15. Februar 2008

Was Hillary Clinton fehlt

Hillary Clintons größte Schwäche ist nach den Potomac- Vorwahlen so offensichtlich geworden wie noch nie zuvor.

Sie hatte den Wahl-Dienstag in Virginia verbracht. Während die ersten Resultate eintrafen und die ersten Hochrechnungen bekannt wurden, flog sie nach Texas. Dort, in El Paso, hielt sie die Rede, die - so hat es sich eingebürgert - die Kandidaten vor Anhängern halten, wenn das Ergebnis im Groben feststeht.

Sie hatte Virginia spektakulär verloren. Sie hatte so gut wie sicher Washington, D.C. verloren, mit einer noch größeren Mehrheit für Obama. Maryland meldete noch keine Ergebnisse, weil man wegen schlechten Wetters die Schließung der Wahllokale hinausgeschoben hatte. Aber die Exit Polls verhießen auch dort nichts Gutes.

In El Paso also sprach Clinton in einem Stadion vor Anhängern. Es war ein Auftritt, der mich baß erstaunte.

Im Nachhinein wurde mir allerdings klar, daß er ganz zu Hillary Clinton paßte.



Sie begann auf eine Art, die ich schon des öfteren bei ihr gesehen hatte. Anders als Obama, der federnden Schritts auf die Bühne eilt und dann sofort mit seiner Rede loslegt, steht Clinton zunächst stumm da, geht auch auf und ab. Dabei lacht sie lauthals oder lächelt diesem und jener zu.

Vor allem nickt sie immer wieder. Ein sozusagen tiefes Nicken, ein fast pantomimisches Nicken. Mal scheint es, daß sie - mit dem Augengruß des Anhebens der Augenbrauen - jemandem persönlich zunickt. Mal hat dieses Clinton- Nicken eher den Charakter eines trotzigen den Kopf in den Nacken Werfens.

Das also zelebrierte sie, und war heiter und fröhlich, wie man nur heiter und fröhlich sein kann. Dann begann sie zu reden; das Transskript der Rede findet man in der Washington Post.

Sie begann mit "Oh, it is so wonderful to be here". Nun gut; Texas ist ein schönes Land. Ich erwartete, daß sie jetzt etwas zu den Wahlergebnissen sagen würde. Aber es kam die Litanei des Danks an die örtlichen Honoratioren, das übliche Name Dropping. Nun gut, das mußte wohl sein. Also würde sie jetzt auf die Wahlen zu sprechen kommen?

Mit keinem Wort. Sondern sie hub an, eine lange Liste dessen aufzusagen, was sie als Präsidentin zu tun vorhabe. Der komplette Themenkatalog ihres Wahlkampfs - Gesundheit, Lehrerbesoldung, Studiengebühren, Hypothekenkrise, Mindest- Einkommen, Immigration, Irak.

Die Vorwahlen des Tages erwähnte sie nicht. Obama erwähnte sie nur kurz, als sie auf einige Differenzen zu seinen Ansichten zu sprechen kam.

Allerdings: Auch das Ende dieser fast gespenstischen Rede, dieser Rede, die sich von der Realität dieses Tages völlig gelöst zu haben schien - auch dieses Ende konnte man als eine Antwort auf Obama verstehen. Eine Antwort, die freilich eher wie eine Kopie klang:
And some people say, "Well, there's going to be a lot of work to do". Well, there is going to be a lot of work to do, but are we up to doing that work and taking our country back?

Now, I am so excited to be making this campaign, but I can't do it without all of you. I need you here in El Paso and across Texas to stand up for me, because if we stand up together, if we work together, if we fight together, we will take back America, and we will make history together.

Thank you all, and God bless you.

Und manche sagen: "Also, da wird viel Arbeit zu tun sein". Also, da wird viel Arbeit zu tun sein, aber wollen wir diese Arbeit tun und uns unser Land zurückholen?

Nun, ich bin so begeistert von diesem Wahlkampf, aber ich kann es nicht ohne euch alle tun. Ich brauche, daß hier in El Paso und überall in Texas ihr euch für mich erhebt, denn wenn wir uns gemeinsam erheben, wenn wir gemeinsam arbeiten, wenn wir gemeinsam kämpfen, werden wir Amerika wiedergewinnen, und wir werden gemeinsam Geschichte schreiben.

Ich danke Ihnen allen, und Gott schütze Sie.

Nicht wahr, da vermeinte man fast Barack Obama zu hören? Aber nur fast. Denn was bei Obama eine äußerst verdünnte, extrem gedämpfte Variante seiner Botschaft gewesen wäre, das war schon das Äußerste, was Clinton an Pathos hinlegen kann. Jedenfalls bisher konnte.



