Solange man im Wald steckt, sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht, notwendigerweise. Als einen Wald, der eine bestimmte Lage hat, einen Gesamtcharakter, kann man ihn erst sehen, wenn man aus ihm heraus ist und sich in einiger Entfernung befindet.
Mit den Jahrzehnten ist es wohl ähnlich. Von den vergangenen haben wir ein Bild: den wilden Zwanzigern, den totalitären Dreißigern, von den entsetzlichen Vierzigern, vom Wirtschaftswunder der Fünfziger.
Von den Sechzigern, an deren Anfang es zu gären begann, bis an ihrem Ende alles in Gärung war. An ihrem Anfang trugen die Studenten Schlips oder Fliege und redeten sich mit "Sie" an. An ihrem Ende zogen viele von ihnen zottelbärtig und in der "Parka" durch die Straßen.
Vom Tanz auf dem Vulkan der Siebziger: Einerseits der Ölschock und die Bedrohung durch den Terrorismus. Andererseits eine Zeit der Befreiung - beispielsweise in der Sexual- Gesetzgebung -, eine Zeit der Reformen. Ein Jahrzehnt, in dem es so bunt zuging wie nie zuvor. Die Autos waren damals knallbunt, die Modefarben hießen "Schockfarben", und die Tapeten zeigten eine grelle Ornamentik.
In den Achtzigern hatte man sich ausgetobt. Es war ein sozusagen gesetztes Jahrzehnt. In mancher Hinsicht eine Wiederholung der Fünfziger unter dem Adenauer- "Enkel" Kohl. "Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt" sangen Geier Sturzflug 1983. Wie die Fünfziger war dieses konservative Jahrzehnt begleitet von Aktionen der Linken; damals waren es die Ostermarschierer, jetzt die Friedensbewegung und die Gegner der friedlichen Nutzung der Atomkraft.
Die Neunziger waren als das Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung eine Periode gewissermaßen des Atemholens. Wir waren mit dem Aufbau Ost beschäftigt. Die Regierung Kohl wirkte zunehmend müde und verbraucht. Die Notwendigkeit von Reformen, um Deutschland fit zu machen für die Globalisierung, wurde zunehmend erkannt, aber Oskar Lafontaine blockierte über den Bundesrat.
Und jetzt das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts? Die Nuller, wenn man dieses etwas seltsam klingende Wort verwenden will?
Ich weiß nicht, ob es mir nicht nur wegen des Noch- im Wald- Effekts nicht gelingen will, ihre Konturen wahrzunehmen. Vielleicht gibt es auch keine einheitlichen Konturen; zu verschieden waren die erste und zweite Hälfte dieser Dekade.
Es war ein Jahrzehnt mit zwei Kanzlern und drei Koalitionen. In seiner ersten Hälfte versuchten gealterte Achtundsechiger, auf ihre alten Tage sich noch die Träume ihrer Jugend zu erfüllen; freilich mit einem kräftigen Schuß Zynismus. Keine der fälligen Reformen wurde angegriffen; stattdessen das Wolkenkuckucksheim eines "rot- grünen Projekts" präsentiert. Es breitete sich eine Stimmung der Lähmung aus.
Am Ende dieser Regierung war Deutschland auf dem Weg zum "Kranken Mann Europas". Den freilich Schröder in letzter Minute mit der "Agenda 2010" zu kurieren versucht hat.
Er hat damit das Notwendige getan. Aber er hat es ohne jede Vorbereitung innerhalb seiner Partei, sondern par ordre du Mufti getan; wie ein Zar, der per Ukas regiert. Damit hat er die Kommunisten stark gemacht und seine Partei an den Rand der Bedeutungslosigkeit gebracht.
Die zweite Hälfte des Jahrzehnts war ganz anders. Die Große Koalition, der man bei ihrer Bildung wenig zugetraut hatte, regierte solide und brachte Deutschland wieder auf Erfolgskurs. Die nüchterne, pragmatische, effiziente Kanzlerin Merkel war ein Glücksfall.
Die Wirtschaftskrise hat sie (bisher) besser gemeistert als die meisten ihrer Amtskollegen in den anderen Ländern. Deutschland wird im Ausland wieder bewundert, ganz anders als zur Zeit des Basta- Kanzlers.
Wie es in der neuen Koalition weitergehen wird, das ist nach wenigen Monaten noch ganz offen. Bisher hat sich nicht das gehalten, was viele - auch ich - sich von ihr erhofft hatten: Die Dynamik eines liberalkonservativen Neuanfangs.
Aber vielleicht ist dafür einfach noch nicht die Zeit. Wir stecken noch immer mitten in der Weltwirtschaftskrise. Im Sturm man muß man ein Schiff zunächst einmal sichern, statt es volle Kraft voraus fahren zu lassen.
Ein widersprüchliches, ein uneinheitliches Jahrzehnts also. Eine Dekade, die mir dadurch gekennzeichnet zu sein scheint, daß es für sie keine einheitliche Charakterisierung gibt.
So sieht es mir aus, in den Wald von dessen Rand aus hingeblickt. Vielleicht wird es aus größerem Abstand anders aussehen.
