13. Juni 2012

Marginalie: Hakan der Gemüsehändler und das Urheberrecht. Samt Link zu einer ungewöhnlich gründlichen Auseinandersetzung mit den Plänen der "Piraten"

Sollte man Äpfel mit Birnen vergleichen? Ja, warum denn nicht? Birnen sind zum Beispiel, wenn sie die richtige Reife haben, saftiger als Äpfel.

Sollte man aber auch das Urheberrecht mit Äpfeln und Birnen vergleichen? Das hat in einer hübschen Glosse bei Novo Argumente (ein Magazin, das ich bei dieser Gelegenheit empfehlen möchte) Monika Bittl getan: "Urheber­rechts­debatte: Äpfel und Birnen".

Sie benutzt ein Stilmittel, das sehr erhellend wirken kann: Etwas sichtbar machen, indem man es verfremdet. Frankreich, gesehen mit den Augen von Persern, wie bei Montesquieu. Die Welt, gesehen aus der Perspektive eines Kindes, wie in der "Blechtrommel". Oder eben das Urheberrecht, so wie der türkische Gemüsehändler Hakan das Thema sieht:
Wieder ein paar Tage später finde ich Hakan vor dem Laden auf einem Stuhl sitzend und kopfschüttelnd Zeitung lesend vor. Er schaut so finster drein, dass ich frage, ob mit seiner Familie alles in Ordnung sei. Alle gesund? Ja, ja, die Familie schon, meint er, aber die Welt nicht mehr. "Da, schau!" Ich nehme die Zeitung und lese, dass eine Schiebermützengruppe eine Partei gründete, deren zentrales Anliegen kostenlose Gemüsegrundversorgung ist. Niemand dürfe mit dem, was die Natur uns gibt, so ein Geschäft machen und deshalb müsste jeder Diebstahl zukünftig auch straffrei als Mundraub gewertet werden.
Abstraktes verständlich machen, indem man es ins Konkrete übersetzt - das ist ein Mittel des Lehrens und Überzeugens, ob in der Rhetorik, in der Pädagogik oder publizistisch. Und was gibt es Konkreteres als Äpfel und Birnen?

Oder als Schafskäse und Olivenöl. Wenn Sie schon lange zu den Lesern von ZR gehören, dann erinnern Sie sich vielleicht, daß dies einmal die Waren des Feinkosthändlers waren, an denen ich, ähnlich wie jetzt Monika Bittl, ein politisches Thema zu verdeutlichen versucht habe (Überraschung beim Feinkosthändler; ZR vom 27. 10. 2006).



Das Bemerkenswerte an der vor allem von der Piratenpartei herbeigeführten Debatte um das Urheberrecht ist, daß sie ganz überwiegend aus der Perspektive des Konsumenten geführt wird, der gern alles lesen, kopieren, weitergeben möchte, was er lesenswert findet.

Wer kann denn gegen ein solches Schlaraffenland sein? Wer dagegen, daß alle ein bedingungsloses Grundeinkommen haben, daß alle umsonst U-Bahn und Bus fahren dürfen?

Aus der Sicht des hedonistischen Piraten, der an sein eigenes Wohl und das von Seinesgleichen denkt, ist das Urheberrecht nur ein Hindernis, das man seinem ungestörten Konsum in den Weg legt (siehe Generation Flatrate. All inclusive, Nulltarif, Frühstücksbuffet. Auf dem Weg in die Schlaraffenland-Gesellschaft; ZR vom 16. 2. 2012). Es ist dieselbe Perspektive wie diejenige einer Gewerkschaft, sagen wir, des Öffentlichen Dienstes, die exorbitant höhere Löhne fordert.

Daß sie damit auch eine höhere Belastung des Steuerzahlers - also auch ihrer Mitglieder - fordert, blendet sie aus. Daß der Pirat mit seiner Vision vom kostenlosen Lesen die Existenz derer zerstört, die ihm das Lesen doch erst ermöglichen, indem sie die Texte produzieren, will er nicht wahrhaben.

Setzt man an die Stelle des Schriftstellers den Gemüsehändler, wie das Monika Bittl tut, dann wird er es vielleicht eher verstehen, der Pirat. Naja, dieser vielleicht nicht, falls er ideologisch gefestigt ist. Aber doch diejenigen, die für Argumente offen sind.



Solche Glossen können Einsichten befördern, vielleicht ein Aha-Erlebnis auslösen. Die Argumentation können sie natürlich nicht ersetzen. Monika Bittl weist auf die gründliche Auseinandersetzung Daniel Carinssons mit den Urheberrechts-Plänen der Piratenpartei hin. Ich möchte diese Empfehlung weitergeben:

Zwischenruf: Zehn Antworten zu den – laut Piraten Partei – "zehn wichtigsten Punkte einer Urheberrechtsreform"; Blog "Baro Drom. Der lange Weg" vom 22. 5. 2012. ­
Zettel



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