In der Washington Post hat am Mittwoch Anne E. Kornblut diese Rede kommentiert; und ihre Eindruck deckt sich mit meinem:
Clinton has made a habit of ignoring contests she loses. (...) Her comments continued past 9:30 p.m. Eastern time, as the polls in Maryland closed and the race was called for Obama, but in the giant arena, with a crowd her campaign estimated at 12,000, it seemed as though the defeat had not happened.

Clinton hat es sich zur Gewohnheit gemacht, Wahlauseinandersetzungen, die sie verliert, zu ignorieren. (...) Ihre Bemerkungen dauert über 21.30 ostamerikanischer Zeit hinaus, als die Wahllokale in Maryland schlossen und der Sieg Obamas feststand. Aber in der riesigen Arena, vor einem Publikum, das ihr Team auf 12.000 Menschen schätzte, schien es so, als hätte die Niederlage nicht stattgefunden.


Wie kann es passieren, daß eine erfahrene Politikerin, eine geübte Wahlkämpferin so an dem vorbeiredet, was die Menschen doch offensichtlich von ihr erwarten?

Wer an diesem Abend in der Arena von El Paso war, der gehörte zu Clintons Anhängern, hatte den Tag über gebangt, wie die Wahlen in den Potomac- Staaten ausgehen würden, hatte von dem bitter enttäuschenden Ergebnis erfahren.

Jetzt stand diejenige vor ihnen, die man sich als Präsidentin wünschte, die doch auch tief enttäuscht sein mußte. Sie hielt eine Rede, so wie alle Kandidaten sich an Wahlabenden erklären.

Und die Wahlen, ihr Ausgang kam einfach nicht vor!



Mir scheint, dieser bizarre Auftritt Clintons enthüllt ihre vermutlich verhängnisvollste Schwäche: Sie ist unfähig zur Spontaneität.

Sie äußert nicht ihre eigenen Emotionen, und sie scheint auch nicht in der Lage zu sein, die Emotionen der anderen wahrzunehmen und auf sie zu reagieren. Jedenfalls ist das der Eindruck, den sie vermittelt; wenn es "tief im Inneren" ganz anders aussehen sollte, so ist das politisch irrelevant.

Nicht, daß es ihrem Wahlkampf an einem affektiven Moment fehlte; daß das nicht nicht der Fall ist, zeigt ja die zitierte Passage. Nur ist dieser Appel "an't Jefühliche" eben Teil der präparierten Rede. Er gehört zu dem, was das Drehbuch an dieser Stelle vorsieht.

Daß die Wahlen so katastrophal für Clinton ausgehen könnten, daß sie mit einem regelrechten Erdrutsch für Obama in beiden Staaten plus Washington, D.C. enden könnten - das war offensichtlich im Drehbuch nicht vorgesehen gewesen. Also konnte Clinton nichts dazu sagen.

Wahrscheinlich war es nicht vorgesehen gewesen, weil Clintons Strategen aus irgendeiner krausen Überlegung beschlossen hatten, etwaige Niederlagen sollten nicht erwähnt werden.

Aber was ist das für eine Kandidatin, was wäre das für eine Präsidentin, die sich eisern an ihr Drehbuch hält, auch wenn es auf der Hand liegt, daß sie davon abweichen sollte?

Daß man in einer solchen Situation die enttäuschten Anhänger trösten, ihnen Mut zusprechen, daß man signalisieren muß, eine solche Niederlage vereitle nicht den schließlichen Sieg?



Diese mangelnde Fähigkeit Clintons, sich spontan auf eine neue Situation einzustellen, hat nicht nur eine emotionale, sondern hat auch eine kognitive Seite. Ich habe es nie in einer Diskussion erlebt, daß sie etwas Überraschendes, aus der Situation Geborenes sagte, ein aside anbrachte, gar einen Witz machte. Was sie sagte, war immer perfekt. Perfekt einstudiert.

Als Präsidentin würde sie Entscheidungen treffen müssen, die kein Drehbuch ihr vorgegeben hat. Sie würde dann, wenn man sich abends bei Staatsbesuchen und auf Konferenzen zum informellen Gespräch trifft, spontan auf ihre Gesprächspartner reagieren, deren Emotionen wahrnehmen, ihre eigenen zu erkennen geben müssen.

Sie müßte das so können, wie es Präsident Bush kann. Wie es die Kanzlerin Merkel kann, deren Erfolge ja nicht zuletzt auf der persönlichne Wertschätzung beruhen, die man ihr entgegenbringt. Präsident Bush hat das oft betont; gerade hat es der israelische Ministerpräsident Olmert schon fast überschwenglich gesagt.

Aber Hillary Clinton? Daß diese zwar hochintelligente, aber übersteuerte, der emotionalen Spontaneität und der kognitiven Flexibilität ermangelnde Frau das so können würde, wie es eine Präsidentin können sollte, halte ich für unwahrscheinlich.

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