Mit den Jahrzehnten ist es wohl ähnlich. Von den vergangenen haben wir ein Bild: den wilden Zwanzigern, den totalitären Dreißigern, von den entsetzlichen Vierzigern, vom Wirtschaftswunder der Fünfziger.
Von den Sechzigern, an deren Anfang es zu gären begann, bis an ihrem Ende alles in Gärung war. An ihrem Anfang trugen die Studenten Schlips oder Fliege und redeten sich mit "Sie" an. An ihrem Ende zogen viele von ihnen zottelbärtig und in der "Parka" durch die Straßen.
Vom Tanz auf dem Vulkan der Siebziger: Einerseits der Ölschock und die Bedrohung durch den Terrorismus. Andererseits eine Zeit der Befreiung - beispielsweise in der Sexual- Gesetzgebung -, eine Zeit der Reformen. Ein Jahrzehnt, in dem es so bunt zuging wie nie zuvor. Die Autos waren damals knallbunt, die Modefarben hießen "Schockfarben", und die Tapeten zeigten eine grelle Ornamentik.
In den Achtzigern hatte man sich ausgetobt. Es war ein sozusagen gesetztes Jahrzehnt. In mancher Hinsicht eine Wiederholung der Fünfziger unter dem Adenauer- "Enkel" Kohl. "Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt" sangen Geier Sturzflug 1983. Wie die Fünfziger war dieses konservative Jahrzehnt begleitet von Aktionen der Linken; damals waren es die Ostermarschierer, jetzt die Friedensbewegung und die Gegner der friedlichen Nutzung der Atomkraft.
Die Neunziger waren als das Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung eine Periode gewissermaßen des Atemholens. Wir waren mit dem Aufbau Ost beschäftigt. Die Regierung Kohl wirkte zunehmend müde und verbraucht. Die Notwendigkeit von Reformen, um Deutschland fit zu machen für die Globalisierung, wurde zunehmend erkannt, aber Oskar Lafontaine blockierte über den Bundesrat.
Und jetzt das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts? Die Nuller, wenn man dieses etwas seltsam klingende Wort verwenden will?
Ich weiß nicht, ob es mir nicht nur wegen des Noch- im Wald- Effekts nicht gelingen will, ihre Konturen wahrzunehmen. Vielleicht gibt es auch keine einheitlichen Konturen; zu verschieden waren die erste und zweite Hälfte dieser Dekade.
Es war ein Jahrzehnt mit zwei Kanzlern und drei Koalitionen. In seiner ersten Hälfte versuchten gealterte Achtundsechiger, auf ihre alten Tage sich noch die Träume ihrer Jugend zu erfüllen; freilich mit einem kräftigen Schuß Zynismus. Keine der fälligen Reformen wurde angegriffen; stattdessen das Wolkenkuckucksheim eines "rot- grünen Projekts" präsentiert. Es breitete sich eine Stimmung der Lähmung aus.
Am Ende dieser Regierung war Deutschland auf dem Weg zum "Kranken Mann Europas". Den freilich Schröder in letzter Minute mit der "Agenda 2010" zu kurieren versucht hat.
Er hat damit das Notwendige getan. Aber er hat es ohne jede Vorbereitung innerhalb seiner Partei, sondern par ordre du Mufti getan; wie ein Zar, der per Ukas regiert. Damit hat er die Kommunisten stark gemacht und seine Partei an den Rand der Bedeutungslosigkeit gebracht.
Die zweite Hälfte des Jahrzehnts war ganz anders. Die Große Koalition, der man bei ihrer Bildung wenig zugetraut hatte, regierte solide und brachte Deutschland wieder auf Erfolgskurs. Die nüchterne, pragmatische, effiziente Kanzlerin Merkel war ein Glücksfall.
Die Wirtschaftskrise hat sie (bisher) besser gemeistert als die meisten ihrer Amtskollegen in den anderen Ländern. Deutschland wird im Ausland wieder bewundert, ganz anders als zur Zeit des Basta- Kanzlers.
Wie es in der neuen Koalition weitergehen wird, das ist nach wenigen Monaten noch ganz offen. Bisher hat sich nicht das gehalten, was viele - auch ich - sich von ihr erhofft hatten: Die Dynamik eines liberalkonservativen Neuanfangs.
Aber vielleicht ist dafür einfach noch nicht die Zeit. Wir stecken noch immer mitten in der Weltwirtschaftskrise. Im Sturm man muß man ein Schiff zunächst einmal sichern, statt es volle Kraft voraus fahren zu lassen.
Ein widersprüchliches, ein uneinheitliches Jahrzehnts also. Eine Dekade, die mir dadurch gekennzeichnet zu sein scheint, daß es für sie keine einheitliche Charakterisierung gibt.
So sieht es mir aus, in den Wald von dessen Rand aus hingeblickt. Vielleicht wird es aus größerem Abstand anders aussehen.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Herodot, der Vater der Geschichtsschreibung. Römische Kopie einer griechischen Porträtstatue aus dem frühen vierten vorchristlichen Jahrhundert. Von der Fotografin Marie-Lan Nguyen in die Public Domain gestellt.