15. Dezember 2009

Am besten schenkt man Geld

Der alte Witz von der Familie, die von den unnützen Weihnachtsgeschenken, die ihre Mitglieder einander zu geben pflegen, genug hat, und daher beschließt, daß jeder jedem einfach 100 Mark schenkt - und dann auch nicht recht froh damit wird -, hat wenigstens teilweise einen wissenschaftlichen Hintergrund, den der Öko­nomomie­pro­fessor Joel Waldvogel von der Wharton University of Pennsylvania bereits 1993 aufgedeckt hat. Rechtzeitig zum diesjährigen Fest erschien jetzt ein neues Buch von ihm, "Scroogenomics", das den neuesten Forschungsstand zu­sammen­fasst.

Es geht dabei um die mikroökonomische Theorie der Kon­sumenten­souveräni­tät, nämlich die Annahme, daß jeder selbst am besten den Nutzen einschätzen kann, den eine Sache für ihn hat. Geschenke, die von anderen ausgesucht werden sind folglich für den Empfänger in der Regel weniger wert als Selbst­ausgesuchtes.

Waldvogels empirische Studien lieferten das Ergebnis, daß die Befriedigung, die man aus selbsterworbenen Gütern bezieht, durchschnittlich um 20% größer ist als jene durch Geschenke, die von anderen ausgesucht werden. Auf das gesamte Volumen der Weihnachtsgeschenke von 100 Milliarden Dollar in den Vereinigten Staaten bezogen, bedeutet das eine gewaltige Wohlstandseinbuße, die das Land sich jährlich selbst zu­fügt.

Naheliegende Einwände, wonach der Akt des Schenkens Befriedigung verschaffe, oder die Freude des Auspackens, oder was einem noch so alles zur Verteidigung des Weihnachtsmannes einfallen könnte, verfangen nicht. Wie man es auch dreht und wendet, in jedem Fall ist es besser, etwas Nützlicheres als etwas weniger Nützliches zu bekommen. Die einzige Ausnahme, die Waldvogel einräumt, ist der Fall des sadistischen Schenkens, der aber selten sei.

Geld zu schenken sei demnach das Beste, meint der Professor in Unkenntnis der eingangs erwähnten Familie, wo dies jedoch als peinlich empfunden werde, empfiehlt er Geschenkgutscheine als zweitbeste Lösung. Er konnte sogar nachweisen, daß die schlechtesten Schenker, nämlich die entfernten Verwandten, bevorzugt zu diesem Mittel geifen. (Was, nebenbei gesagt, schön illustriert, wie im Falle der Sozialwissenschaft die empirische Fundierung ihrem Nutzen zuwiderläuft.)

Seit seinem aufsehenerregenden ersten Artikel "The Deadweight Loss of Christmas" in "The American Economic Review" von 1993 wird die Theorie Jahr für Jahr der amerikanischen Öffentlichkeit in der Adventszeit präsentiert, bislang offenbar ohne durchgreifenden Einfluß auf die Weihnachtsbräuche. Ja, es sieht sogar danach aus, als sei dies inzwischen selbst ein weiterer nutzloser Weih­nachtsbrauch ge­worden.

So sehr jeder Erkenntnisgewinn um seiner selbst willen geschätzt und gewürdigt werden muß, so wenig soll man andererseits über die politischen Hintergedanken Waldvogels hin­weg­sehen.

Waldvogel ist nämlich kein Freund des Wirt­schafts­liberalis­mus; zum Beispiel erläuterte er in seinem vorigen Buch, "Die Tyrannei der Märkte", wie kleine Gruppen von Konsumenten, etwa Schwarze, Latinos oder Menschen mit seltenen Krankheiten, von Märkten nicht besonders gut versorgt, ja sogar unterdrückt werden.

Und auch sein Weihnachtsargument enthält eine antiliberale Spitze:

Consumer sovereignty, the idea that the consumer is best situated to make his or her own consumption choices, is one of the foundations of many economists’ disdain for government. So if you dislike government because of its damaging effects on allocative efficiency, consistency requires you to have reservations about Santa Claus as well.

Die Konsumentensouveränität, der Gedanke, daß der Konsument am besten in der Lage ist, seine Wahl zu treffen, ist eine der Grundlagen für die Geringschätzung des Staates bei vielen Ökonomen. Wenn Sie also den Staat nicht mögen, weil er einen schädlichen Einfluß auf die Güterverteilung hat, dann müssen Sie folgerichtig die gleichen Einwände dem Weihnachtsmann gegenüber erheben.

Your Aunt Sally is at least as bad as your Uncle Sam.

Tante Erna ist mindestens so schlecht wie Vater Staat.

Oh weh. Welch schwerer Schlag für die Liberalen.



© Kallias. Angeregt durch einen Artikel im "Handesblatt". Wer Breitband hat, kann Joel Waldvogel in diesem sympathischen Interview genießen. Für Kommentare bitte hier klicken.