6. Dezember 2009

Ken Feinberg, Gehälterzar

Kenneth R. Feinberg
Die Bank of America kün­dig­te ver­gangenen Mitt­woch über­rasch­end an, das staat­liche Rettungs­geld in Höhe von 45 Milliard­en Dollar zu­rück­zu­zahl­en. Nach Meinung von Ana­lyst­en wird dies die Suche nach ei­nem Nach­folg­er des am Jahres­ende aus­scheid­en­den Chefs Ken­neth Lewis er­leichtern.
Am 22. Oktober hat Kenneth R. Fein­berg, der den barocken Titel Special Master for Troubled Asset Relief Pro­gram Executive Com­pen­sation trägt, näm­lich ver­fügt, daß die 25 best­ver­dienen­den Chefs jener sieben Firmen, die der Staat mehrmals vor der Pleite bewahrte, Ein­kommens­kürzungen von mehr als 50% zu ertragen haben, wobei die Geld­bezüge gedeckelt, Boni um 90% gekürzt und Ver­gütung haupt­säch­lich in Form lang­fristig zu haltender Aktien vor­ge­schrieben wurden.
(Einzelheiten stehen hier. Es handelt sich um die Firmen Citi­group, Bank of America, AIG, GM, Chrysler, GMAC und Chrysler Finan­cial. Das Troubled Asset Relief Program ist der Topf zur Sanierung notleidender Kredite, der am 3.10.2008 mit 700 Mrd. Dollar aus­gestattet worden ist.)
Eigen­artiger­weise scheinen diese Kürz­ungen nicht dem Zweck zu dienen, daß die be­treffen­den Herr­schaften nun weniger verdienen werden, sondern um sie zur Zurück­zahlung der Staats­hilfe zu bewegen, wodurch sie die Gehalts­kürzungen ver­meiden würden. So erläuterte am 22. Oktober der Finanz­minister Tim Geithner:
We all share an interest in seeing these companies return taxpayer dollars as soon as possible, and Ken today has helped bring that day a little bit closer.
Wir alle sind daran interessiert, daß diese Firmen die Steuer­gelder so rasch wie möglich zurückzahlen, und Ken hat uns heute diesem Tag ein wenig näher gebracht.
Dazu passt auch die jüngste Erklärung Geithners gegenüber dem Kongress, das 700 Mrd. Dollar-Programm "bald" zu beenden, und den nicht­ausgegebenen Rest wieder in den Staatshaushalt zurückfließen zu lassen.
Vorgestern erklärte nun Geithner andererseits, es sei geplant, die Bezahlung von Bank­managern "substantiellen Ein­schränkungen" (fundamental constraints) zu unterwerfen. Das alles klingt so, als wollte er den Pleitiers erst einmal eine Verschnauf­pause gönnen, um sie zur Rück­zahlung der Bailout­gelder zu bewegen, und später die Daumen­schrauben wieder fester­ziehen.
Soviel zu diesen Pirouetten.
Der Special Master Ken Feinberg wird in den Medien auch gern als pay czar, "Gehälterzar", tituliert, eine Bezeichnung, die in den USA eine längere, bis zum Ersten Weltkrieg zurückgehende Tradition hat.
Doch war es erst Franklin D. Roosevelt, der während des Krieges Sonder­beauftragte für allerlei Zwecke, die meist mit der Kriegs­wirtschaft zu tun hatten, einsetzte, etwa einen Öl-, Gummi- und Kriegs­schiff­zaren, insgesamt 19 solche prä­si­den­tiellen Ge­hilfen. Das kam den Zeit­genossen schon reichlich viel vor, und man erwartete bereits spöttelnd einen "Zar der Zaren" zum Zweck ihrer Koordi­nierung. Dazu kam es aber nicht. Über­haupt geriet das Zaren­wesen nach Roose­velt aus der Mode, zwischen 1945 und 2001 gab es nur 33 davon.
Bekannt wurde in dieser Zeit vor allem der Energiezar William E. Simon von 1973-74. Präsident Nixon gab ihm weit­reichende Voll­machten, er verglich seine Rolle als Kopf der Federal Energy Ad­ministration sogar mit jener Albert Speers für die deutsche Rüstungs­produktion während des Krieges - ein Vergleich, von dem Simon gar nicht sehr begeistert war. Auch das Wort "Zar" trifft in den Ver­einigten Staaten und vor allem bei den Zaren selbst immer wieder auf Vor­behalte, da es in amerikanischen Ohren fast so übel klingt wie "König".
Richtig in Schwung kam das Zaren­tum wieder unter George W. Bush, der 47 ernannte, darunter einen Drogenzaren, einen AIDS-Zaren, einen Abstinenz­zaren, einen Banken­rettungs­zaren, Vogel­grippe­zaren, Demokratie­zaren, Lese­zaren, Wissenschafts­zaren, Anti-Terrorismus­zaren, Kriegs­zaren, und auch einen Ge­bäude-Wetter­schutz-Zaren; den Obama behalten hat.
In seinem ersten Jahr ernannte Präsident Obama bereits 29 Zaren, den AfPak-Zaren Holbrooke, der sich um Af­ghanistan und Pakistan kümmert, einen AIDS-Zaren, mehrere Autozaren, einen Banken­rettungs­zaren, einen Staats­grenzen­zaren, einen Klima­zaren und eine Klima­zarin, eine Gesundheits­zarin und eine Häusliche-Gewalt-Zarin, einen Drogen­zaren, Wirtschafts­zaren, einen Öko-Job-Zaren, einen Zaren für die Schließung von Guan­tanamo, einen Industrie­zaren, Nahost­zaren, je einen Kon­junk­tur-, Techno­logie- und Terrorismus­zaren, einen für die Nicht­weiter­ver­breitung von Massen­ver­nichtungs­waffen, einen für städtische Belange, einen Infor­mations- und einen Geheim­dienst­zaren, einen Große-Seen-Zaren, einen Iran­zaren, einen Waffen­zaren, sowie Zaren für Spar­samkeit und Büro­kratie­abbau (falls ich die Begriffe performance und regulatory richtig verstanden habe). Wenn er so weiter macht, wird er am Ende seiner Amtszeit mehr als doppelt so viele Zaren ernannt haben wie alle Präsidenten vor ihm zu­sammen­ge­nommen.
