2. Juni 2012

Zitat des Tages: Ein "Mörder" und sein Hinterhaupt. Der Fall Trayvon Martin in den deutschen Medien

Der Mörder des schwarzen Teenagers Trayvon Martin muss wieder ins Gefängnis. Ein Richter setzte am Freitag die Kaution von George Zimmerman aus. Er hatte falsche Angaben zu seinem Vermögen und seinem Reisepass gemacht.
Beginn einer Meldung, die seit gestern, 21:31 Uhr, bei "Spiegel-Online" zu lesen ist.

Kommentar: Seit mehr als einem halben Tag steht das jetzt so auf der Seite; und niemanden ist offenbar bei "Spiegel-Online" etwas aufgefallen. Oder man findet die Formulierung "der Mörder" ja vielleicht sogar richtig.

Sie ist doppelt falsch. Erstens gilt bekanntlich auch journalistisch die Unschuldsvermutung. Auch "Spiegel-Online" schreibt sonst "der mutmaßliche Mörder", solange jemand noch nicht wegen eines Mordes verurteilt ist. Zweitens ist es äußerst unwahrscheinlich, daß George Zimmerman ein Mörder ist. (Über die Einzelheiten des Falls habe ich Anfang April berichtet: Der Fall Trayvon Martin; ZR vom 2. 4. 2012).

Es gibt zwei Gründe, warum Zimmerman sehr wahrscheinlich nicht wegen Mordes verurteilt werden wird.

Zum einen wird er sich auf das Recht auf Selbstverteidigung berufen, speziell das in Florida seit 2005 geltende Stand your ground-Recht.

Hier können Sie dessen im Einzelnen sehr diffizile Bestimmungen nachlesen. Im Kern läuft es darauf hinaus, daß jemand, der angegriffen wird, nicht zuerst versuchen muß, zu entfliehen, sondern daß er sich verteidigen darf (deshalb das "stand your ground" - halte Stand, widersetze dich). In Florida gilt dieses Recht nicht nur dann, wenn jemand sein Haus gegen Einbrecher verteidigt, sondern auch an öffentlichen Orten. Der Vorfall fand in einer sogenannten gated community statt, einer abgeschlossenen und gesicherten Wohnsiedlung.

Zweitens: Selbst wenn das Gericht zu dem Schluß kommen sollte, daß Zimmerman sich zu Unrecht auf dieses Gesetz beruft, wird er mit größer Wahrscheinlichkeit nicht wegen Mordes verurteilt werden.

Denn auch das amerikanische Recht kennt den Unterschied zwischen Mord und Totschlag. Beides sind Tötungsdelikte (homicide). Mord liegt aber nur dann vor, wenn dem Täter ein malice aforthought nachzuweisen ist, der Vorsatz (wörtlich: die böse Absicht).

Zwischen Zimmerman und Martin hat es - darin stimmen alle, sich ansonsten teilweise widersprechende, Zeugenaussagen überein - einen Kampf gegeben, in dessen Verlauf Zimmerman den Revolver zog und schoß. Ein vorsätzlich begangener Mord ist demnach äußerst unwahrscheinlich.



Dem Redakteur von "Spiegel-Online", der Zimmerman zum "Mörder" machte, mag das alles nicht klargewesen sein. Aber daß man jemanden, der noch nicht verurteilt - in diesem Fall ja noch nicht einmal vor Gericht gestellt - ist, in der Presse nicht "Mörder" nennen darf, weiß vermutlich jeder Volontär.

Warum ist es hier geschehen? Warum schilderte ein großer Teil der deutschen Medien von Anfang an den Fall so wie zum Beispiel die "Frankfurter Rundschau"; ich habe es in dem oben verlinkten Artikel zitiert: Da "rennt so ein 'Nachbar­schafts­wächter' mit einer geladenen Pistole rum und knallt bei der ersten Gelegenheit einen ab"?

Man wird dahinter Vorurteile vermuten dürfen; Klischees, was die USA, was speziell das weiße Amerika angeht.

Zimmerman wird vorgeworfen, er habe nach einem Klischee gehandelt, als er den mit einer Kapuzenjacke bekleideten schwarzen Jugendlichen als einen Kriminellen einstufte, der in dem Wohnviertel auf der Suche nach Beute war. Das ist gut möglich. Aber ebenso verfällt jemand einem Klischee, der Zimmerman als einen schießwütigen, rassistischen Weißen sieht.

George Zimmerman kommt aus einer - so sein Vater - "multirassischen" Familie. Er hat weiße, indianische und auch schwarze Vorfahren. Daß er schon vom Aussehen her nicht dem Klischee vom Südstaaten-Weißen à la Rod Steiger in "In der Hitze der Nacht" entspricht, weiß man inzwischen; Sie werden das eine oder andere der Bilder von ihm gesehen haben. Deshalb zeige ich ihnen jetzt ein Foto Zimmermans, das Sie möglicherweis noch nicht kennen:


Dieses Polizeifoto wurde am 2. Februar 2012 unmittelbar nach dem Vorfall auf der Polizeistation in Stanford, Florida gemacht, auf die man Zimmerman gebracht hatte.­
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Foto nach Recht des US-Bundesstaats Florida gemeinfrei.