22. Juni 2012

Zettels Meckerecke: "Dreistigkeit". Was ein Leitender Redakteur des "Spiegel" zur Debatte über den Islam in Deutschland beizutragen hat

Gehört der Islam zu Deutschland?

Ja, ist denn dieses Thema nicht ausgelutscht, nach allen Seiten gedreht und gewendet; ist es nicht hin und her und nochmals her und hin diskutiert worden? Gibt es noch irgendeinen Aspekt, der nicht beleuchtet, ein Argument, das nicht wieder und wieder vorgetragen worden wäre?

Das ist schon so. Auch in ZR haben Sie dazu immer wieder Beiträge gefunden. Vor drei Wochen habe ich meine Auffassung noch einmal zusammengefaßt (Gehört der Islam zu Deutschland? Wunschdenken und Wirklichkeit; ZR vom 2. 6. 2012). Abschließend sozusagen; denn neue Gesichts­punkte zum Thema fallen mir nicht mehr ein. Im folgenden befasse ich mich also nicht mit diesem Thema; vielmehr damit, wie sich ein Autor mit diesem Thema befaßt.

Auf den betreffenden Artikel bin ich auf eine etwas umständliche Weise gestoßen, nämlich durch eine Erwähnung in dem Nachrichtenportal The Muslim Times. Dort war ein Beitrag in der englischsprachigen Ausgabe von "Spiegel-Online" verlinkt; und dieser wiederum erwies sich als Übersetzung eines Kommentars im gedruckten "Spiegel" (23/2012 vom 4. 6. 2012, Seite 46). Titel: "Mekka Deutschland". Autor: Bernhard Zand.

Was ich dort gelesen habe, das ist nun in der Tat bemerkenswert; ist eine "Meckerecke" wert.

Zand beginnt verhalten. Er erwähnt die Stellungnahmen des Innenministers, des Bundespräsideten, auch von Söder, Kauder und schließlich von Wulff selbst. Dann fragt er:
Wer oder was gehört nun zu Deutschland? Der Islam? Die Aufklärung? Die Muslime? Das Christentum?
Etwas seltsam gefragt; denn daß die Aufklärung und das Christentum zu Deutschland gehören, hat bisher ja niemand bezweifelt. Aber nun gut. Ich war gespannt, wie Zand die Fragen, die er da aufwirft, denn nun erörtern würde.

Er tut es gar nicht. Was ich dann las, das war keine Erörterung, sondern ein, milde gesagt, Pamphlet. Ich kenne keinen Beitrag zu dieser Diskussion, der derart unsachlich, derart eifernd und so neben dem Fakten gewesen wäre wie der von Bernhard Zand.

Zand blendet zunächst zurück zu Adenauer, der vom "Geist der christlich-abendländischen Kultur" gesprochen hatte. Als Adenauer das 1949 in seiner ersten Regierungserklärung sagte, da war, so Zand,
von dieser Kultur nicht mehr viel übrig. Dem Abendland, Deutschland voran, war es gelungen, die Errungen­schaften von Humanismus und Aufklärung in nur wenigen Jahren zu zerschlagen.
1945 war es bekanntlich dem Abendland - den Briten, den Amerikanern, dem freien Frankreich und ihren Verbündeten - gelungen, die Barbarei Hitlers zu zerschlagen, die nun allerdings mit Humanismus und Aufklärung nichts zu tun gehabt hatte.

Zand stellt die Geschichte auf den Kopf. Die erfolgreiche, die unter großen Opfern gelungene Verteidigung der Werte von Aufklärung und Christentum gegen die nazistische Inhumanität verdreht er in eine Täterschaft des Abendlands, das angeblich diese seine eigenen Werte zerschlagen hätte.

Geschichtsklitterei. Aber Zand braucht das als Grundlage für die Verdrehungen und Unterstellungen, die nun folgen. Er hat jetzt erst einmal das Abendland in der Ecke des Schuldigen. Dessen Vertreter kann er nun auf dieser Grundlage verunglimpfen.

Er nimmt sich Volker Kauder, Hans-Peter Friedrich und den Bundespräsidenten vor, weil diese sich kritisch zu der Behauptung "Der Islam gehört zu Deutschland" geäußert hatten. Zand behauptet, daß
Männer wie Kauder, Friedrich und Gauck die schwarzen Seiten des europäischen Abendlandes so elegant übersehen, die hellen aber so ganz und gar für sich allein haben möchten.
Wie kommt Zand darauf? Alle drei haben - der eine deutlicher, der andere zurückhaltender - nichts anderes getan, als der Formulierung "Der Islam gehört zu Deutschland" nicht zuzustimmen. Vom Abendland, seinen hellen oder schwarzen Seiten, haben sie mit keinem Wort gesprochen. Weder haben sie die einen hervorgehoben noch die anderen übersehen.

