2. März 2012

Wahlen in Rußland, Frankreich, dem Iran: Welches ist die Ausgangslage? (Teil 1: Frankreich und Rußland)

In zwei Monaten wird in Frankreich der Präsident gewählt (erster Wahlgang am 22. April; zweiter am 6. Mai). Bereits übermorgen wählen die Russen einen neuen Präsidenten. Und schon heute finden Parlamentswahlen im Iran statt.

So viel wie über die Wahl des amerikanischen Präsidenten, die doch erst am 6. November stattfindet, erfahren wir in unseren Medien über keine dieser drei bevorstehenden Wahlen. Gelegentlich etwas über die französische; selten etwas über die in Rußland. Über die heutigen Wahlen im Iran war bisher unseren Medien so gut wie nichts zu entnehmen; allenfalls wurden sie in Berichten über verstärkte Repression im Vorfeld dieser Wahlen erwähnt.

Ganz unwichtig sind ja nun allerdings alle drei Länder nicht. Liegt das Desinteresse also daran, daß die drei Wahlen längst entschieden sind - anders als die in den USA, wo sich die Chancen der Kandidaten ständig ändern? Oder daß ihr Ausgang für Deutschland ohne Belang ist?

Sie sind aber nicht alle drei entschieden. In einem der drei Länder - paradoxerweise dem Iran - wird es vielmehr spannend. Und von Bedeutung für Deutschland sind alle drei Staaten. Heute einige Informationen zu Frankreich und Rußland. Es folgt als zweiter Teil ein Artikel über die Wahlen im Iran.



Über die Wahl des französischen Präsidenten informiere ich fortlaufend in der Serie Gedanken zu Frankreich. Dort hat sich seit Wochen an den Umfragedaten nichts geändert:

Für den ersten Wahlgang liegt der Sozialist François Hollande knapp, aber konstant vor Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Im zweiten Wahlgang würde er ihn deutlich (mit ungefähr 56 zu 44 Prozent) schlagen, wenn jetzt gewählt werden würde. Der Sieg im zweiten Wahlgang scheint Hollande so gut wie sicher, weil er nach den Umfragen mehr Stimmen als Sarkozy von den Wählern der anderen Kandidaten bekommen wird, die dann ausscheiden (siehe Sarkozy am Ende? Frankreich steht vor einem beispiellosen Linksrutsch; ZR vom 2. 1. 2012).

Sarkozy versucht das Ruder doch noch herumzureißen, indem er eine Erneuerung Frankreichs ankündigt, und zwar weitgehend nach dem Vorbild Deutschlands (siehe Sarkozy gestern Abend im französischen TV. Was er gesagt hat, nebst einem Kommentar; ZR vom 30. 1. 2011).

Das ist an sich keine schlechte Strategie, denn in Frankreich wird Deutschland bewundert; und vor allem die Kanzlerin genießt dort außerordentliche Hochachtung (siehe Wie sehen die Franzosen Deutschland? Gestern wurde eine neue Umfrage publiziert. Merkels Glanz für Sarkozy; ZR vom 7. 2. 2012).

Das Problem ist nur, daß Sarkozy nicht erklären kann, warum er alle die Reformen, die er jetzt ankündigt, nicht während seiner fünfjährigen Amtszeit in Angriff genommen hat. Man glaubt ihm seinen Reformwillen schlicht nicht. Auch ist er persönlich im Lauf seiner Amtszeit immer unbeliebter geworden; man vermißt an ihm die Würde, die alle seine Vorgänger ausstrahlten (siehe Sarkozy nervt die Franzosen; ZR vom 26. 2. 2008).

Spannend erscheint im Augenblick allenfalls, ob die Kandidatin des Front National, Marine Le Pen, überhaupt zur Wahl zugelassen werden wird. Sie liegt mit zwischen 16 und 20 Prozent konstant auf dem dritten Platz hinter Hollande und Sarkozy; aber sie könnte daran scheitern, daß es ihr nicht gelingt, die 500 Unterschriften von Honoratioren zusammenzubringen, die für die Teilnahme an der Wahl zum Präsidenten erforderlich sind (siehe Marine Le Pen - die große Unbekannte. Schon stärker als Sarkozy? Oder darf sie am Ende gar nicht antreten?; ZR vom 17. 1. 2011).

Gestern hat Marine Le Pen mitgeteilt, daß sie jetzt 452 Unterschriften beieinander hat. Die Frist, bis zu der die 500 Unterschriften eingereicht werden müssen, wurde nach einem gerichtlichen Vorstoß Le Pens bis zum 16. März verlängert; es sieht also so aus, als könne sie es schaffen und damit der französischen Demokratie die Blamage ersparen, die mit dem Ausscheiden einer so starken Kandidatin aus einem formalen Grund verbunden wäre.



