Die Bank of America kündigte vergangenen Mittwoch überraschend an, das staatliche Rettungsgeld in Höhe von 45 Milliarden Dollar zurückzuzahlen. Nach Meinung von Analysten wird dies die Suche nach einem Nachfolger des am Jahresende ausscheidenden Chefs Kenneth Lewis erleichtern.
Am 22. Oktober hat Kenneth R. Feinberg, der den barocken Titel Special Master for Troubled Asset Relief Program Executive Compensation trägt, nämlich verfügt, daß die 25 bestverdienenden Chefs jener sieben Firmen, die der Staat mehrmals vor der Pleite bewahrte, Einkommenskürzungen von mehr als 50% zu ertragen haben, wobei die Geldbezüge gedeckelt, Boni um 90% gekürzt und Vergütung hauptsächlich in Form langfristig zu haltender Aktien vorgeschrieben wurden.
(Einzelheiten stehen hier. Es handelt sich um die Firmen Citigroup, Bank of America, AIG, GM, Chrysler, GMAC und Chrysler Financial. Das Troubled Asset Relief Program ist der Topf zur Sanierung notleidender Kredite, der am 3.10.2008 mit 700 Mrd. Dollar ausgestattet worden ist.)
Eigenartigerweise scheinen diese Kürzungen nicht dem Zweck zu dienen, daß die betreffenden Herrschaften nun weniger verdienen werden, sondern um sie zur Zurückzahlung der Staatshilfe zu bewegen, wodurch sie die Gehaltskürzungen vermeiden würden. So erläuterte am 22. Oktober der Finanzminister Tim Geithner:
We all share an interest in seeing these companies return taxpayer dollars as soon as possible, and Ken today has helped bring that day a little bit closer.Wir alle sind daran interessiert, daß diese Firmen die Steuergelder so rasch wie möglich zurückzahlen, und Ken hat uns heute diesem Tag ein wenig näher gebracht.
Dazu passt auch die jüngste Erklärung Geithners gegenüber dem Kongress, das 700 Mrd. Dollar-Programm "bald" zu beenden, und den nichtausgegebenen Rest wieder in den Staatshaushalt zurückfließen zu lassen.
Vorgestern erklärte nun Geithner andererseits, es sei geplant, die Bezahlung von Bankmanagern "substantiellen Einschränkungen" (fundamental constraints) zu unterwerfen. Das alles klingt so, als wollte er den Pleitiers erst einmal eine Verschnaufpause gönnen, um sie zur Rückzahlung der Bailoutgelder zu bewegen, und später die Daumenschrauben wieder festerziehen.
Soviel zu diesen Pirouetten.
Der Special Master Ken Feinberg wird in den Medien auch gern als pay czar, "Gehälterzar", tituliert, eine Bezeichnung, die in den USA eine längere, bis zum Ersten Weltkrieg zurückgehende Tradition hat.
Doch war es erst Franklin D. Roosevelt, der während des Krieges Sonderbeauftragte für allerlei Zwecke, die meist mit der Kriegswirtschaft zu tun hatten, einsetzte, etwa einen Öl-, Gummi- und Kriegsschiffzaren, insgesamt 19 solche präsidentiellen Gehilfen. Das kam den Zeitgenossen schon reichlich viel vor, und man erwartete bereits spöttelnd einen "Zar der Zaren" zum Zweck ihrer Koordinierung. Dazu kam es aber nicht. Überhaupt geriet das Zarenwesen nach Roosevelt aus der Mode, zwischen 1945 und 2001 gab es nur 33 davon.
Bekannt wurde in dieser Zeit vor allem der Energiezar William E. Simon von 1973-74. Präsident Nixon gab ihm weitreichende Vollmachten, er verglich seine Rolle als Kopf der Federal Energy Administration sogar mit jener Albert Speers für die deutsche Rüstungsproduktion während des Krieges - ein Vergleich, von dem Simon gar nicht sehr begeistert war. Auch das Wort "Zar" trifft in den Vereinigten Staaten und vor allem bei den Zaren selbst immer wieder auf Vorbehalte, da es in amerikanischen Ohren fast so übel klingt wie "König".
Richtig in Schwung kam das Zarentum wieder unter George W. Bush, der 47 ernannte, darunter einen Drogenzaren, einen AIDS-Zaren, einen Abstinenzzaren, einen Bankenrettungszaren, Vogelgrippezaren, Demokratiezaren, Lesezaren, Wissenschaftszaren, Anti-Terrorismuszaren, Kriegszaren, und auch einen Gebäude-Wetterschutz-Zaren; den Obama behalten hat.
