26. Dezember 2009

Zitat des Tages: "Zum ewigen Frieden". Kant erklärt, warum die UNO nicht funktionieren kann. Nebst einer Bemerkung über ein holländisches Gasthaus

Nun hat aber die republikanische Verfassung, außer der Lauterkeit ihres Ursprungs, aus dem reinen Quell des Rechtsbegriffs entsprungen zu sein, noch die Aussicht in die gewünschte Folge, nämlich den ewigen Frieden; wovon der Grund dieser ist. —

Wenn (wie es in dieser Verfassung nicht anders sein kann) die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, "ob Krieg sein solle, oder nicht", so ist nichts natürlicher, als daß, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müßten (als da sind: selbst zu fechten; die Kosten des Krieges aus ihrer eigenen Habe herzugeben; die Verwüstung, die er hinter sich läßt, kümmerlich zu verbessern; zum Übermaße des Übels endlich noch eine, den Frieden selbst verbitternde, nie (wegen naher immer neuer Kriege) zu tilgende Schuldenlast selbst zu übernehmen), sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen:

Da hingegen in einer Verfassung, wo der Untertan nicht Staatsbürger, die also nicht republikanisch ist, es die unbedenklichste Sache von der Welt ist, weil das Oberhaupt nicht Staatsgenosse, sondern Staatseigentümer ist, an seinen Tafeln, Jagden, Lustschlössern, Hoffesten u. d. gl. durch den Krieg nicht das mindeste einbüßt, diesen also wie eine Art von Lustpartie aus unbedeutenden Ursachen beschließen, und der Anständigkeit wegen dem dazu allezeit fertigen diplomatischen Korps die Rechtfertigung desselben gleichgültig überlassen kann.


Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden (1795). Das Zitat ist aus dem Zweiten Abschnitt, Erster Definitivartikel.


Kommentar: Im ersten Teil seines Aufsatzes untersucht Kant, wie ein ewiger Frieden beschaffen sein müßte (zum Beispiel darf Frieden nicht in der Absicht geschlossen werden, den Krieg später wieder aufzunehmen. Zum Beispiel darf kein Staat Gebietsansprüche an einen anderen erheben). Im zweiten Teil analysiert er, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein so beschaffener ewiger Frieden erreicht werden kann.

An erster Stelle nennt er das, was ich zitiere, die "republikanische Verfassung"; wir würden heute sagen: den demokratischen Rechtsstaat mit Gewaltenteilung und einem frei gewählten Parlament.

Nur zwischen solchen Staaten ist, sagt Kant, der ewige Frieden möglich. Aber dies ist nur eine notwendige, noch nicht eine hinreichende Voraussetzung. Hinzu muß treten: "Das Völkerrecht soll auf einen Föderalismus freier Staaten gegründet sein":
Die Ausführbarkeit (objektive Realität) dieser Idee der Föderalität, die sich allmählich über alle Staaten erstrecken soll, und so zum ewigen Frieden hinführt, läßt sich darstellen. Denn wenn das Glück es so fügt: daß ein mächtiges und aufgeklärtes Volk sich zu einer Republik (die ihrer Natur nach zum ewigen Frieden geneigt sein muß) bilden kann, so gibt diese einen Mittelpunkt der föderativen Vereinigung für andere Staaten ab, um sich an sie anzuschließen, und so den Freiheitszustand der Staaten, gemäß der Idee des Völkerrechts, zu sichern, und sich durch mehrere Verbindungen dieser Art nach und nach immer weiter auszubreiten.
So hellsichtig, so modern dachte Kant. Diktaturen - das heutige Äquivalent der absoluten Monarchien seiner Zeit - sind inhärent nicht friedensfähig. Zweitens genügen keine Vereinbarungen und Verträge, um Kriege zu verhindern; denn diese können gebrochen werden. Nur Föderalismus - der Zusammenschluß von Staaten - kann Krieg dauerhaft verhindern.

In der heutigen UNO gibt es viele Staaten, die keine demokratischen Rechtsstaaten sind. Sie ist keine Föderation, sondern eher so etwas wie eine ständige Weltkonferenz mit einer angeschlossenen aufgeblähten Bürokratie. Sie hat uns dem ewigen Frieden keinen Schritt näher gebracht.

Natürlich standen Kant, auch wenn er das nicht ausdrücklich sagt, die Vereinigten Staaten von Nordamerika vor Augen. Deren Verfassung war 1788, sieben Jahre vor dem Erscheinen seines Artikels, ratifiziert worden.

Es gab den Rückschlag des Sezessionskriegs; aber seither ist ein Krieg zwischen den Staaten der USA undenkbar; ebenso wie ein Krieg zwischen Staaten der Europäischen Union. Der demokratische Rechtsstaat und föderative Strukturen sind die beiden Voraussetzungen für einen ewigen Frieden. Kant hat es vorhergesagt.



Von einem "Kriegsvölkerrecht" hielt Kant nichts; und er wurde bei diesem Thema geradezu sarkastisch:
Bei dem Begriffe des Völkerrechts, als eines Rechts zum Kriege, läßt sich eigentlich gar nichts denken (weil es ein Recht sein soll, nicht nach allgemein gültigen äußern, die Freiheit jedes einzelnen einschränkenden Gesetzen, sondern nach einseitigen Maximen durch Gewalt, was Recht sei, zu bestimmen), es müßte denn darunter verstanden werden: daß Menschen, die so gesinnet sind, ganz recht geschieht, wenn sie sich unter einander aufreiben, und also den ewigen Frieden in dem weiten Grabe finden, das alle Greuel der Gewalttätigkeit samt ihren Urhebern bedeckt.
Damit knüpft er an den Beginn seines Aufsatzes an. Den Titel hat er nämlich, wie er am Anfang schreibt, dem Namen eines holländischen Gasthauses "Zum ewigen Frieden" entnommen; so, wie Gasthäuser "Zum Adler" oder "Zur schönen Aussicht" heißen.

Entlehnt hat er ihn dem "Schilde jenes holländischen Gastwirts, worauf ein Kirchhof gemalt war".



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