13. Juni 2012

Zitat des Tages: "Mut-Bürger in Uniform". Aus der Rede Gaucks vor der Führungsakademie der Bundeswehr. Nebst einem Kommentar zu einem Kommentar

Freiheit ist ohne Verantwortung nicht zu haben. Für Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, ist diese Haltung selbstverständlich. Ist sie es auch in unserer Gesellschaft? Freiheit und Wohlergehen sehen viele als Bringschuld von Staat und Demokratie. Manche verwechseln Freiheit mit Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit und Hedonismus. Andere sind sehr gut darin, ihre Rechte wahrzunehmen oder gegebenenfalls auch vehement einzufordern. Und vergessen dabei allzu gern, dass eine funktionierende Demokratie auch Einsatz erfordert, Aufmerksamkeit, Mut, und manchmal auch das Äußerste, was ein Mensch geben kann: das Leben, das eigene Leben.

Diese Bereitschaft zur Hingabe ist selten geworden in Zeiten, da jeder für sich selbst Verantwortung zu übernehmen hat – und zu viele meinen, damit schon genug Verantwortung zu tragen. Hier, in der Bundeswehr, treffe ich auf Menschen mit der Bereitschaft, sich für etwas einzusetzen – gewissermaßen auf "Mut-Bürger in Uniform"!
Bundespräsident Gauck gestern in der Rede anläßlich seines Antrittsbesuch bei der Bundeswehr vor der Führungsakademie der Bundeswehr. Den Text der Rede können Sie auf der WebSite des Bundesministeriums der Verteidigung nachlesen. Was ich empfehle.

Kommentar: Das Befreiende an den Reden von Bundespräsident Gauck ist, daß er das Selbstverständliche sagt.

Er redet von Freiheit und Verantwortung, von den Rechten des Einzelnen und seiner Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft so, wie das für einen amerikanischen, einen französischen oder seit der Befreiung vom Kommunismus für einen polnischen Präsidenten selbstverständlich ist.

Er nennt die Verwundeten des Afghanistan-Kriegs nicht "Verletzte" und die Toten nicht "ums Leben Gekommene". Er spricht von Kriegsversehrten und Gefallenen. Er verwendet die Sprache so, wie man sie verwenden sollte. Dann nämlich, wenn man sich nicht den Vorschriften von Bedenken­trägerInnen und politisch Korrekten beugt, die versuchen, unser Denken zu beeinflussen, indem sie unsere Worte kontrollieren (siehe Hansi Flicks Äußerung im Wortlaut. Es gibt da eine hübsche Pointe; ZR vom 9. 6. 2012).

Gauck sagt ganz selbstverständlich das Selbstverständliche. Das ist das Brisante:
Liebe Soldatinnen und Soldaten, Sie schützen und verteidigen, was uns am wichtigsten ist, auch über die Grenzen unseres Landes hinaus: Freiheit und Sicherheit, Menschenwürde und das Recht jedes Einzelnen auf Unversehrtheit. Sie handeln im Auftrag einer freiheitlichen Demokratie. Sie sind als "Staatsbürger in Uniform" Teil dieser Gesellschaft, Sie stehen mit Ihrem Dienst für diese Gesellschaft ein. (...)

Die Abscheu gegen Gewalt ist verständlich. Gewalt, auch militärische Gewalt, wird immer auch ein Übel bleiben. Aber sie kann – solange wir in der Welt leben, in der wir leben – notwendig und sinnvoll sein, um ihrerseits Gewalt zu überwinden.
Gewalt kann notwendig und sinnvoll sein - wann hat sich je ein Bundespräsident getraut, das so lakonisch festzustellen? "Bei unserer Geschichte"?

Und gerade "unsere Geschichte" spricht Gauck auch noch in diesem Zusammenhang an:
Dass Frieden, Freiheit und die Achtung der Menschenrechte vielfach nicht von allein entstehen – wer wüsste das besser als wir Deutschen? Es waren ausländische Soldaten, die unserem Land die Möglichkeit der Freiheit schenkten, als sie selbst für ihre eigene Freiheit kämpften. "Ohne uns" als purer Reflex kann keine Haltung sein, wenn wir unsere Geschichte annehmen.
Das sagt ein Bundespräsident, der ursprünglich von der SPD und den Grünen als Kandidat auf den Schild gehoben worden war.