Was in aller Welt bringt Zand dazu, den Politikern Kauder und Friedrich und dem Bundespräsidenten etwas zu unterstellen, das sie gar nicht gesagt haben? Aber es kommt noch dicker:
Die Dreistigkeit, mit der Friedrich ausgerechnet das Christentum mit der Aufklärung zusammenrührt, sie dann als Fundament deutscher Identität preist und am Ende ihre Zerstörung vor gerade einmal zwei Generationen unterschlägt, ist geschichtslos und selbstvergessen.
Es lohnt sich, nachzulesen, was Friedrich tatsächlich gesagt hat. Zand bezieht sich auf zwei Aussagen des Ministers, die er am Anfang seines Artikels auch verkürzt zitiert hatte.

Den einen Satz sagte Friedrich auf der ersten Pressekonferenz nach seiner Ernennung zum Innenminister. Aus dem Bericht von "Welt-Online" vom 3. 3. 2011:
Menschen islamischen Glaubens gehörten natürlich zu diesem Land, sagt Friedrich. "Dass aber der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt."
Die zweite Äußerung fiel in einem Interview im gedruckten "Spiegel" vom 8. 8. 2011, in dem Friedrich nach dieser Äußerung gefragt wurde. Er antwortete:
Mir ging es dabei um die Frage nach der Identität Deutschlands. Diese Identität ist durch das Christentum und die Aufklärung geprägt, nicht durch den Islam.
Und aus diesen beiden Äußerungen schustert Zand die Behauptungen zusammen, Friedrich habe "das Christentum mit der Aufklärung zusammengerührt" und er hätte die "Zerstörung" von Christentum und Aufklärung "unter­schlagen". Das sei eine "Dreistigkeit" und "geschichtslos und selbstvergessen"!

Unfairer kann man kaum polemisieren. Zand schreibt denen, die er angreift, etwas zu, das sie weder gesagt noch offenkundig gemeint hatten, um sich dann dagegen zu empören. Das ist das Niveau des Karl-Eduard von Schnitzler.



Im zweiten Teil seines Kommentars wechselt dann den Ton seiner Polemik.

Er wird nun milde-belehrend und empfiehlt dem Bundespräsidenten, "nach Andalusien oder Mallorca, nach Malta oder Bosnien" zu reisen, sich eine Aufführung von Mozarts "Entführung aus dem Serail" anzusehen oder im Lexikon nachzuschlagen, um sich über die Herkunft von Wörtern wie "Admiral", "Algebra", "Alkohol" und "Atlas" kundig zu machen. Weiterhin solle Gauck "einen Blick in die Geschichtsbücher" tun, um sich beispielsweise über das Reich des Sultan Mehmet zu informieren, der 1453 Konstantinopel eroberte.

Das ist nun nicht mehr Karl-Eduard von Schnitzler, sondern es ist Klippschulniveau.

Niemand bestreitet doch, daß große Teile Spaniens einmal islamisch waren. Die Wiedereroberung durch das Christentum (Reconquista) zog sich über fast drei Jahrhunderte hin und endete am 2. Januar 1492 mit der Kapitulation des letzten arabischen Herrschers, Muhammad XII., in Granada.

Diese Zeit der Fremdherrschaft in Spanien ist jetzt mehr als ein halbes Jahrtausend her. Die türkische Fremdherrschaft auf dem Balkan ging beispielswese in Bosnien erst im 19. Jahrhundert zu Ende; formal erst mit dem Ersten Weltkrieg.

Natürlich hinterlassen solche Zeiten der Fremdherrschaft ihre Spuren; in Gestalt von Bauwerken, von kulturellen Einflüssen, gerade auch auf die Sprache. Daß Fremdwörter, die mit "Al" - also dem bestimmten Artikel im Arabischen - anfangen, in der Regel aus dem Arabischen stammen, weiß jeder Gymnasiast. Dazu wird auch Bundespräsident Gauck kein Lexikon bemühen müssen.

Aber aus solchen geschichtlichen Spuren Rückschlüsse auf die Identität eines Landes oder eines Kontinents zu ziehen, das ist offenkundig absurd.

Bekanntlich waren die Küstenregionen der Türkei und die vorgelagerten Inseln für mehr als ein Jahrtausend griechisch besiedelt; dort, in Ionien, lag beispielsweise die Wiege der griechischen Philosophie. Und noch bis ins dreizehnte nachchristliche Jahrhundert gehörten große Teile der heutigen Türkei zum Byzantinischen Reich, dem griechisch geprägten östlichen Nachfolger des Römischen Reichs. Noch heute zeugen davon viele Bauten; vom Tempel der Artemis in Ephesos bis zur Hagia Sophia.

Ist also das Griechentum Teil der Türkei?



Zands Kommentar ist derart einseitig antiwestlich, derart blind für die Fakten, daß man so etwas eher in einer islamischen Publikation erwarten würde als im "Spiegel". Nun, der "Spiegel" ist zwar keine islamische Publikation, aber Bernhard Zand ist Moslem. Nicht von Geburt, sondern Konvertit.

Zand war von 1998 bis 2010 Korrespondent des "Spiegel"; zuerst in Istanbul, dann in Kairo und zuletzt in Dubai. Inzwischen ist er in der Hamburger Zentralredaktion; und zwar als stellvertretender Leiter des Ressorts "Ausland". Wenn über islamische Länder berichtet wird, dann werden Sie sehr oft seinen Namen unter dem betreffenden Artikel finden. ­
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.