1. Juni 2012

Marginalie: Erschöpfte "Piraten". Die Jugendpartei und das Erwachsenwerden

Nein, kein Grund zur Häme: Heute sind der Bundes­presse­sprecher der "Piraten", Christofer Lang, und sein Stellvertreter Aleks Lessmann zurückgetreten. Das Motiv ist Erschöpfung. Die FAZ meldet:
"Ich kann nicht mehr, bin für den Moment müde, ausgepowert und erschöpft", begründete der 25 Jahre alte Lang seine Entscheidung. (...) Auch die ehemalige politische Geschäftsführerin Marina Weisband, der ehemalige Schatzmeister René Brosig und der frühere Berliner Landesvorsitzende Gerhard Anger waren aus Überforderung zurückgetreten.
Hat die Partei "Die Piraten" Politiker, die ungewöhnlich schlecht belastbar sind? Nein, vermutlich nicht. Sie hat nur Politiker, die ungewöhnlich naiv sind, was die Anforderungen des politischen Geschäfts angeht.

Man wollte ja alles anders machen - eine fröhliche Jugendbewegung, in der irgendwie alle sich einbringen und in der alles schon laufen wird, irgendwie.

Nun macht man dieselben Erfahrungen, die vor einer Generation die damalige Jugendpartei "Die Grünen" gemacht hat; die noch einmal gut ein Jahrzehnt früher die jungen Leute der APO machten, auch sie schon von direkter Demokratie träumend. Keine "Professionalisierung" der Politik; jeder darf mitmachen; wer sich irgendwo festsetzen will, der wird wegrotiert. So sollte es sein, heute wie damals. Und so funktioniert es halt nicht. Damals wie heute.

Keiner soll gleicher sein als die anderen, damals nicht bei der APO und den "Grünen", heute nicht bei den "Piraten"; schon gar nicht, was seine Einkünfte angeht.

Dafür, daß er den Knochenjob eines Pressesprechers machte, bekam Lang keinen Cent. Es existiert in der Pressestelle jetzt noch genau eine Mitarbeiterin, die für ihre hauptamtliche Tätigkeit 800 Euro erhält. Brutto.

Langes Stellvertreter Lessmann hat den Job geschmissen, weil ohne Lang seine Arbeit "mit dem noch vorhandenen Personal nicht mehr machbar" sei. Ja, und ist sie denn ohne Lange und damit nun auch ohne Lessmann machbar? Werden die Piraten wieder zwei Dumme finden, die sich für lau diese Jobs aufhalsen lassen? Oder entschließt man sich, es so zu machen wie die anderen Parteien, und Arbeit mit Geld zu bezahlen?

Das wäre dann freilich der Schritt weg vom Pfad der Tugend; die Todsünde der "Professionalisierung".



Vielleicht tun solche Jugendbewegungen mit ihrer Naivität der Demokratie ja gut.

Sie wecken - wie auch jetzt wieder die "Piraten" - Interesse an der Politik; gerade auch bei denjenigen, die sich von den Berufspolitikern der bestehenden Parteien nicht vertreten fühlen.

Sie greifen auch aktuelle Probleme auf, Themen der Zeit: Die APO wollte (so formulierte es später Willy Brandt) "mehr Demokratie wagen". Die Grünen wiesen zu Recht auf damalige Defizite beim Umweltschutz hin; verschmutzte Gewässer zum Beispiel, Abgaswolken über den Städten. Die "Piraten" machen jetzt auf gesellschaftliche Aspekte der technischen Entwicklungen im Internet aufmerksam.

Aber darauf läßt sich keine Partei gründen. Man kann sich nicht à la Oskar Matzerath weigern, erwachsen zu werden. Wenn es die "Piraten" in einigen Jahren noch geben sollte, dann werden sie einen ganz normalen Parteiapparat haben und Berufspolitiker. Sie werden auf ihren Parteitagen gewählte Delegierte haben, die repräsentativ für die Mitglieder entscheiden; statt daß jeder, dem der Sinn danach steht, sich zum Delegierten erklären darf.

Und es wird vorbei sein mit der "Transparenz", deren absehbares Ergebnis es ist, daß - wie bei den Berliner "Piraten" - Vorstandssitzungen, in denen man vertraulich beraten will, dann eben quasi-konspirativ in einer Privatwohnung stattfinden (siehe Wie die Basisdemokratie und wie die Transparenz bei der Piratenpartei funktioniert. In Berlin jedenfalls; ZR vom 17. 5. 2012).



Junge Leute haben neue Ideen. Sie sind mit anderen Erfahrungen aufgewachsen als die Generation vor ihnen; viele haben auch den Glauben der Jugend an den Wert der Gemeinschaft, an Freiheit und Gleichheit.

Das pflegt sich zu ändern, wenn man Lebenserfahrung gewinnt. Aber es ist ja gut, wenn es als ein belebendes, ein erfrischendes Element in die Politik einfließt. Nur - warum muß es denn eigentlich immer gleich eine neue Partei sein?

In den USA ist vor vier Jahren der Wahlkampf Barack Obamas erheblich vom Elan junger Leute getragen worden, die ihm sein Versprachen vom change abnahmen, vom grundlegenden Wandel; die an sein Yes we can! glaubten.

Diese Euphorie dürfte im jetzigen Wahljahr verflogen sein. Aber dafür gibt es diesmal eine mindestens ebenso große jugendliche Begeisterung im liberalkonservativen Lager, nämlich bei den Anhängern von Ron Paul (Informationen zum Verständnis des Wahlergebnisses in New Hampshire. Zwei Sieger. Eine liberale Jugendbewegung?; ZR vom 11. 1. 2012).

Innerhalb einer der großen Parteien engagiert sich diese Jugend; damals bei den Demokraten, jetzt in der libertären Strömung der GOP.

Mir erscheint das viel vernünftiger als das wiederholte Neugründen von Parteien. Nicht nur, weil diese partei­politische Zersplitterung die Stabilität der Demokratie gefährdet. Sondern innerhalb von Parteien finden die Jungen ja auch das an Erfahrungen schon vor, was sie in einer neuen Partei auf die harte Art erst erlernen müssen. Manchmal bis zur Erschöpfung.­
Zettel



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