2. Dezember 2010

Zitat des Tages: "Ich bin ein Überfallopfer". Ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerter Bericht in der "Zeit"

Ich bin ein Überfallopfer. Am 29. April 2010 bricht um kurz nach 23 Uhr Gewalt über mich herein. Hemmungslos, mitleidlos, maßlos.

Diese Sätze stehen in der Anfangspassage des ausführlichen Erlebnisberichts eines Opfers von Jugendkriminalität, den Sie seit heute Vormittag in "Zeit-Online" lesen können. Der Artikel ist - unter der riesigen, blutroten Überschrift "Der Überfall" vor dem Hintergrund eine Abbildung, die den Schatten eines Schlägers zeigt - der Aufmacher der aktuellen gedruckten "Zeit" (49/2010 vom 2. 12. 2010).


Kommentar: Dieser Bericht ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.

Erstens, weil er, geschrieben von einer ausgezeichneten Journalistin (Susanne Leinemann, der Tochter des langjährigen "Spiegel"-Redakteurs Jürgen Leinemann), eindringlich schildert, wie es ist, Opfer eines brutalen Überfalls zu werden.

Dieses Opfer war Susanne Leinemann selbst. Sie wurde von zwei jugendlichen Tätern (ein dritter stand Schmiere) bei einem Straßenüberfall mit einer Art Keule bewußtlos geschlagen und erlitt schwere Kopfverletzungen (Schädel-Hirn-Trauma zweiten Grades, Schädelbruch über der Augenhöhle. Hirnhautriss). Die Täter erbeuteten 35 Euro.

Bemerkenswert ist zweitens, daß die "Zeit" derart ausführlich und in einer solchen Aufmachung über die Gewaltkriminalität von Jugendlichen berichtet; ein Thema, das ja jahrzehntelang dort, wie in der anderen "linksliberalen" Presse auch, überwiegend heruntergespielt wurde. Als Ruf nach "Law and Order" wurde es oft genug in die rechtsextreme Ecke gestellt, wenn ein härteres Durchgreifen gegen die Jugendkriminalität gefordert wurde.

Ob über die Publikation so entschieden worden wäre, wenn das Opfer eine beliebige Berlinerin gewesen wäre und nicht eine bekannte Journalistin und Romanautorin, mag dahingestellt sein.

Der Chefredakteur der "Zeit", Giovanni di Lorenzo, erläutert die redaktionelle Entscheidung in diesem Video; und er findet erstaunliche Worte. Er zeigt sich bestürzt darüber, daß die Täter nicht in U-Haft kamen, sondern nach ihrer Festnahme wieder freigelassen wurden. Er spricht von Problemen, an die "alle gesellschaftlichen Gruppen in der Bundesrepublik ranmüssen. Vielleicht auch in der Korrektur einiger Irrtümer". Welch ein Sinneswandel.

Drittens ist bemerkenswert, daß die Täter Deutsche waren. Bemerkenswert zum einen, weil das die Fahndung offenbar sehr erleichterte. Susanne Leinemann:
So schwer war es nicht, das Trio aufzuspüren, denn was ich als Nachteil empfand, war ein Vorteil: jung und deutsch. Die meisten Überfälle geschahen im Wedding, da ist dieses Täterprofil rar. Türken und Araber sind dort der Standard.
Bemerkenswert ist der Umstand, daß die Täter Deutsche waren, aber auch im Hinblick auf die redaktionelle Entscheidung der "Zeit", diesen Bericht in dieser Aufmachung zu publizieren.

Hand aufs Herz, möchte man die "Zeit"-Redaktion fragen: Hätten Sie das auch dann so entschieden, wenn die Täter Türken oder Araber gewesen wären?



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