Bei den Grünen und der SPD dürfte mancher sich inzwischen fragen, ob es eine so gute Idee gewesen war, Gauck für das Amt des Bundespräsidenten zu nominieren.

Aber man hatte es ja 2010 nur in der sicheren Erwartung getan, daß die Koalition ohnehin eine Mehrheit für ihren Kandidaten Wulff hatte; Gauck sollte als Zählkandidat die Wahl Wulffs erschweren und damit die Regierung in Verlegenheit bringen. Und als dann im Febuar dieses Jahres die FDP die Nominierung Gaucks - nun durch die Regierung - durchsetzte, konnten SPD und Grüne ja nicht gut gegen ihren eigenen Kandidaten des Jahres 2010 auftreten.

Es war die Entschlossenheit der FDP, und es war am Ende auch so etwas wie eine List der Vernunft gewesen, die Joachim Gauck in das Amt brachte, für das er geeignet ist wie kaum ein Bundespräsident vor ihm (siehe Joachim Gaucks Nominierung: Sieg für die Freiheit, Erfolg der FDP. Eine List der Vernunft; ZR vom 19. 2. 2012).

Nicht gewählt haben ihn die Kommunisten; und diese können folglich laut aussprechen, was mancher vom linken Flügel der SPD und der Grünen wohl auch gern sagen würde. Katja Kipping, frisch gekürte Vorsitzende der Partei "Die Linke", nimmt kein Blatt vor den Mund:
Gauck habe in seiner Rede bei der Führungsakademie der Bundeswehr die Auffassung vertreten, die Verletzung von Menschenrechten in anderen Staaten oder der Terrorismus rechtfertigten das Führen von Kriegen unter Beteiligung der Bundeswehr, teilte die Linken-Vorsitzende Katja Kipping am Dienstagabend mit.

"Darüber möchte Herr Gauck in der Gesellschaft wieder verstärkt debattieren - mit anderen Worten: Werbung für Kriegseinsätze im Amte des Staatsoberhauptes betreiben". Für sie sei dies "schlicht Kriegspropaganda", sagte Kipping weiter.
Mag sein, daß es wirklich Gaucks - durchaus zurückhaltenden - Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr war, die Kipping so in Rage gebracht haben. Vielleicht war es aber auch das, was er über den Militarismus in der DDR sagte:
Soldaten und Militär – das war mir in den ersten fünf Jahrzehnten meines Lebens allgegenwärtig. Es sind keine guten Gefühle, die bei mir hochkommen, wenn ich mich erinnere an die Aufmärsche, an die Militarisierung der Schulen, an die Erziehung zum Hass, an die Ablehnung eines Zivildienstes durch Partei und Staat, an die militärische "Absicherung" einer unmenschlichen Grenze – nicht gegen einen Aggressor, sondern gegen das eigene Volk.

Ich habe in einem Land gelebt, in dem die Armee einer Partei verpflichtet war. Eine Armee, die "Volksarmee" hieß und es nicht war. Eine Partei, die von sich behauptet hat, den Volkswillen zu vertreten und die sich nicht gescheut hat, Soldaten auch gegen die eigenen Bürger einzusetzen. Ich habe das Militärische also kennengelernt als eine – nicht nur physische – Begrenzung der Freiheit.
Daß ausgerechnet die Kommunisten sich heute als Antimilitaristen, wenn nicht gar Pazifisten aufspielen, ist schon bemerkenswert. Es gibt eben kaum einen größeren politischen Unterschied als den zwischen Kommunisten an der Macht und Kommunisten, die erst noch an die Macht wollen (siehe "In unserer Fraktion im Bundestag herrscht auch Haß", sagt Gysi. Die Westschrumpfung der umbenannten SED; ZR vom 3. 6. 2012).­
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.