Eigentliche Befugnisse haben diese Beauf­tragten nicht. Sie können jedoch faktisch Macht ausüben, indem sie direkten Kontakt zum Präsidenten haben und dieser hinter ihren Vorschlägen steht. Manchmal wächst aus dem Büro eines Zaren auch eine neue dauerhafte Büro­kratie; zum Beispiel ist die Drogen­kon­troll­be­hörde so entstanden.
Falls dieses Beauftragten­wesen wirklich im letzten Jahr­zehnt so stark ausgedehnt worden sein sollte - und nicht nur die Bezeichnung "Zar" für Ratgeber und Beauftragte des Präsidenten populär geworden ist -, dann hat das sicher et­was zu be­deuten.
Die Entstehung des Zaren­wesens im Krieg ist kein Wunder. Im Krieg tauchen immer wieder Probleme auf, die akut und mit hoher Priorität gelöst werden müssen. Da liegt es nahe, solche Aufgaben jemandem zu übertragen, der am normalen schwerfälligen Dienstweg vorbei Maßnahmen treffen kann. In ruhigen Friedens­zeiten ist es dagegen angemessener, nicht irgendwelche Fragen auf Kosten anderer mit Vor­rang zu behandeln, sondern möglichst allen Problemen gerecht zu werden. Der gleich­mäßige, auf Gesetzen basierende Umgang mit den öffentlichen Auf­gaben schafft zudem eine Rechts­sicherheit, die der Ad-hoc-Vorgehensweise solcher Zaren nun einmal nicht anhaftet.
Daß solche Kriegs­krisen­methoden im zivilen Bereich angewendet werden, kann man also schon bedenklich finden. Wird aus­gewählten Belangen eine über­triebene Wichtig­keit zugemessen, dann dürfte dies zu einer un­nötigen Ver­nach­lässigung anderer Bereiche führen - die Qualität der Staats­verwaltung verschlechtert sich insgesamt. Sollte andererseits die Zahl der Zaren nun tat­sächlich ins Unabsehbare wachsen, würde sich das wieder ausgleichen: ist alles top priority, dann hat gar nichts mehr Priorität, und die Krise ist vorüber.
Ebenfalls problematisch erscheint mir die Ko­ordinierungs­funktion der Zaren. Sie stehen meist außerhalb der Büro­kratie und bündeln die Ressourcen verschiedener Behörden. Nimmt nun der Koordinierungs­auf­wand zu, dann spricht das dafür, daß die Auf­gaben­ver­teilung der Behörden nicht mehr sachgerecht ist. Die büro­kratische Hier­archie dient ja bereits der Koordinierung der ein­zelnen Behörden. Wenn man nun eine zusätzliche Koordinierung der Koordinierer braucht, läuft etwas schief. In diesem Fall wäre ein neuer Ressort­zuschnitt sicher besser als die will­kürliche Koordinierung durch Sonder­beauftragte: vielleicht ja eine feine Auf­gabe für einen Ver­waltungs­auf­gaben­ver­teilungs­zaren?
Positive Seiten gibt es natürlich auch: wie sich die Zaren in ihrem Wirken auf den Präsidenten stützen müssen, so kann sich umgekehrt auch ein über­forderter Präsident auf seine Zaren stützen und einfach tun, was sie ihm vorschlagen. Statt Zaren könnte man sie dann Krücken nennen. Taugen sie einigermaßen etwas, braucht das Land nicht am Ver­sagen eines einzelnen Men­schen zu scheitern - und da Obama hier offen­kundig in die Spuren Bushs tritt, gibt es Hoffnung.
Und schließlich soll nicht übersehen werden, daß manche Kenner dieses Zarentum nur für faulen Zauber halten:
"There've been so many czars over last 50 years, and they've all been failures," said Paul Light, an expert on govern­ment at New York University. "Nobody takes them seriously anymore." (...) "We only create them because departments don't work or don't talk to each other," Mr. Light said, adding that creation of a White House post doesn't usually change that. "It's a symbolic gesture of the priority assigned to an issue, and I emphasize the word symbolic. When in doubt, create a czar."
"Es gab so viele Zaren in den vergangenen 50 Jahren, und sie sind alle gescheitert", meinte Paul Light, ein Politologe der New York Uni­versity. "Keiner nimmt sie noch ernst." (...) "Wir ernennen sie nur, weil die Behörden nicht funktionieren oder nicht miteinander reden", sagte Light, und fügte hinzu, daß ein neuer Posten im Weißen Haus daran nichts zu ändern pflege. "Es ist die sym­bolische Geste, daß ein Thema für wichtig gehalten wird, und ich betone das Wort 'symbolisch'. Wenn man nicht weiter weiß, ernennt man einen Zaren."
Wie beruhigend.


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