Manchmal erweist sich die Lektüre eines schlechten Artikels im Nachhinein als lohnend, weil er via Link zu einem guten Artikel führt.
Der schlechte Artikel ist in diesem Fall einer in "Zeit-Online", der mir aufgefallen ist, weil er ungewöhnlich viele Kommentare ausgelöst hat; 468 sind es derzeit. Viele allerdings wurden gelöscht, mit einem der "Zeit-Online"-typischen Tadel wie: "Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Polemik. Nutzen Sie die Kommentarbereiche bitte, um sachliche Argumente und Meinungen auszutauschen. Danke. Die Redaktion/au."
Offenbar handelt es sich um ein Thema, das die Gemüter erregt. Als ich den Artikel - er heißt "Geschlechtertrennung im Muslimtaxi"; die Autorin ist Cigdem Akyol - gelesen hatte, erschien mir diese Aufgeregtheit verwunderlich.
Worum handelt es sich? Ein cleverer Kleinunternehmer, der aus dem Irak stammende 24jährige Student Selim Reid, hatte eine Geschäftsidee: Er gründete eine Mitfahrzentrale, über die Moslems sich zu geschlechtlich homogenen Mitfahr-Gemeinschaften zusammentun können - Männer fahren nur mit Männern, Frauen nur mit Frauen.
Wenn Sie zu Reids WebSite muslimtaxi.de gehen, dann werden Sie inzwischen zunächst einmal mit einem Disclaimer empfangen. Um weiterlesen zu können, muß man beispielsweise bestätigen, daß man diese Aussage zur Kenntnis genommen hat:
Vielleicht gibt es ja Homosexuelle, die gern möglichst mit Homosexuellen fahren möchten. Oder Fußballfans, die sich als Mitfahrer Fußballfans aussuchen möchten; zwecks einer Unterhaltung unter Fans wegen der Fahrt. Oder Nonnen, die nur mit einem frommen Katholiken fahren möchten. Oder vielleicht Englischsprachige, die sich jemanden zum Mitfahren aussuchen, mit dem sie sich in dieser Sprache unterhalten wollen.
Wo ist das Problem? Wo ist gerade bei der Auswahl nach Geschlechtern das Problem? Wer in ein Parkhaus fährt, der findet Parkplätze nur für Frauen. Es gibt Reisen nur für Frauen. Es gibt Hotels nur für Frauen. In Lübeck beispielsweise seit 2008 das "Frauenhotel Lübeck". LuebeckNews.de damals zu dessen Eröffnung:
Man muß da wohl zwei Ebenen unterscheiden. Sieht man sich die Kommentare bei "Zeit-Online" an, dann hat man den Eindruck, daß nach Ansicht von vielen der Kommentierenden mit diesem Angebot das Mittelalter wieder in Deutschland Einzug hält. Ein Poster namens "V1P3R_330" schreibt beispielsweise:
Auf der Ebene, auf der sie überwiegend in den Kommentarspalten von "Zeit-Online" geführt wird, ist diese Debatte schlicht albern. Die Einen erregen sich darüber, daß ein Moslem ein Mitfahrangebot für gläubige Moslems eingerichtet hat. Die Anderen erregen sich darüber, daß die Einen sich darüber erregen. Interessant ist das allenfalls insofern, als es zeigt, mit welcher seltsamen Emotionalität oft Debatten zum Thema Islam geführt werden; auf beiden Seiten.
Die Causa hat aber noch eine andere Ebene. Es ist die Ebene, welche die Autorin Cigdem Akyol, wie es scheint, gar nicht verstanden hat: die juristische. Sie zitiert die Stellungnahme eines Juristen, des Professors an der Hochschule Ludwigsburg Arnd Diringer:
Der Artikel, den Professor Diringer vor vier Wochen in der "Legal Tribune" publizierte, ist hingegen ausgesprochen lesenswert; und zwar im Kontext dessen, was uns das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eingebrockt hat (siehe beispielsweise "Bundesgerichtshof stärkt das Hausrecht von Hotelbetreibern". Der Fall Udo Voigt; ZR vom 10. 3. 2012; sowie zum Hintergrund Die Absurdität des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, erläutert anhand des Falls des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt; ZR vom 26. Mai 2010).
Diringer schreibt in der Tat, wie Frau Akyol in diesem Fall korrekt zitiert, es dränge sich "die Frage auf, ob das mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vereinbar ist". Aber er tut dies nicht, weil er "den Untergang der deutschen Rechtsordnung" fürchtet, sondern um auf die Problematik des AGG aufmerksam zu machen.
