30. Juni 2012

Marginalie: Filz à la française. Des Präsidenten Hollande promotion Voltaire

Frankreich ist so etwas wie eine meritokratische Klassengesellschaft. Eine Klassengesellschaft, weil es eine herrschende Klasse gibt, die sich überwiegend aus den Absolventen der Grandes Écoles rekrutiert, der Elite­hochschulen. Meritokratisch, also mit einer strikten Selektion nach Leistung, weil im Prinzip jeder Zugang zu einer Grande École hat. Er muß nur intellektuell brillant und immens fleißig sein; und er muß es allerdings auch noch geschafft haben, sich in Vorbereitungskursen für die Aufnahmeprüfung trimmen zu lassen.

Ich bin auf dieses System der erbarmungslosen Selektion einer Elite in Frankreich immer einmal wieder eingegangen; zuletzt vor einem Jahr: Ein Spitzenabiturient. Über die Anforderungen des französischen Abiturs und die Auslese der Elite in Frankreich; ZR vom 6. 7. 2011. In der Serie Gedanken zu Frankreich befaßten sich der erste und der sechzehnte Artikel mit diesem Thema.

Hat man es geschafft und ist in eine Grande École aufgenommen, dann hat man den Marschallsstab nicht im Tornister, sondern sozusagen schon in der Hand. Man erhält während des Studiums zum Beispiel auf der École Nationale d'Administration (ENA) ein Stipendium von derzeit zwischen 1.370 und 2.100 Euro netto (formal ist es ein Gehalt). Als Absolvent kann man sich, je nach Leistung, eine Laufbahn in den Spitzen der Verwaltung aussuchen.

Viele énarques - Absolventen der ENA - schlagen aber auch eine andere Karriere ein. Man findet sie an den Spitzen von Unternehmen, im diplomatischen Dienst und vor allem in der Politik. Der frühere Staatspräsident Chirac war ebenso énarque wie der jetzige Staatspräsident Hollande, wie seine langjährige Gefährtin Ségolène Royal und wie Sarkozys Gegenspieler in der konservativen Partei UMP, Dominique de Villepin.

Damit bin ich beim Thema, der promotion Voltaire. Alle drei - Hollande, Royal, de Villepin - gehören ihr nämlich an, dieser promotion (oder "promo") Voltaire.

(Fast) jeder Abschlußjahrgang erhält einen solchen Namen eines bedeutenden Franzosen (dieses Jahr zum Beispiel wird es Marie Curie sein); und die promo Voltaire war der Abschlußjahrgang 1980. Sie können der verlinkten Liste entnehmen, wie fast jeder dieser voltariens Karriere gemacht hat - als Minister, als Spitzenbeamter, als Chef der Weltbank, als Botschafter oder als Chef eines Unternehmens. Sieben Minister sind im Lauf der Jahre aus der promo Voltaire hervorgegangen, und jetzt also der Staatspräsident

Jeder Absolvent eines solchen Jahrgangs macht für sich Karriere; und zugleich halten sie Kontakt, sind Freunde fürs Leben. Das System der einstigen gegenseitigen Förderung von Korpsstudenten ist nichts gegen das Netzwerk, das die Mitglieder einer promo zu unterhalten pflegen.

Vorgestern hat der Nouvel Observateur dazu einen Artikel gebracht, der dieses Netzwerk als Hollandes "Schattenarmee" bezeichnet. Fast alle haben sie ihn im Wahlkampf unterstützt, ob sie selbst nun links oder rechts stehen. Sie haben für François Geld gesammelt, Veranstaltungen organisiert, ihre jeweils eigenen Netzwerke mobilisiert, Artikel zu seiner Unterstützung verfaßt oder ihn einfach nur gelobt, wo immer sie das in ihrer jeweiligen hohen Funktion konnten.

Und nun zeigt sich der Staatspräsident erkenntlich. Sylvie Hubac, seine Kabinettschefin, ist voltarienne; ebenso kommt der Generalsekretär des Präsidialamts, Pierre-René Lemas, aus der promo Voltaire. Auch der Arbeitsminister Michel Sapin ist ein voltarien. Man kennt sich, man schätzt sich. Man kann sich aufeinander verlassen. Die Namen der zahlreichen Helfer und Unterstützer Hollandes außerhalb des Kabinetts können Sie, falls sie Sie interessieren, im Nouvel Observateur nachlesen. Es sind fast zwei Dutzend.

Und damit sie auch weiter nicht nachlassen, "ihren" Präsidenten zu unterstützen, haben sie jetzt einen Club gegründet. Er heißt, wie anders, "Club Voltaire".­
Zettel



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