3. Juni 2012

Marginalie: "In unserer Fraktion im Bundestag herrscht auch Haß“, sagt Gysi. Die Westschrumpfung der umbenannten SED

Eine kommunistische Partei an der Macht hat kaum etwas gemeinsam mit einer revolutionären kommunistischen Partei. Das ist der Hintergrund dessen, was sich gestern auf dem Wahlparteitag der Partei "Die Linke" in Göttingen zugetragen hat. Es ist der Hintergrund von Gregor Gysis Bemerkung auf diesem Parteitag "In unserer Fraktion im Bundestag herrscht auch Haß".

Die SED war eine Partei, die, als sie entmachtet wurde, vierzig Jahre lang regiert hatte. Eine Partei von Funktionären, von Angepaßten, von zynischen Handhabern der Macht; Gregor Gysi verkörpert das. Die SED war die Partei der Herrschenden.

Als sie die Macht verlor, verlor sie auch viele ihrer Mitglieder. Übrig blieben die Hundertfünfzigprozentigen, die Überzeugten, auch die Kader des Machtapparats, die sich in Vereinigungen wie der "Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung" sammelten (siehe "Wir sollten niemandem gestatten, die DDR als Unrechtsstaat abzuqualifizieren". Über eine ehrenwerte Gesellschaft; ZR vom 11. 8. 2007).

Über ihre diversen Umbenennungen hinweg hat diese Partei in zwanzig Jahren ihren Charakter nicht geändert; den Charakter einer kommunistischen Partei an der Macht. Wer im Osten in der umbenannten SED ist, der ist ein Macher; einer, der das Befehlen gewohnt ist. Teil eines Machtapparats, auch wenn dieser vorerst nur noch in Rudimenten funktioniert. Und wenn er nur noch Bürgermeister einer kleinen Gemeinde ist.

In Rudimenten. Denn man hat sie ja nun auf gesamt­gesellschaft­licher Ebene vorerst verloren, die Macht. Aber man denkt langfristig. Manche Machtpositionen - in den Kommunen, in den "gesellschaftlichen Organisationen", von der Feuerwehr bis zu den Gewerkschaften - sind erhalten geblieben. Der Weg zum Kommunismus ist länger und schwieriger geworden; aber er bleibt selbstredend die "Perspektive", wie Marxisten gern sagen (siehe Gesine Lötzsch und die Wege zum Kommunismus (1): Die Rosa-Luxemburg-Konferenzen und Lötzschs Strategie der "fortschreitenden Machteroberung", sowie (2): Rosa Luxemburg, die Dikatur des Proletariats und die Freiheit des Andersdenkenden; ZR vom 7. 1. 2011).

Eine solche Partei von Kommunisten an der Macht - einst gab es viele solcher Parteien, seit 1989 etliche weniger - teilt das Ziel des Kommunismus mit ihren Genossen, die sich im Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse befinden. Aber auch nur das Ziel. Die Mentalität herrschender Kommunisten ist eine völlig andere als die Mentalität der Kommunisten, die auf die Revolution hinarbeiten. Die Partei "Die Linke" zeigt das. Es ist ihr Dilemma.

Diejenigen aus der alten Bundesrepublik, die von der umbenannten SED bei ihrer "Westausdehnung" aufgenommen wurden, waren und sind überwiegend Kommunisten, die wie die alten Kader im Osten den demokratischen Rechtsstaat ablehnen und den Sozialismus und schließlich den Endzustand des kommunistischen Paradieses wollen. Aber sie waren nie Staatsfunktionäre; sie haben nie an den Schalthebeln der Macht gesessen.

Diese Leute aus der DKP, aus diversen trotzkistischen und sonstigen linksextremen Gruppen und Grüppchen, die freischwebenden Linken aus den Gewerkschaften und ihrem Umfeld im Westen sind ganz andere Leute als die machtbewußten Genossen aus der DDR.

Es sind keine Angepaßten und Streber, keine zynischen Machtmenschen, sondern Randständige. Ich habe das einmal im Jahr 2008 am Beispiel der damaligen Fraktion der Partei "Die Linke" im Hessischen Landtag beschrieben (Wer sind die sechs Abgeordneten der "Linken" im Hessischen Landtag? ; ZR vom 5. 3. 2008). Eine ähnliche Gruppe von Menschen am Rand des demokratischen Rechtsstaats war die Fraktion von "Die Linke" im NRW-Landtag bis zu den diesjährigen Neuwahlen (Auf dem Weg in die Volksfront? Über die Mitglieder der Fraktion von "Die Linke"; ZR vom 13. 5. 2010).

In der DDR zur SED zu gehören, das bedeutet, daß man einer von "denen da oben" war. Gregor Gysi verkehrte mit den Mitgliedern des ZK der SED von Gleich zu Gleich; Erich Honecker lobte seine Arbeit und ließ ihn grüßen (siehe Gregor Gysi, ein großer deutscher Kommunist; ZR vom 24. 1. 2011). Unter den Spitzenpolitikern der Kommunisten im Hessischen Landtag waren hingegen beispielsweise eine freischaffende Pädagogin und Dietzenbacher Lokalpolitikerin und eine Sozialpädagogin und Buchhändlerin; beide mit bewegter linker Vergangenheit. Sie würden sich gewiß zu "denen da unten" rechnen.

Verschiedener können zwei Mentalitäten nicht sein. Man hat sich, wie Gysi es heute in Göttingen sagte, zu einer "Ehe" zusammengefunden. Aber es war eine Mésalliance; zusammengehalten allein durch die gemeinsame Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats und das Ziel, einen "zweiten Sozialismusversuch" in Deutschland zu wagen (siehe "Karl Marx hätte seine helle Freude an unserer Partei!"; ZR vom 1. 7. 2010).

Jetzt folgt auf die Westausdehnung eine Westschrumpfung. Es zerfällt, was nie zusammengewachsen war. Das gemeinsame Ziel ist zu wenig, wenn die Mentalitäten, wenn die Lebenserfahrungen so radikal verschieden sind.



Die Standardformel der Medien ist es, in der Partei "Die Linke" zwischen "Reformern" und "Fundamentalisten" oder "Betonlinken" zu unter­scheiden. Die alten SEDler aus der DDR sollen die "Reformer" sein, die Leute aus der DKP, den trotzkistischen und sonstigen linksextremen Grüppchen im Westen die "Fundamentalisten".

Das ist bestenfalls an der Oberfläche richtig. Die Frontstellung gegen den demokratischen Rechtsstaat, das Ziel des Sozialismus ist dasselbe. Nur setzen diejenigen, die vierzig Jahre die Macht hatten und sie auch heute in den neuen Bundesländern zum Teil noch haben, darauf, diese Macht schrittweise wieder auszubauen. Diejenigen, die im Westen immer fern der Macht gewesen sind, können sich den Weg zum Sozialismus nur als Eroberung der Macht vorstellen.

Das ist nicht ""Reform" gegen "Fundamentalismus". Es ist eine Frage der Erfahrungen, der Mentalität, der daraus resultierenden Strategie.
Zettel



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