ausländeranteil von sechzig oder achtzig Prozent. Da bejammern sie die "Kinderarmut", haben sich aber noch nie dort umgesehen, wo die Familien wohnen, die seit Generationen von Sozialhilfe leben. Da meinen sie, man solle doch die Kriminalität nicht so aufbauschen, wohnen aber dort, wo sie selten Opfer eines Überfalls werden (siehe Ich bin ein Überfallopfer; ZR vom 2. 12. 2010).
Da wissen sie alles deshalb besser, weil sie in Wahrheit nichts wissen. Weil sie es so genau oft auch gar nicht wissen wollen.
Ein Hauptthema war und ist beispielsweise in diesen Tagen Sarrazin. Kaum jemand, der bei diesen linken Stammtisch über ihn herzieht (das gehört gegenwärtig zum Ritual der gegenseitigen Bestätigung), hat sein Buch gelesen.
Das braucht man doch nicht, ich bitte Sie! Jeder weiß doch, was von diesem Mann zu halten ist. Sehen Sie sich doch nur an, wie verkniffen der dasitzt, bei dem stimmt doch was nicht. Keine Empathie. Sowas von verkopft. Ein armer Mensch, wenn Sie mich fragen. Innerlich voll Haß. Und es soll ja alles gelogen sein, was der schreibt. Ein böser Mann, sage ich Ihnen.
So reden sie, so schwadronieren sie an den linken Stammtischen. Und wenn dann einer, der in einer solchen Runde sitzt, aufsteht und nach Hause geht, weil er noch ein paar Zeilen schreiben muß, dann fällt ihm als Titel vielleicht ein "Die FAZ, Sarrazin und Lügen zu Weihnachten".
In Zettels kleinem Zimmer hat kürzlich C. wunderbar beschrieben, wie es zu einem solchen Artikel kommt:
Sie sitzen, trinken und reden. Früher rauchten viele auch; heute gehen sie zum Rauchen nach draußen.
Meist reden sie über Lokales, über den Klatsch und Tratsch der Gemeinde, über das Leben in ihrer sozialen Umwelt. Manchmal reden sie auch über Politik.
Und wie reden sie über Politik?
Seltsamerweise denken offenbar viele Menschen, sie würden darüber ungefähr so reden und schwätzen und kakeln, wie das laut Dirk Kurbjuweit der "Wutbürger" tut (siehe Ein Gutmensch erfindet den Wutbürger; ZR vom 11. 10. 2010 und "Wutbürger" - Wort des Jahres? Nein, Unwort des Jahres; ZR vom 18. 12. 2010).
Der "Stammtisch" - Hort der Wutbürger? Das ist ungefähr so realitätsnah wie der deutsche Offizier mit Pickelhaube oder der Franzose mit Baskenmütze und Menjou-Bärtchen, die immer noch durch die einschlägigen Karikaturen geistern.
Historisch ist das so aktuell wie die Metapher von der "Lufthoheit über die Stammtische" (manchmal auch "... über den Stammtischen"). Die Rede von der Lufthoheit stammt natürlich aus dem Zweiten Weltkrieg, als die Propaganda der Nazis meldet, daß die Luftwaffe diese und jene "Lufthoheit" erreicht hätte, d.h. daß sie über dem betreffenden Gebiet nicht mehr durch feindliche Flieger bekämpft werde.
Das ist nun schon ein wenig her. Die damals jüngsten Piloten der Nazi-Luftwaffe gehen heute auf die neunzig zu. Aber wie das so ist - Klischees sind haltbar; selbst über die Generationen hinweg.
Das gilt auch für das Klische des "Stammtischs", an dem der Wutbürger sein Wesen treiben soll; der Kleinbürger. Wo er "Stammtischgerede" produziert, nur sein eigenes egoistisches Interesse sieht, alles besser weiß und alles zu verstehen vermeint. Wo er wild räsonniert, geschüttelt von populistischen Anwandlungen.
Gewiß gibt es das. Fast jede noch so verzerrende Karikatur spiegelt ein wenn auch noch so kleines Stücklein Realität wider. Aber die Regel ist das längst nicht mehr.
Die Regel ist, daß an Stammtischen sehr unterschiedliche politische Meinungen vertreten werden; und daß eine inzwischen besonders häufige Variante der linke Stammtisch ist.