Diringer nennt - siehe oben - die Gründe, aus denen heraus die ADS hier eine Verletzung des AGG verneint. Anders als in dem Artikel von Frau Akyol dargestellt, stimmt er dem aber ausdrücklich zu. Unter der Überschrift "Antidiskriminierung ad absurdum geführt" schreibt er:
Aber wenn man schon ein solches Gesetz geschaffen hat wie dieses AGG, dann darf man natürlich bei dessen Anwendung nicht diskriminieren. Man kann nicht das Gesetz einmal so und einmal anders auslegen.
Im ersten der beiden oben verlinkten Artikel habe ich auf eine "Aktion Discotesting" in Sachsen aufmerksam gemacht, die zur Durchsetzung des AGG beim Einlaß in Discotheken beitragen will.
Niemand darf - so besagt es das AGG - "aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität" benachteiligt werden, wenn er beispielsweise in eine Disco will. Wie kann da das Frauenhotel Lübeck die Beherbergung von Jungen über zehn Jahren verweigern - eine gleich doppelte Benachteiligung, wegen des Alters und wegen des Geschlechts?
Damit Sie mich nicht so mißverstehen, wie die Journalistin Cigdem Akyol den Professor Arnd Diringer mißverstanden hat: Ich trete keineswegs dafür ein, daß die Inhaberinnen eines Frauenhotels gezwungen werden sollen, auch Männer aufzunehmen. Ganz im Gegenteil. Ich frage mich nur, wie man ihnen das, gegeben das AGG, erlauben kann; und zugleich Discobesitzer zwingen, Gäste einzulassen, die sie nicht haben wollen.
Der schlechte Artikel ist in diesem Fall einer in "Zeit-Online", der mir aufgefallen ist, weil er ungewöhnlich viele Kommentare ausgelöst hat; 468 sind es derzeit. Viele allerdings wurden gelöscht, mit einem der "Zeit-Online"-typischen Tadel wie: "Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Polemik. Nutzen Sie die Kommentarbereiche bitte, um sachliche Argumente und Meinungen auszutauschen. Danke. Die Redaktion/au."
Offenbar handelt es sich um ein Thema, das die Gemüter erregt. Als ich den Artikel - er heißt "Geschlechtertrennung im Muslimtaxi"; die Autorin ist Cigdem Akyol - gelesen hatte, erschien mir diese Aufgeregtheit verwunderlich.
Worum handelt es sich? Ein cleverer Kleinunternehmer, der aus dem Irak stammende 24jährige Student Selim Reid, hatte eine Geschäftsidee: Er gründete eine Mitfahrzentrale, über die Moslems sich zu geschlechtlich homogenen Mitfahr-Gemeinschaften zusammentun können - Männer fahren nur mit Männern, Frauen nur mit Frauen.
Wenn Sie zu Reids WebSite muslimtaxi.de gehen, dann werden Sie inzwischen zunächst einmal mit einem Disclaimer empfangen. Um weiterlesen zu können, muß man beispielsweise bestätigen, daß man diese Aussage zur Kenntnis genommen hat:
Ich habe verstanden, dass das Projekt den Dialog zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen fördern möchte, um für ein verständnisvolleres Zusammenleben aufeinander zuzugehen.Naja, mag da der Leser denken - muß es denn immer gleich so hochtrabend sein? Genügt es denn als Rechtfertigung eines solchen Unternehmens nicht, daß dank seiner Vermittlung Leute mit Leuten fahren können, mit denen sie eben gern fahren? Also in diesem Fall beispielsweise Frauen muslimischen Glaubens mit Frauen muslimischen Glaubens und nicht, sagen wir, mit homosexuellen Atheisten?
Vielleicht gibt es ja Homosexuelle, die gern möglichst mit Homosexuellen fahren möchten. Oder Fußballfans, die sich als Mitfahrer Fußballfans aussuchen möchten; zwecks einer Unterhaltung unter Fans wegen der Fahrt. Oder Nonnen, die nur mit einem frommen Katholiken fahren möchten. Oder vielleicht Englischsprachige, die sich jemanden zum Mitfahren aussuchen, mit dem sie sich in dieser Sprache unterhalten wollen.