In seinem ersten Jahr ernannte Präsident Obama bereits 29 Zaren, den AfPak-Zaren Holbrooke, der sich um Afghanistan und Pakistan kümmert, einen AIDS-Zaren, mehrere Autozaren, einen Bankenrettungszaren, einen Staatsgrenzenzaren, einen Klimazaren und eine Klimazarin, eine Gesundheitszarin und eine Häusliche-Gewalt-Zarin, einen Drogenzaren, Wirtschaftszaren, einen Öko-Job-Zaren, einen Zaren für die Schließung von Guantanamo, einen Industriezaren, Nahostzaren, je einen Konjunktur-, Technologie- und Terrorismuszaren, einen für die Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, einen für städtische Belange, einen Informations- und einen Geheimdienstzaren, einen Große-Seen-Zaren, einen Iranzaren, einen Waffenzaren, sowie Zaren für Sparsamkeit und Bürokratieabbau (falls ich die Begriffe performance und regulatory richtig verstanden habe). Wenn er so weiter macht, wird er am Ende seiner Amtszeit mehr als doppelt so viele Zaren ernannt haben wie alle Präsidenten vor ihm zusammengenommen.
Eigentliche Befugnisse haben diese Beauftragten nicht. Sie können jedoch faktisch Macht ausüben, indem sie direkten Kontakt zum Präsidenten haben und dieser hinter ihren Vorschlägen steht. Manchmal wächst aus dem Büro eines Zaren auch eine neue dauerhafte Bürokratie; zum Beispiel ist die Drogenkontrollbehörde so entstanden.
Falls dieses Beauftragtenwesen wirklich im letzten Jahrzehnt so stark ausgedehnt worden sein sollte - und nicht nur die Bezeichnung "Zar" für Ratgeber und Beauftragte des Präsidenten populär geworden ist -, dann hat das sicher etwas zu bedeuten.
Die Entstehung des Zarenwesens im Krieg ist kein Wunder. Im Krieg tauchen immer wieder Probleme auf, die akut und mit hoher Priorität gelöst werden müssen. Da liegt es nahe, solche Aufgaben jemandem zu übertragen, der am normalen schwerfälligen Dienstweg vorbei Maßnahmen treffen kann. In ruhigen Friedenszeiten ist es dagegen angemessener, nicht irgendwelche Fragen auf Kosten anderer mit Vorrang zu behandeln, sondern möglichst allen Problemen gerecht zu werden. Der gleichmäßige, auf Gesetzen basierende Umgang mit den öffentlichen Aufgaben schafft zudem eine Rechtssicherheit, die der Ad-hoc-Vorgehensweise solcher Zaren nun einmal nicht anhaftet.
Daß solche Kriegskrisenmethoden im zivilen Bereich angewendet werden, kann man also schon bedenklich finden. Wird ausgewählten Belangen eine übertriebene Wichtigkeit zugemessen, dann dürfte dies zu einer unnötigen Vernachlässigung anderer Bereiche führen - die Qualität der Staatsverwaltung verschlechtert sich insgesamt. Sollte andererseits die Zahl der Zaren nun tatsächlich ins Unabsehbare wachsen, würde sich das wieder ausgleichen: ist alles top priority, dann hat gar nichts mehr Priorität, und die Krise ist vorüber.
Ebenfalls problematisch erscheint mir die Koordinierungsfunktion der Zaren. Sie stehen meist außerhalb der Bürokratie und bündeln die Ressourcen verschiedener Behörden. Nimmt nun der Koordinierungsaufwand zu, dann spricht das dafür, daß die Aufgabenverteilung der Behörden nicht mehr sachgerecht ist. Die bürokratische Hierarchie dient ja bereits der Koordinierung der einzelnen Behörden. Wenn man nun eine zusätzliche Koordinierung der Koordinierer braucht, läuft etwas schief. In diesem Fall wäre ein neuer Ressortzuschnitt sicher besser als die willkürliche Koordinierung durch Sonderbeauftragte: vielleicht ja eine feine Aufgabe für einen Verwaltungsaufgabenverteilungszaren?
Positive Seiten gibt es natürlich auch: wie sich die Zaren in ihrem Wirken auf den Präsidenten stützen müssen, so kann sich umgekehrt auch ein überforderter Präsident auf seine Zaren stützen und einfach tun, was sie ihm vorschlagen. Statt Zaren könnte man sie dann Krücken nennen. Taugen sie einigermaßen etwas, braucht das Land nicht am Versagen eines einzelnen Menschen zu scheitern - und da Obama hier offenkundig in die Spuren Bushs tritt, gibt es Hoffnung.
Und schließlich soll nicht übersehen werden, daß manche Kenner dieses Zarentum nur für faulen Zauber halten:
"There've been so many czars over last 50 years, and they've all been failures," said Paul Light, an expert on government at New York University. "Nobody takes them seriously anymore." (...) "We only create them because departments don't work or don't talk to each other," Mr. Light said, adding that creation of a White House post doesn't usually change that. "It's a symbolic gesture of the priority assigned to an issue, and I emphasize the word symbolic. When in doubt, create a czar.""Es gab so viele Zaren in den vergangenen 50 Jahren, und sie sind alle gescheitert", meinte Paul Light, ein Politologe der New York University. "Keiner nimmt sie noch ernst." (...) "Wir ernennen sie nur, weil die Behörden nicht funktionieren oder nicht miteinander reden", sagte Light, und fügte hinzu, daß ein neuer Posten im Weißen Haus daran nichts zu ändern pflege. "Es ist die symbolische Geste, daß ein Thema für wichtig gehalten wird, und ich betone das Wort 'symbolisch'. Wenn man nicht weiter weiß, ernennt man einen Zaren."
Wie beruhigend.
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