7. Juni 2012

Zettels Meckerecke: Eine Frage verschwindet. Die Meinung der Deutschen zum Atomausstieg und die Berichterstattung des WDR

Das, was Sie jetzt lesen, habe ich mehrfach nachgeprüft, weil ich es nicht glauben konnte.

Direkt unter diesem Artikel finden Sie die Marginalie, in der ich mich mit den Ergebnissen des aktuellen "Deutschlandtrends" der ARD befaßt habe.

Ich hatte mich für die dortigen Angaben auf die PDF-Datei von Infratest dimap gestützt, die Sie hier herunterladen können. Die Grafiken wurden von dem Institut erstellt; jede trägt dessen Logo.

Nach der Sonntagsfrage wurden insgesamt 17 Fragen gestellt (Numerierung von mir):
  • Eine zur Zufriedenheit mit der Arbeit der Bundesregierung (Frage 1)

  • Drei zur Zufriedenheit mit einzelnen Politikern und mit dem Bundespräsidenten (Fragen 2 bis 4)

  • Vier zu einer hypothetischen Direktwahl des Kanzlers (Angela Merkel gegen Gabriel, Steinmeier, Steinbrück und Hannelore Kraft) (Fragen 5 bis 8)

  • Drei zur Euro-Krise (Fragen 9 bis 11)

  • Drei zum Betreuungsgeld (Fragen 12 bis 14)

  • Eine zum Ausstieg aus der Atomenergie (Frage 15)

  • Zwei zur Fußball-Europameisterschaft (Fragen 16 bis 17)
  • Und nun nehmen Sie sich bitte einen Augenblick Zeit und sehen Sie sich das Video des "Deutschland-Trends" an, so wie er gestern Abend von der ARD gesendet wurde.

    Es äußert sich dazu Jörg Schönenborn, der Chefredakteur des WDR und für den "Deutschlandtrend" zuständig. Behandelt wurden in dem Gespräch zwischen ihm und der Moderatorin Caren Miosga in dieser Reihenfolge die Fragen
  • zum Betreuungsgeld (Fragen 12 bis 14)

  • zur Zufriedenheit mit der Bundesregierung (Frage 1)

  • zur Zufriedenheit mit Spitzenpolitikern (Frage 2)

  • zur Euro-Krise (Fragen 9 bis 11)

  • die Sonntagsfrage
  • Es wurden also alle Fragenkomplexe angesprochen, bis auf drei: Die Fragen nach der Direktwahl des Kanzlers (Fragen 5 bis 8), zur Fußball-Europameisterschaft (Fragen 16 bis 17) - und die Frage 15 zum Ausstieg aus der Atomenergie.

    Seltsam, nicht wahr? Das sensationelle Ergebnis, daß eine Mehrheit der Deutschen für eine Verschiebung des Ausstiegs ist, kommt in dem Bericht nicht vor!

    Nun gut, könnte man sagen, die beiden anderen Fragenkomplexe ja auch nicht. Und was sensationell ist, das ist eine Frage der journalistischen Bewertung. Schönenborn sieht das eben anders.

    Aber es gibt ja eine schriftliche Langfassung, in der Jörg Schönenborn auf drei Seiten die Ergebnisse penibel auflistet und kommentiert. Hier behandelt er in dieser Reihenfolge
  • die Sonntagsfrage

  • die Zufriedenheit mit der Bundesregierung (Frage 1)

  • das Betreuungsgeld (Fragen 12 bis 14)

  • die Eurokrise (Fragen 9 bis 11)

  • die Zufriedenheit mit Politikern (Fragen 2 bis 3; die zum Bundespräsidenten fehlt)

  • die hypothetische Direktwahl des Kanzlers (Fragen 5 bis 8)

  • die Fußball-EM (Fragen 16 bis 17).
  • Alle Daten werden berichtet und ausführlich kommentiert. Nur nicht das, womit "Bild.de" aufmacht: Die Beliebtheit von Bundespräsident Gauck (79 Prozent zufrieden; 8 Prozent weniger zufrieden). Und nicht die Frage 15, die nach der Verschiebung des Atomausstiegs.



    Es ist nicht so, daß der WDR die Frage 15 unterdrückt. Die PDF-Datei wird verlinkt. Es gibt auch eine Bilderstrecke mit einer Grafik dazu. Und in einer Pressemitteilung des WDR wird sie auch erwähnt. Wer sich die Zeit nimmt, das im Einzelnen durchzugehen, der kann die Information schon finden.

    Aber wer nimmt sich diese Zeit? Wer macht das, was ich jetzt gemacht habe, und geht das durch und vergleicht? In die Medien jedenfalls ist Frage 15 so gut wie nicht vorgedrungen, wie eine Suche bei Google News zeigt.

    Gewiß würde Jörg Schönenborn eine journalistische Erklärung dafür geben, daß er die Frage 15 für nicht erwähnenswert hält. Als auf dem Höhepunkt der Sarrazin-Debatte im Jahr 2010 im "Deutschlandtrend" die Frage fehlte, ob man Sarrazin zustimmt oder nicht, hatte er auch eine Erklärung. Eine so gedrechselte, eine so gewundene, daß es lohnt, das noch einmal nachzulesen: Sarrazin und die Folgen. Haben wir in Deutschland noch eine Demokratie?; ZR vom 6. 9. 2010.­
    Zettel



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