Selten ist ein Urteil der Karlsruher Richter so einhellig begrüßt, ja nachgerade bejubelt worden wie das zur Online- Durchsuchung. "Computer- Grundrecht erblickt die Welt" titelt die FAZ und bietet gleich ein ganzes Dossier zu dem Thema. Darin einen Kommentar von Miloš Vec, der unter dem Zwischentitel "Ein Meileinstein" schreibt:
Denn das, nicht wahr, ist die Aufgabe der Gerichte, auch des Verfassungsgerichts: Gesetze auszulegen. Nicht Gesetze zu erlassen. Oder gar ein neues Grundrecht in die Verfassung zu schreiben.
Wohin sind wir gekommen, wenn wir uns darüber freuen müssen, daß wenigstens die Richter in Karlsruhe noch die Gesetze hervorbringen, die zu beschließen die dafür berufenen Organe offenbar nicht mehr schaffen. Auch wenn sie es nur in Form von Urteilen tun können, deren Verbindlichkeit aber nicht hinter der von Gesetzen zurücksteht.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin keineswegs gegen den Inhalt dieses Urteils. Es bestätigt, verschärft allerdings auch, was Wolfgang Schäuble wieder und wieder über die Online- Durchsuchung gesagt hat - daß sie zur Bekämpfung des Terrorismus erlaubt werden soll, und zu sonst nichts.
Ich habe das damals, als es im vergangenen September diskutiert wurde, vorsichtig befürwortet, war mir aber - wie auch jetzt noch - meiner Beurteilung nicht sicher. Das BVG hat jetzt die Umstände präzisiert, unter denen die Durchsuchung erlaubt ist. Das macht es mir leichter, eine solche Regelung positiv zu sehen.
Also, nicht darum geht es mir. Sondern darum, daß noch kaum ein Urteil des BVG so deutlich wie dieses eine Tendenz gezeigt hat, die freilich schon lange zu beobachten ist: Daß die Verfassungsrichter rechtsschöpferisch tätig werden.
Sie haben das bisher meist getan, indem sie einen Rahmen für gesetzliche Regelungen gesetzt haben, der eingehalten werden muß, damit ein Gesetz mit einem oder mehreren der Grundrechte vereinbar ist. Insofern kann man das immer noch als Auslegung eben dieser Grundrechte sehen; als Jurisdiktion und nicht Gesetzgebung.
Wenn aber jetzt ein Autor wie Vec - als habilitierter Jurist am MPI für Europäische Rechtsgeschichte immerhin zum Thema ausgewiesen - schreibt, die Karlsruher Richter hätten "ein neues Grundrecht aus der Taufe gehoben", dann frage ich mich doch, ob das eigentlich ein Grund zum Jubeln ist. Ob man sich darüber freuen soll, daß die Grenze zwischen Judikative und Legislative zusehends aufgeweicht wird.
Zumal es mit der Grenze zwischen Legislative und Exekutive ja nicht besser bestellt ist. Knapp fünfzig Abgeordnete des Bundestags sind als Minister oder Parlamentarische Staatssekretäre zugleich Teil der Exekutive. Eine Personalunion, die z.B. im amerikanischen System strikter Gewaltenteilung völlig undenkbar wäre (sieht man von der Singularität ab, daß der Vizepräsident zugleich Präsident des Senats ist; ein Amt, das er aber normalerweise nicht ausübt).
Je mehr sich die Legislative von ihrer eigentlichen Aufgabe entfernt und sich sozusagen in das operative Geschäft einmischt, umso weniger scheint sie noch dieser Aufgabe gerecht zu werden.
Vor allem dann, wenn es gilt, Gesetze zu beschließen, die unsere Freiheit nicht einengen, sondern sie erweitern oder zumindest schützen. Diesen Schutz des Einzelnen vor dem Staat - ja eigentlich Sinn und Zweck der Grundrechte - scheinen die Gesetzgebungsorgane zunehmend an die Richter in Karlsruhe delegieren zu wollen.
Wo das aber nicht hingehört. Es sei denn, man will eine neue Verfassungs- Wirklichkeit, in der das Parlament den klassischen Part der Exekutive spielt, den Interessen der Staatsmacht zu dienen; während zugleich die klassische Funktion des Parlaments, die Freiheit des Bürgers gegen den Staat zu verteidigen, an die Judikative weitergereicht wird.
Das allerdings wäre eine neue Republik. Noch haben wir sie nicht.
Der kluge Wolfgang Schäuble hat im Oktober 2007, als die Diskussion über die Online-Durchsuchung auf ihrem Höhepunkt war und in Karlsruhe bereits darüber verhandelt wurde, bündig gesagt: "Karlsruhe schreibt Urteile, keine Gesetze".
Dem ist nichts hinzuzufügen.
