25. Februar 2008

Über das Duzen im Internet

Das Internet begann als ein Unternehmen der Wissenschaft und dann von jungen Leuten (die Militärs, deren Werk es ursprünglich gewesen war, lassen wir einmal beiseite).

Wissenschaftler kommunizieren auf Englisch, und sie legen keinen großen Wert auf Formalien im Umgang miteinander. Junge Leute auch nicht; jedenfalls taten sie es nicht in den achtziger Jahren, als das alles begann.

Also begann die Kommunikation im Internet in einem legeren Stil. Dazu gehörte, daß man sich erdachte, oft bizarre Namen gab, Nicks oder Pseudos genannt; "Zettel" zum Beispiel. Dazu gehörte, daß man einander selbstverständlich duzte.

Dabei spielte ein Mißverständnis eine Rolle. Das englische "you" klingt so ähnlich wie "du". Also sind viele Deutsche der Meinung, es heiße "du".

Es heißt aber nicht "du". Es heißt, streng genommen, auch nicht "Sie". Sondern es heißt "Ihr". Das gute alte, das altfränkische "Ihr", das man z.B. noch bei Karl May findet. Wenn dessen Helden sich auf Englisch unterhalten, dann sprechen sie einander, ganz korrekt, mit "Ihr" an. Ist Karl Mays Text aber die "Verdeutschung" eines auf Spanisch, auf Französisch oder auch auf Persisch geführten Gesprächs, dann sind die Sprechenden per "Sie".



Ein alter Witz handelt von einem Deutschen, der einem Amerikaner "das Du anbieten" möchte und das so formuliert: "You can say you to me".

Im Amerikanischen bietet man einander aber nicht nur nicht das Du an, man "bietet" einander die vertraulichere Variante der Anrede im allgemeinen überhaupt nicht "an". Sondern sie ergibt sich, sobald die Bekanntschaft einen gewissen, ganz frühen Grad erreicht hat. Dann ist man "on first name terms", redet sich also mit dem Vornamen an.

Allenfalls weist jemand darauf hin, daß er damit einverstanden ist, indem er so etwas einfließen läßt wie "By the way, my friends call me Dan". Undenkbar, daß man das mit ineinander verschränkten Armen, gemeinsamem Trunk, gar einem Kuß feiern würde.

Bei Wissenschaftlern ist die Anrede mit dem Vornamen bereits dann üblich, wenn man auch nur gemeinsam auf einer Konferenz war und dort vielleicht ein paar Worte gewechselt hat. Zu bedeuten hat das so gut wie nichts; schon gar nicht so etwas wie Vertrautheit oder Freundschaft. Deutsche mißverstehen das notorisch.

Lustig ist das vor allem dann, wenn man vom Englischen ins Deutsche wechselt.

Beispiel: Man lernt auf einer Konferenz jemanden kennen, sagen wir einen Holländer oder Polen, der sowohl das Englische als auch das Deutsche beherrscht. Man ist während der Diskussionen der Konferenz "on first name terms". Dann geht man vielleicht gemeinsam essen, und es ergibt sich aus irgendeinem Grund, daß die Runde sich jetzt auf deutsch unterhält. Ich habe es erlebt, daß dann ein frisch promovierter junger Deutscher einen hochberühmten holländischen Professor, weit über sechzig, fröhlich duzte - man hatte sich doch auf der Konferenz beim Vornamen genannt!

So etwas kann schon peinlich sind. Ein kleiner clash of cultures.

Im Französischen gelten wiederum andere Regeln als im Deutschen über das "tutoyer", das Duzen. Ich habe darüber etwas geschrieben, als ich mich vor knapp einem Jahr schon einmal mit dem Thema des Duzens befaßt habe. Damals aber nicht unter dem Aspekt der Kommunikation im Internet.



Diese nun also war am Anfang von Wissenschaftlern geprägt und dann immer mehr von jungen Leuten, "Computer- Freaks", wie man in dieser Frühzeit gern sagte. Sie vor allem führten diesen lockeren Stil ein mit allen den lustigen Smilies, den lustigen Nicks, dem ganzen lustigen Ton.

Jetzt sind sie, die damals, in den Achtzigern, als Schüler und junge Studenten diesen Stil prägten, erwachsen geworden. Mit ihnen das Internet. Die unbeschwerte, oft auch unbedachte Plapperei (englisch "chat"), das oft von Faktenkenntnis freie Räsonnieren in den Foren ist durch das solidere, ernsthafte Web 2.0 ersetzt, mindestens ergänzt worden. Statt der Nicks wird auch immer öfter unter dem eigenen bürgerlichen Namen geschrieben.

Nur die Duzerei - sie ist seltsamerweise weitgehend erhalten geblieben. Menschen, die, träfen sie sich im ICE oder an der Hotelbar und kämen ins Gespräch, nicht auf den Gedanken kommen würden, einander stracks zu duzen, tun das im Web.

Ich fand das immer ein wenig seltsam, habe mich aber dem Duzen gefügt, solange es nun einmal allgemein üblich gewesen war. In den letzten Jahren ist aber so etwas wie eine leichte Tendenz zum, benutzen wir einmal das häßliche Wort, sprachlichen Multikulti zu beobachten. Mal redet man einander so an wie auch im richtigen Leben, mal wird weiter geduzt, ob man einander nun gut kennt oder nicht.

So ist es auch in "Zettels kleinem Zimmer". Jeder hält es, wie er mag. Leute, die einander länger aus dem Web kennen, die vielleicht in Mail- Kontakt stehen, duzen einander meist; so handhabe ich es jedenfalls. Wenn ich jemanden nicht näher kenne, sieze ich ihn genauso, wie ich das täte, wenn wir einander woanders als im Web begegneten.

Dabei kann es schon einmal - wie auch im richtigen Leben - passieren, daß man nicht mehr weiß, ob man einander nun eigentlich duzt oder siezt. Viele kennen diese Situation, daß man dann vorsichtig tastend herauszufinden versucht, wie denn in dieser Hinsicht die Dinge stehen.

Ich habe es aber auch schon erlebt, daß mich jemand anrief und als erstes ganz unbefangen fragte: Äh, ich bin da nicht mehr sicher - duzen oder siezen wir uns eigentlich?

Wenn jemand das fragt, dann ist es meist angezeigt, sich auf das "Du" zu verständigen.



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Adolph Freiherr von Knigge; zeitgenössisches Porträt. Copyright erloschen.