Wo ist das Problem? Wo ist gerade bei der Auswahl nach Geschlechtern das Problem? Wer in ein Parkhaus fährt, der findet Parkplätze nur für Frauen. Es gibt Reisen nur für Frauen. Es gibt Hotels nur für Frauen. In Lübeck beispielsweise seit 2008 das "Frauenhotel Lübeck". LuebeckNews.de damals zu dessen Eröffnung:
Das "Frauenhotel Lübeck" in der Hundestraße bietet zwölf Zimmer, vier Seminarräume und im Erdgeschoss ein gemütlich eingerichtetes Cafè – ebenfalls nur für Frauen. (...) Die Atmosphäre ohne Männer sei einfach entspannter, bestätigten die Frauen, die gerade im "Café Sophia" gemütlich Kaffee trinken. Deshalb sind auch Jungens im Frauenhotel nur willkommen, so lange sie klein sind – sie sind nur bis zum Alter von zehn Jahren zugelassen. "Mit zehn beginnt bei den meisten die Pubertät, und dann verhalten sich Jungens oft schon wie Männer. Deshalb ist diese Altersbeschränkung in Frauenhotels allgemein üblich", erläutert Dede [eine der beiden Inhaberinnen; Zettel].So streng ist dort die Segregation. Aufregung scheint das bisher nicht ausgelöst zu haben. Warum jetzt bei diesem Mitfahrangebot?
Man muß da wohl zwei Ebenen unterscheiden. Sieht man sich die Kommentare bei "Zeit-Online" an, dann hat man den Eindruck, daß nach Ansicht von vielen der Kommentierenden mit diesem Angebot das Mittelalter wieder in Deutschland Einzug hält. Ein Poster namens "V1P3R_330" schreibt beispielsweise:
Das ist so als würde man wieder ins Mittelalter versetzt und das sollten wir doch längst hinter uns gelassen haben da durfte eine Frau auch nur mit einen Mann unterhalten wenn eine Aufsichtsperson an wessen ist.Etwas weniger ungelenk meint auch wurstil:
Traurig, dass auch jemand der perfekt Deutsch spricht, einen anspruchsvollen Studiengang studiert, trotzdem eine gesellschaftliche Anschauung des Mittelalters vertritt. (...) Willkommen im Mittelalter.Ja, warum sollten denn nicht auch Liebhaber des Mittelalters sich mit anderen Liebhabern des Mittelalters zu einer Mitfahrer-Gemeinschaft zusammentun? Jedem Tierchen sein Pläsierchen, und Gleich und Gleich gesellt sich bekanntlich gern.
Auf der Ebene, auf der sie überwiegend in den Kommentarspalten von "Zeit-Online" geführt wird, ist diese Debatte schlicht albern. Die Einen erregen sich darüber, daß ein Moslem ein Mitfahrangebot für gläubige Moslems eingerichtet hat. Die Anderen erregen sich darüber, daß die Einen sich darüber erregen. Interessant ist das allenfalls insofern, als es zeigt, mit welcher seltsamen Emotionalität oft Debatten zum Thema Islam geführt werden; auf beiden Seiten.
Die Causa hat aber noch eine andere Ebene. Es ist die Ebene, welche die Autorin Cigdem Akyol, wie es scheint, gar nicht verstanden hat: die juristische. Sie zitiert die Stellungnahme eines Juristen, des Professors an der Hochschule Ludwigsburg Arnd Diringer:
In einem Beitrag für die Legal Tribune Online befand er das ganze nicht für harmlos und äußerte die Befürchtung, dass durch das Muslimtaxi die Scharia, das islamische Recht, Einzug in das Beförderungsgewerbe nehme. Frauen und Männer getrennt, "ein solches Geschäftsmodell scheint problematisch", schrieb Diringer, "es drängt sich die Frage auf, ob das mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vereinbar ist".Diringer hat deshalb bei der ADS nachgefragt. Akyol zu deren Antwort, wie Diringer sie zitiert:
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) sieht in dem Angebot keine Benachteiligung einzelner, "da jedermann unabhängig von seiner Religions- und Geschlechtszugehörigkeit das Portal nutzen kann". Das AGG sei außerdem hier nicht verletzt, weil es sich nicht um eine Massengesellschaft handele. Reid verstößt also nicht gegen Gesetze. Auch wenn Juristen wie Diringer den Untergang der deutschen Rechtsordnung fürchten, Reid darf sein Angebot weiterhin ganz legal betreiben.Daß "Juristen wie Diringer den Untergang der deutschen Rechtsordnung fürchten" ist nun allerdings schlicht falsch. Es ist nachgerade hanebüchen falsch. Ebenso falsch ist die Behauptung, Diringer habe die Befürchtung geäußert, "dass durch das Muslimtaxi die Scharia, das islamische Recht, Einzug in das Beförderungsgewerbe nehme". Er zitiert das ironisch, mit Bezug auf eine Comedy-Sendung. Der Artikel von Cigdem Akyol zeigt, wie dürftig es inzwischen um die journalistische Qualität von "Zeit-Online" bestellt ist.