Was Rußland angeht, stellt sich die Frage nach einer Blamage der Demokratie freilich nicht; mangels Demokratie. Die Lage vor der Wahl des Präsidenten übermorgen ist eindeutig; und zwar eindeutiger, als es das zu erwartende Wahlergebnis ausdrücken wird. Denn Putin sitzt viel fester im Sattel, als es oft dargestellt wird.

Als bei den Parlamentswahlen am 4. Dezember vergangenen Jahres Putins Partei "Einiges Rußland" schlechter abschnitt als bei den vorausgehenden Wahlen (sie behielt mit 238 von 450 Sitzen freilich eine solide absolute Mehrheit), da wurde das als eine Niederlage Putins, ja eine "Katastrophe" für ihn gewertet.

Das war diese Wahl aber durchaus nicht. Ihr Ergebnis war im Gegenteil ganz in Putins Sinn; denn nicht die demokratische Opposition gewann Sitze auf Kosten von "Einiges Rußland" (sie ging vielmehr völlig leer aus), sondern die Hardliner auf der extremen Linken (die Kommunisten kamen auf 19 Prozent) und der extremen Rechten (Wladimir Schirinowskis "Liberaldemokraten", in Wahrheit Ultranationalisten, erhielten 12 Prozent).

Die vierte Partei, die es in die Duma schaffte, war die Partei "Gerechtes Rußland", die 2007 im Auftrag Putins gegründet worden war, um den Anschein einer Opposition zu erwecken (siehe Putins zweites Bein; ZR vom 4. 1. 2007, sowie Zar Putin und die Kontinuität der russischen Politik; ZR vom 2. 4. 2007). Sie erreichte 13 Prozent.

Putin hatte damit genau das, was er wollte: Einen Anschein von Demokratie, wenn auch vielleicht noch nicht ganz lupenrein, und eine Duma, die sein Programm einer Wiederrichtung des Sowjetreichs in Form von Einflußzonen bedingungslos unterstützen würde; denn in diesem Punkt sind die Kommunisten und Schirinowski noch eindeutiger auf Putins Linie als Manche in dessen eigener Partei (siehe Hat Putin wirklich verloren? Nein. Er hat genau das erreicht, was er wollte; ZR vom 5. 12. 2011).

Nach diesen Wahlen hat es Demonstrationen gegeben, die von den westlichen Medien oft groß herausgestellt wurden. Ihre Organisatoren waren demokratische Parteien und Gruppen, die aber politisch völlig belanglos sind; sie haben ja keinen einzigen Sitz in der Duma. Daß es sich hier um eine ganz andere - und völlig machtlose - Opposition handelte als diejenige, die bei den Wahlen (relativ) erfolgreich gewesen war (also die Kommunisten und die Nationalisten sowie Putins selbstgestrickte Oppositionspartei "Gerechtes Rußland"), wurde meist übersehen.

Das ist jetzt ein Vierteljahr her. Seither hat es Putin verstanden, den Eindruck einer bevorstehenden ergebnisoffenen Präsidentschaftswahl zu erwecken. Davon kann aber keine Rede sein. Denn er hat keinen ernsthaften Gegenkandidaten.

Gegen ihn kandidieren die Vorsitzenden der Kommunisten und der Nationalisten, Gennadi Sjuganow und Wladimir Schirinowski, sowie der Vorsitzende von "Gerechtes Rußland", Sergei Mironow.

Und dann ist da noch der seltsame Kandidat Michail Dmitrijewitsch Prochorow. Er hat seine Milliarden vor allem im Geschäft mit Edelmetallen gemacht und gilt als der drittreichste Mann Rußlands; auf der Liste der reichsten Männer der Welt nimmt er Platz 32 ein. Daß er in einem Land, in dem die "Oligarchen" weithin verhaßt sind, bei einer Wahl keine Chance hat, versteht sich von selbst. Die Hintergründe seiner aussichtslosen Kandidatur sind unklar.

Obwohl also feststeht, wer am Sonntag auf fünf Jahre zum Präsidenten gewählt werden wird, gibt es natürlich Umfragen. Drei davon wurden am vergangenen Freitag publiziert. Laut Lew Gudkow, Direktor des unabhängigen "Lewada-Zentrums", wird Putin auf 66 Prozent kommen. Das staatliche "Gesamtrussische Zentrum für Meinungsforschung" sagt ihm dagegen bescheidene 53,5 Prozent vorher; ein weiteres Institut, die "Stiftung für Meinungsforschung", gibt ihm exakt 58,7 Prozent.

Der von dem staatlichen Institut verbreitete Wert könnte aus taktischen Gründen eher zu niedrig gegriffen sein. Um die 60 Prozent, vielleicht noch etwas mehr, wird Putin wohl holen. Wenn Sarkozy ihm am Sonntag Abend gratuliert, dürfte das mit einer gewissen neidvollen Wehmut geschehen.­
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Nicolas Sarkozy und Wladimir Putin 2007 in Heiligendamm. Als Werk der Regierung der USA gemeinfrei.