21. Juni 2012

Marginalie: In Ägypten bereiten die Sicherheitskräfte den Schutz koptischer Kirchen vor. Siegt Shafiq, werden Ausschreitungen erwartet

Eigentlich sollte Ägyptens zentrale Wahlkommission SPEC heute verkünden, ob Mohamed Morsi oder Ahmed Shafiq die Wahl zum Präsidenten gewonnen hat. Jetzt wurde mitgeteilt, daß mit der Bekanntgabe des Ergebnisses erst für Samstag oder Sonntag zu rechnen ist.

Zur Begründung heißt es, es müßte noch Beschwerden beider Bewerber wegen Unregelmäßigkeiten und Wahlfälschungen nachgegangen werden. Dazu gehört, wie die Online-Ausgabe von Al Ahram gestern schrieb, die Behauptung des Shafiq-Lagers, rund eine Million Stimmzettel seien von der angeblich islamistisch unterwanderten Staatsdruckerei bereits mit einem Kreuz für Morsi an die Wahllokale ausgeliefert worden (siehe Marginalie: Wahlbetrug à la Ägypten. Was die beiden Lager einander alles vorwerfen; ZR vom 17. 6. 2012).

Es wird aber auch gemunkelt, die Verzögerung diene der Vorbereitung auf mögliche schwere Unruhen, falls Shafiq der Wahlsieger ist. Wie Al Ahram aus Sicherheitskreisen erfahren hat, werden die Sicherheitskräfte dann in den höchsten Alarmzustand versetzt werden; vor allem in den Großstädten Kairo, Alexandria, Suez und Ismailiya. Insbesondere die Kirchen der Kopten sollen geschützt werden, die zur Wahl Safiqs aufgerufen hatten (siehe Die Christen könnten den Wahlausgang in Ägypten entscheiden; ZR vom 24. 5. 2012).



Siegt Morsi, dann hat er das Problem, ob er seinen Amtseid vor dem Obersten Verfassungsgericht leisten soll, dem HCC. Denn auf der einen Seite verlangt das die Verfassung. Andererseits haben die Moslembrüder dem HCC aber die Legitimität aberkannt, als es jetzt das Parlament aufgelöst hat. Läßt sich Morsi von den Verfasssungsrichtern vereidigen, dann anerkennt er dessen Legitimität und damit auch die Auflösung des Parlaments.

Auch wenn er der Sieger sein sollte, wird Morsi nur sehr begrenzte Befugnisse haben, wie man bei Stratfor lesen kann. Denn nach der Anordnung des HCC, das Parlament aufzulösen, hat der Oberste Rat der Streitkräfte (SCAF) nicht nur dessen Befugnisse an sich gezogen, sondern zugleich diejenigen des künftigen Präsidenten massiv eingeschränkt. Allein der SCAF wird über die Ausarbeitung der neuen Verfassung wachen und verfügt jetzt über ein Vetorecht gegen jede einzelne Bestimmung, die von der Verfassungsgebenden Versammlung formuliert wird.

Die Moslem-Bruderschaft scheint bereit zu sein, das alles zu schlucken, wenn auch unter verbalem Protest. Sie hat im Augenblick keine Machtmittel; es sei denn, sie würde die Straße mobilisieren, mit unkalkulierbaren Folgen. Insofern kann es dem SCAF einigermaßen gleichgültig sein, wer unter ihm Präsident wird.

Wenn Sie die Berichterstattung in ZR verfolgt haben, dann wird Sie diese Entwicklung nicht überraschen. Nachdem im Februar 2011 Mubarak zurückgetreten war, hielt Barack Obama eine seiner pathetischen Reden, in der er sagte:
Es gibt sehr seltene Augenblicke in unserem Leben, in denen es uns vergönnt ist, Zeuge eines geschichtlichen Ereignisses zu sein. Dies ist einer jener Augenblicke. Dies ist eine jener Zeiten. Die Menschen Ägyptens haben gesprochen, ihre Stimme ist gehört worden, und Ägypten wird nie mehr sein wie zuvor. (...) Denn die Ägypter haben klargestellt, daß nicht weniger als eine echte Demokratie den Sieg davontragen wird.
Ich habe das damals so kommentiert:
Was gestern geschehen ist, das war aber zunächst nicht der Beginn einer wunderbaren Freiheit, sondern es war ein klassischer Militärputsch (...) Es gibt keinen Hinweis darauf, daß das Militär, erzogen in der Tradition des Putsch-Obersten Gamal Abdel Nasser, die Macht aus der Hand zu geben beabsichtigt, die es gestern erobert hat (Der schönste Militärputsch, den es je gab? Mubarak, Obama und Mohamed Hussein Tantawi; ZR vom 12. 2. 2011).
Nicht jetzt droht, wie beispielsweise "Spiegel-Online" meint, ein "Putsch der Generäle". Sondern diese haben im Februar 2011 gegen Mubarak geputscht und halten seither die Macht in ihrer Hand.­
Zettel



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