3. März 2012

Zitat des Tages: Putin, der ewige Präsident. Wie er wurde, was er ist

Wladimir Putin "Wenn die Menschen es wollen, bleibe ich zwölf Jahre Präsident".
Überschrift in der Online-Ausgabe des "Handesblatts" zu einem Artikel, der über ein Interview mit Wladimir Putin berichtet; der Text dieses Interviews erscheint am Montag im gedruckten "Handelsblatt".

Kommentar: Wenn Sie schon seit längerem ZR lesen und ein gutes Gedächtnis haben, dann ist Ihnen vielleicht noch der Titel eines Artikels vom 18. November 2008 in Erinnerung: "Vierundzwanzig Jahre Macht für Wladimir Putin?". Dort steht das, was Putin jetzt angekündigt hat:
Stalin herrschte 26 Jahre lang, von 1927 bis zu seinem Tod 1953. Das wird Wladimir Putin wahrscheinlich nicht ganz schaffen; aber auf 24 Jahre könnte er es bringen, weit mehr als Nikita Chruschtschow (11 Jahre), mehr auch als Leonid Breschnew, der immerhin 18 Jahre Generalsekretär der KPdSU war.
Das mag damals als wilde Spekulation erschienen sein. Nun scheint es sich zu bewahrheiten; wie auch manches Andere, was in ZR früher über Putins Pläne zu lesen war. Wie wurde Putin das, was er jetzt ist? Ein kleiner Rückblick.

Anfang 2007 war die allgemeine Auffassung, daß Putin mit dem Ende seiner zweiten Amtszeit als Staatspräsident auch die Macht abgeben werde. Die Verfassung verlangte das ja. Aber es gab andere Möglichkeiten (Was wird aus Wladimir Putin?; ZR vom 6. 2. 2007):
Da ist jemand Staatspräsident geworden, der sich als Nachfolger der Zaren sieht, als eine Mischung aus Iwan dem Schrecklichen und Peter dem Großen.

Er hat in sieben Jahren eine nahezu absolute Macht erlangt. Das Parlament wird von seinen bedingungslosen Parteigängern beherrscht. Er hat die Selbstregierung der Länder der Russischen Föderation weitgehend abgeschafft, indem er die Ernennung der Gouverneure an sich gerissen hat. Sein einziger ernsthafter Konkurrent, der Gouverneur Alexander Lebed, starb eines mysteriösen Todes bei einem Helikopter- Absturz.

Putin hat Schritte eingeleitet mit dem offensichtlichen Ziel, auch die Opposition vollkommen unter seine Kontrolle zu bringen. Er hat die Justiz so weit in seine Gewalt gebracht, daß sie den Finanzier der einzigen verbliebenen ernsthaften Opposition, Chodorkowski, ins sibirische Arbeitslager schickte. Jetzt soll Chodorkowski erneut der Prozeß gemacht werden mit dem Ziel, ihn weitere Jahrzehnte einzukerkern.

Hand aufs Herz: Wo in der Weltgeschichte hat es das je gegeben, daß jemand, der so eindeutig eine autokratische Herrschaft anstrebt und der auf dem Weg dorthin fast am Ziel ist, die Macht freiwillig abgibt, nur weil ein Artikel der Verfassung das verlangt?

Vielleicht tut er's ja und geht zum VW-Konzern oder aufs Altenteil. Ich halte das für ungefähr so wahrscheinlich, wie daß Paris Hilton der Heilsarmee beitritt und künftig singend für die Armen sammelt.
Bald war klar, daß Putin bleiben würde; die Frage war nur, wie (Putins Spiel - wie macht er's?; ZR vom 13. 9. 2007).

Im Jahr 2008 hatte er sich für die Variante entschieden, vorübergehend in das Amt des Ministerpräsidenten zu wechseln. Er hatte zuvor in einer Reihe von Schachzügen dafür gesorgt, daß sein Statthalter Medwedew ihm in diesen Jahren nicht gefährlich werden konnte; auch wenn dieser in Versuchung gekommen wäre, die Rolle des getreuen Vasallen zu verlassen und tatsächlich von der Macht Gebrauch zu machen, die ihm das Amt des Staatspräsidenten formal verlieh.

Ich habe das seinerzeit in dem erwähnten Artikel von 2008 dargelegt, den ich in erweiterter und aktualisierter Form noch einmal publiziert habe, als im September vergangenen Jahres feststand, daß Putin jetzt wieder in das Amt des Staatspräsidenten zurückwechseln würde:
Zuvor waren die Ministerpräsidenten vom Staatspräsidenten berufen worden und von ihm abhängig gewesen; so, wie es die französischn Verfassung vorsieht, der die russische in vielen Punkten nachgebildet ist. Putin selbst hat noch kurz vor Ende seiner Amtszeit den Ministerpräsidenen abrupt ausgewechselt; in eigener Machtvollkommenheit.

Putin aber kandidierte nun bei den Duma-Wahlen 2007 ausdrücklich für das Amt des Ministerpräsidenten und erreichte (mit welchen Mitteln auch immer), daß seine Partei "Einiges Rußland", die ihm vollständig ergeben ist, 70 Prozent der Sitze in der Duma erreichte; auch die anderen Parteien sind überwiegend von ihm abhängig, teils sogar in seinem Auftrag gegründet worden.