... die Richter haben ein neues Grundrecht aus der Taufe gehoben. Die Bürger, so sprachen die Hüter der Verfassung, hätten ein Grundrecht "auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informations- technischer Systeme". Das ist ein Meilenstein in der juristischen Bewältigung der Herausforderungen der technisch- wissenschaftlichen Moderne. Noch ist seine Bedeutung unabsehbar und sind seine Konsequenzen ebenso vage Zukunftsmusik wie jene Fälle, an denen es künftig in Karlsruhe und vor anderen deutschen Gerichten ausbuchstabiert werden wird."Ausbuchstabiert" schreibt Miloš Vec; ein farbigeres, weniger abgegriffenes Ersatzwort für "ausgelegt". Recht hat er.
Denn das, nicht wahr, ist die Aufgabe der Gerichte, auch des Verfassungsgerichts: Gesetze auszulegen. Nicht Gesetze zu erlassen. Oder gar ein neues Grundrecht in die Verfassung zu schreiben.
Wohin sind wir gekommen, wenn wir uns darüber freuen müssen, daß wenigstens die Richter in Karlsruhe noch die Gesetze hervorbringen, die zu beschließen die dafür berufenen Organe offenbar nicht mehr schaffen. Auch wenn sie es nur in Form von Urteilen tun können, deren Verbindlichkeit aber nicht hinter der von Gesetzen zurücksteht.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin keineswegs gegen den Inhalt dieses Urteils. Es bestätigt, verschärft allerdings auch, was Wolfgang Schäuble wieder und wieder über die Online- Durchsuchung gesagt hat - daß sie zur Bekämpfung des Terrorismus erlaubt werden soll, und zu sonst nichts.
Ich habe das damals, als es im vergangenen September diskutiert wurde, vorsichtig befürwortet, war mir aber - wie auch jetzt noch - meiner Beurteilung nicht sicher. Das BVG hat jetzt die Umstände präzisiert, unter denen die Durchsuchung erlaubt ist. Das macht es mir leichter, eine solche Regelung positiv zu sehen.
Also, nicht darum geht es mir. Sondern darum, daß noch kaum ein Urteil des BVG so deutlich wie dieses eine Tendenz gezeigt hat, die freilich schon lange zu beobachten ist: Daß die Verfassungsrichter rechtsschöpferisch tätig werden.
Sie haben das bisher meist getan, indem sie einen Rahmen für gesetzliche Regelungen gesetzt haben, der eingehalten werden muß, damit ein Gesetz mit einem oder mehreren der Grundrechte vereinbar ist. Insofern kann man das immer noch als Auslegung eben dieser Grundrechte sehen; als Jurisdiktion und nicht Gesetzgebung.
Wenn aber jetzt ein Autor wie Vec - als habilitierter Jurist am MPI für Europäische Rechtsgeschichte immerhin zum Thema ausgewiesen - schreibt, die Karlsruher Richter hätten "ein neues Grundrecht aus der Taufe gehoben", dann frage ich mich doch, ob das eigentlich ein Grund zum Jubeln ist. Ob man sich darüber freuen soll, daß die Grenze zwischen Judikative und Legislative zusehends aufgeweicht wird.
Zumal es mit der Grenze zwischen Legislative und Exekutive ja nicht besser bestellt ist. Knapp fünfzig Abgeordnete des Bundestags sind als Minister oder Parlamentarische Staatssekretäre zugleich Teil der Exekutive. Eine Personalunion, die z.B. im amerikanischen System strikter Gewaltenteilung völlig undenkbar wäre (sieht man von der Singularität ab, daß der Vizepräsident zugleich Präsident des Senats ist; ein Amt, das er aber normalerweise nicht ausübt).
Je mehr sich die Legislative von ihrer eigentlichen Aufgabe entfernt und sich sozusagen in das operative Geschäft einmischt, umso weniger scheint sie noch dieser Aufgabe gerecht zu werden.
Vor allem dann, wenn es gilt, Gesetze zu beschließen, die unsere Freiheit nicht einengen, sondern sie erweitern oder zumindest schützen. Diesen Schutz des Einzelnen vor dem Staat - ja eigentlich Sinn und Zweck der Grundrechte - scheinen die Gesetzgebungsorgane zunehmend an die Richter in Karlsruhe delegieren zu wollen.
Wo das aber nicht hingehört. Es sei denn, man will eine neue Verfassungs- Wirklichkeit, in der das Parlament den klassischen Part der Exekutive spielt, den Interessen der Staatsmacht zu dienen; während zugleich die klassische Funktion des Parlaments, die Freiheit des Bürgers gegen den Staat zu verteidigen, an die Judikative weitergereicht wird.
Das allerdings wäre eine neue Republik. Noch haben wir sie nicht.
Der kluge Wolfgang Schäuble hat im Oktober 2007, als die Diskussion über die Online-Durchsuchung auf ihrem Höhepunkt war und in Karlsruhe bereits darüber verhandelt wurde, bündig gesagt: "Karlsruhe schreibt Urteile, keine Gesetze".
Dem ist nichts hinzuzufügen.
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