Der Artikel, den Professor Diringer vor vier Wochen in der "Legal Tribune" publizierte, ist hingegen ausgesprochen lesenswert; und zwar im Kontext dessen, was uns das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eingebrockt hat (siehe beispielsweise "Bundesgerichtshof stärkt das Hausrecht von Hotelbetreibern". Der Fall Udo Voigt; ZR vom 10. 3. 2012; sowie zum Hintergrund Die Absurdität des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, erläutert anhand des Falls des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt; ZR vom 26. Mai 2010).
Diringer schreibt in der Tat, wie Frau Akyol in diesem Fall korrekt zitiert, es dränge sich "die Frage auf, ob das mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vereinbar ist". Aber er tut dies nicht, weil er "den Untergang der deutschen Rechtsordnung" fürchtet, sondern um auf die Problematik des AGG aufmerksam zu machen.
Diringer nennt - siehe oben - die Gründe, aus denen heraus die ADS hier eine Verletzung des AGG verneint. Anders als in dem Artikel von Frau Akyol dargestellt, stimmt er dem aber ausdrücklich zu. Unter der Überschrift "Antidiskriminierung ad absurdum geführt" schreibt er:
Diese Argumentation erscheint durchaus schlüssig. Sie führt jedoch zu erstaunlichen Ergebnissen und offenbart zugleich grundsätzliche Probleme des AGG. Dies zeigt sich bereits, wenn man die Ausführungen der ADS auf andere Sachverhalte überträgt.Denn das, was für Moslems gilt, muß auch für andere Gruppen gelten:
In Betracht kämen dabei auch die nach § 19 Abs. 1 AGG verpönten Diskriminierungsmerkmale, also neben dem Geschlecht auch Rasse oder ethnische Herkunft, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität. (...) Damit wäre das AGG bei solchen Geschäftsmodellen "ausgehebelt". Ein seltsames und vom Gesetzgeber sicherlich nicht gewünschtes Ergebnis.Ein Ergebnis, das zeigt, wie problematisch dieses Gesetz ist. Diringer:
Damit stellt sich aber einmal mehr die bereits bei Schaffung des AGG viel diskutierte Frage, ob ein solcher Eingriff in die verfassungsrechtlich gewährleistete Privatautonomie überhaupt zulässig ist. (...) Einem demokratischen Rechtstaat steht es nicht zu, seinen Bürgern bestimmte politische oder gesellschaftliche Anschauungen durch Gesetze aufzuzwingen. Gerichte sind der denkbar ungeeignetste Ort, um gesellschaftliche Probleme zu lösen.So ist es.
Aber wenn man schon ein solches Gesetz geschaffen hat wie dieses AGG, dann darf man natürlich bei dessen Anwendung nicht diskriminieren. Man kann nicht das Gesetz einmal so und einmal anders auslegen.
Im ersten der beiden oben verlinkten Artikel habe ich auf eine "Aktion Discotesting" in Sachsen aufmerksam gemacht, die zur Durchsetzung des AGG beim Einlaß in Discotheken beitragen will.
Niemand darf - so besagt es das AGG - "aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität" benachteiligt werden, wenn er beispielsweise in eine Disco will. Wie kann da das Frauenhotel Lübeck die Beherbergung von Jungen über zehn Jahren verweigern - eine gleich doppelte Benachteiligung, wegen des Alters und wegen des Geschlechts?
Damit Sie mich nicht so mißverstehen, wie die Journalistin Cigdem Akyol den Professor Arnd Diringer mißverstanden hat: Ich trete keineswegs dafür ein, daß die Inhaberinnen eines Frauenhotels gezwungen werden sollen, auch Männer aufzunehmen. Ganz im Gegenteil. Ich frage mich nur, wie man ihnen das, gegeben das AGG, erlauben kann; und zugleich Discobesitzer zwingen, Gäste einzulassen, die sie nicht haben wollen.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Die Titelvignette wurde vom Autor NavBack unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic License freigegeben.a