Dadurch wurde er in Personalunion Ministerpräsident und der unangefochtene Chef der Duma. Mit seiner dortigen Zweidrittel-Mehrheit konnte er jedes Gesetz durchbringen und - wichtiger - jede Verordnung des Staatspräsidenten blockieren. Er war nicht mehr, wie die Ministerpräsidenten vor ihm, von der Gnade des Staatspräsidenten abhängig; sondern er hatte umgekehrt diesen in der Hand.

Zugleich hatte Putin noch in seiner Funktion als Staatspräsident ihm ergebene Gouverneure ernannt; und er hatte dafür gesorgt, daß die Provinzparlamente von seiner Partei dominiert wurden. Diese müssen die Gouverneure bestätigen; Medwedew konnte also keinen von ihnen gegen den Willen Putins auswechseln. Damit war ihm eines der wichtigsten Machtinstrumente in der Innenpolitik genommen.

Im Ergebnis waren Medwedew, trotz der dem Staatspräsidenten von der Verfassung zugedachten starken Stellung, faktisch die Hände gebunden. Selbst wenn er Putin untreu hätte werden wollen, hätte er scheitern müssen. Putin hatte in den fast vier Jahren seiner Zeit als Ministerpräsident stets eine ähnliche Machtfülle wie die Generalsekretäre der KPdSU, die ja auch protokollarisch hinter dem Staatspräsidenten rangierten.

Den "Machtkampf", von dem auch heute wieder beispielsweise "Spiegel-Online" schreibt, hat es nie gegeben. Die Macht lag auch in den vergangenen vier Jahren in den Händen von Putin. Er, und nur er, entschied, ob er im März nächsten Jahres in das Amt des Staatspräsidenten zurückkehren wird, oder ob er es vorzieht, weiter im Hintergrund die Fäden zu ziehen.
In Artikel von 2007 hatte ich zuvor verschiedene Möglichkeiten diskutiert, wie Putin es anstellen könnte, an der Macht zu bleiben; beispielsweise hätte er die Verfassung ändern lassen können oder eine Wiedervereinigung mit Weißrußland anstreben, die eine neue Verfassungssituation mit sich gebracht hätte.

Er tat nichts davon, sondern ging einen legalistischen Weg. Er hielt sich strikt an die Verfassung, sorgte zugleich aber durch die geschilderten Maßnahmen dafür, daß er auch als Ministerpräsident faktisch die Macht behielt. Denn sein Umbau Rußlands zu einem autoritär regierten Land in der Tradition der Zaren und der KPdSU sollte und soll für das Ausland hinter dem Bauzaun einer weiter funktionierenden Demokratie stattfinden.

Während die Verfassung ungeschmälert in Kraft bleibt, hat Putin beispielsweise eine von ihm geführte Massen­organisation namens "Volksfront" gründen lassen, die nach faschistischem und kommunistischem Vorbild alle Lebensbereiche durchdringen soll (siehe "Nach einem Jahrzehnt der Aggression konsolidiert sich Rußland jetzt unter einer Volksfront"; ZR vom 9. 7. 2011). Die Strukturen der Verfassung bleiben formal erhalten; aber Putin schafft neue reale Machtverhältnisse.

Putin, der sein gesamtes Berufsleben (1975 bis 1992) als Geheimdienstler verbracht hat, bevor er in die Politik wechselte, wird immer noch unterschätzt. Seine Skrupellosigkeit, seine Zielstrebigkeit, vor allem aber seine Finten, sein Spiel über die Bande werden oft nicht erkannt.

Dazu gehört es auch, daß die Stärkung der sogenannten Opposition bei den Parlamentswahlen im vergangenen Dezember durchaus in seinem Sinn war (siehe Hat Putin wirklich verloren? Nein. Er hat genau das erreicht, was er wollte; ZR vom 5. 12. 2011). Die Unruhen und Demonstrationen, die im Westen gern als Zeichen einer Schwäche Putins, wenn nicht seines beginnenden Niedergang gedeutet wurden, kamen ihm ebenfalls zupaß; auch sie als scheinbare Indikatoren für eine lebendige Demokratie. Laut "Handelsblatt" sagte Putin jetzt in dem Interview,
... die Demonstrationen seien "eine sehr gute Erfahrung für Russland". Er sei "ständig im Gespräch mit den Menschen auf der Straße".
Dieses Gespräch wird er, wenn nichts Unerwartetes passiert, bis zum Frühjahr 2024 führen können.

Mindestens. Denn dann ist er erst 71. Konrad Adenauer wurde 1949 im Alter von 73 Jahren zum ersten Mal zum Kanzler gewählt. Als er am 15. Oktober 1963 zurücktrat, war er 87 Jahre alt. Seinen 87. Geburtstag wird Wladimir Putin, wenn ihm das Schicksal ein langes Leben beschert, am 7. Oktober 2039 begehen.­
Zettel



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