Manche von Ihnen werden ihn kennen, den linken Stammtisch. Ich kenne ihn ein wenig, weil er im universitären Milieu sehr verbreitet ist.
Auch dort wird räsonniert. Auch dort verstehen alle die Welt, haben sie zu allem eine Meinung und wissen sie alles besser. Die Klischees sitzen mindestens so fest wie einst beim Stammtisch der Kleinbürger und Honoratioren.
Nein, sie sitzen fester. Denn es gibt einen wesentlichen Unterschied: Das Weltbild der klassischen Stammtische war durch die eigene Lebenswirklichkeit der Stammtischbrüder und -schwestern geprägt; ihren Erfahrungen mit dem Staat und mit seinen Bürgern, mit Inländern und Ausländern. Die Klischees der linken StammtischlerInnen bestimmen sich aber weitgehend nicht durch eigene Erfahrung.
Da räsonnieren Lehrer und Studenten, Professoren und Beamte, ErnährungsberaterInnen, Gleichstellungsbeauftragte über Multikulti; nur gehen ihre eigenen Kinder nicht auf Schulen mit einem Ausländeranteil von sechzig oder achtzig Prozent. Da bejammern sie die "Kinderarmut", haben sich aber noch nie dort umgesehen, wo die Familien wohnen, die seit Generationen von Sozialhilfe leben. Da meinen sie, man solle doch die Kriminalität nicht so aufbauschen, wohnen aber dort, wo sie selten Opfer eines Überfalls werden (siehe Ich bin ein Überfallopfer; ZR vom 2. 12. 2010).
Da wissen sie alles deshalb besser, weil sie in Wahrheit nichts wissen. Weil sie es so genau oft auch gar nicht wissen wollen.
Ein Hauptthema war und ist beispielsweise in diesen Tagen Sarrazin. Kaum jemand, der bei diesen linken Stammtisch über ihn herzieht (das gehört gegenwärtig zum Ritual der gegenseitigen Bestätigung), hat sein Buch gelesen.
Das braucht man doch nicht, ich bitte Sie! Jeder weiß doch, was von diesem Mann zu halten ist. Sehen Sie sich doch nur an, wie verkniffen der dasitzt, bei dem stimmt doch was nicht. Keine Empathie. Sowas von verkopft. Ein armer Mensch, wenn Sie mich fragen. Innerlich voll Haß. Und es soll ja alles gelogen sein, was der schreibt. Ein böser Mann, sage ich Ihnen.
So reden sie, so schwadronieren sie an den linken Stammtischen. Und wenn dann einer, der in einer solchen Runde sitzt, aufsteht und nach Hause geht, weil er noch ein paar Zeilen schreiben muß, dann fällt ihm als Titel vielleicht ein "Die FAZ, Sarrazin und Lügen zu Weihnachten".
In Zettels kleinem Zimmer hat kürzlich C. wunderbar beschrieben, wie es zu einem solchen Artikel kommt:
Er hält sich vornehmlich in gut geheizten Cafebars auf, bis ihm nach dem siebten Barolo das iphone wütend meldet, dass jetzt bald Redaktionsschluss sei. Was tun? Angesoffen, die gute Laune jäh unter die lokale Außentemperatur abgestürzt.Da haben Sie ihn, den linken Stammtischler; besser beschrieben, als ich das je könnte.
Mit einer Story über die globale Erwärmung wird er noch nicht einmal ein mitleidiges Lächeln vom Redaktionsleiter ernten, also dann doch "Sarrazin". Endlich mal wieder für 5 Minuten wichtig sein, und was noch schöner ist, vielleicht auch noch gelesen werden, ganz ohne Recherche, Emotionen pur. Er haut seinen Frust des noch laufenden, aber fast vergangene Jahres in die Tasten und prügelt den Dämonen, der die Özilisierung der Gesellschaft versaut hat.
Jetzt noch schnell abschicken und befreit auf die Tastatur kotzen. Das Leben kann so schön sein. Triumphierend stellt er sich zu den Leidensgenossen unter dem Heizpilz und zündet sich eine Cohiba an. Er hat sie sich verdient, wie auch das Schulterklopfen des Hauptstadtredakteurs der ZEIT, dem er vorab eine Kopie geleakt hat.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Antike Büste von Ianus, des Gottes des Übergangs und der Veränderung; Vatikan-Museum. Fotografie vom Autor Fubar Obfusco in die Public Domain gestellt. Bearbeitet. Mit Dank an C.