21. November 2011

Rechter Terrorismus und linker Terrorismus in Deutschland. Anmerkungen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden

Nach einer Pause von rund zwei Jahrzehnten gibt es in Deutschland wieder eine Debatte über den politischen Terrorismus; über einen deutschen Terrorismus, nicht den importierten der Islamisten.

Am 1. April 1991 beging die "Rote Armee Fraktion" (RAF) ihren letzten Mord. Bis heute ist unbekannt, wer den Vorsitzenden der Treuhand-Anstalt, Detlev Karsten Rohwedder, damals erschoß; in einem Bekennerbrief bezichtigte sich ein "RAF-Kommandos Ulrich Wessel" der Tat.

Die Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) wurden erst jetzt bekannt; aber der erste - das Opfer war der Blumenhändler Enver Simsek - liegt schon mehr als ein Jahrzehnt zurück. Er geschah am 9. September 2000.

Was terroristische Gewalt in Deutschland angeht, hatte es also nur eine Pause von knapp zehn Jahren gegeben; zehn Jahre zwischen dem letzten Mord der RAF und dem ersten der NSU. Ein Jahrzehnt lang haben die mutmaßlichen Täter Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe (wie bei der RAF sind die Tatanteile der einzelnen Terroristen unklar) dann gemordet, ohne daß hinter diesen Taten Rechtsextremisten vermutet worden wären.

Dies ist eine der Ungewöhnlichkeiten dieses Falls: Terrorismus sozusagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Etwas also, das dem Wesen des Terrorismus eigentlich zuwiderläuft.

Denn Terrorismus ist Propaganda der Tat. Terroristen morden und bomben, weil sie sich von diesen Taten Aufsehen erhoffen; eine öffentliche Aufmerksamkeit, von der sie erwarten, daß sie sich auf ihre jeweilige politische Ideologie überträgt (siehe Propaganda der Tat. Die mörderische Logik des Terrorismus, von der RAF über die Kaida bis zu Behring Breivik; ZR vom 25. 7. 2011).

Terroristen töten zum anderen, weil sie - wie es der Begriff "Terror" (Angst, Schrecken) besagt - Furcht verbreiten und den Staat zu Gegenmaßnahmen zwingen wollen, von denen sie sich weiteren Zulauf erhoffen. Die RAF hatte das bis ins Einzelne durchgeplant; ich habe es früher einmal zusammengefaßt:
Das Ziel der RAF war es, in Deutschland, in Westeuropa einen Bürgerkrieg zu entfachen, an dessen Ende die kommunistische Revolution stehen sollte. Durch Anschläge sollten harte Reaktionen des Staats provoziert werden, die Empörung auslösen und der RAF neue Kämpfer zuführen würden. Allmählich wollte man zur Kontrolle ganzer Stadtteile usw. übergehen. Das sollte die Keimzelle der Roten Armee in Westeuropa werden. (Was waren die Ziele der RAF?; ZR vom 24. 11. 2008)
Etwas Ähnliches mag den Mördern der NSU vorgeschwebt haben; nur daß der Bürgerkrieg gegen Einwanderer geführt werden sollte, nicht gegen diejenigen, die von der RAF als die "Herrschenden" angesehen wurden.

Aber eine derartige Wirkung konnten die Mörder der "Zwickauer Zelle" ja nicht erwarten, solange hinter ihren Taten die Mafia oder eine militante türkische Organisation vermutet wurden. Warum gab es also keine Bekennerschreiben - am Tatort; oder der Presse zugespielt, wie es andere Terroristen tun?

Es gibt bisher keine plausible Erklärung. Man könnte nur spekulieren. Die dümmste Spekulation, die ich gelesen habe, stammt von Hans Leyendecker in sueddeutsche.de:
Vielleicht waren sie politische Analphabeten, vielleicht waren sie schreibfaul; vermutlich war das Substantiv "Reflexion", das in Traktaten von Terroristen aller Länder häufig auftaucht, für sie ein Fremdwort. Vermutlich hätten sie das Wort auch so geschrieben: "Reflektion".
Ja, dann. Der Doyen des deutschen investigativen Journalismus hat gesprochen. (Uwe Mundlos ist übrigens Sohn eines Professors und hat sich auf dem Zweiten Bildungsweg auf das Abitur vorbereitet).



Sieht man von der Leyendecker'schen Albernheit ab, dann bleibt ein erster, fundamentaler Unterschied zwischen RAF und NSU zu konstatieren: Die RAF agierte vom ersten Augenblick an sozusagen im vollen Scheinwerferlicht; sie war nachgerade süchtig nach Öffentlichkeit. Die Zwickauer Mörder begingen ihre Taten im Dunkeln. Ob sie das nur in einer ersten Phase gewollt hatten, um dann umso wirksamer die Öffentlichkeit mit einem Bekenntnis zu schockieren, sei dahingestellt.

Die RAF jedenfalls suchte die Öffentlichkeit. Schon der Weg in den Terrorismus war bei den RAF-Mördern eine öffentliche Angelegenheit. Man konnte in den Medien verfolgen, wie die späteren Täter "sich radikalisierten"; wie man damals sagte:

Erst gab es nur verbalradikale Sprüche und Machtphantasien wie diejenige von einer Revolution in Westberlin, aus der eine Räteherrschaft hervorgehen sollte (siehe Dutschke und Genossen als Revolutionäre. Räteherrschaft in Westberlin; ZR vom 28. 2. 2009; sowie Rudi Dutschke, die Revolution, die Gewalt; ZR vom 10. 2. 2011). Dann folgte "Gewalt gegen Sachen" in Form von Brandstiftungen. Als Nächstes wurde, als man Baader befreite, der erste Mensch niedergeschossen, der 62jährige Bibliotheksangestellte Georg Linke. Es war Zufall, daß er überlebte.

Damit war die RAF entstanden; als eine Mörderbande. Als eine Mörderbande, die soviel Öffentlichkeit suchte, wie es nur ging. Nicht nur in Form von Bekennerschreiben, sondern auch von ganzen Traktaten, in denen die beabsichtigte Strategie, Deutschland in den Bürgerkrieg zu treiben, im Detail dargelegt wurde (siehe die Serie "So macht Kommunismus Spaß, dort vor allem Folge 5; sowie Was waren die Ziele der RAF?; ZR vom 24. 11. 2008).

Ich benutze den Begriff "Mörderbande" mit Absicht. Ich entnehme ihn dem zitierten Artikel von Hans Leyendecker, der von der "Mörderbande, die sich 'Nationalsozialistischer Untergrund' (NSU) nannte" schreibt.

Es ist der richtige, der treffende Begriff. Aber auf die RAF wurde er seinerzeit selten angewandt. Selbst die halboffizielle Bezeichung "Baader-Meinhof-Bande" wurde von vielen Medien und in privaten Diskussionen vermieden. Die Sprachregelung in linken Kreisen war "RAF", und das wurde "raf" gesprochen, so wie in "raffen", und nicht "er-a-eff". Andere, darunter viele "Linksliberale", sagten vornehm "Baader-Meinhof-Gruppe". Man wollte ja objektiv sein und nicht vorverurteilen.



Damit bin ich bei einem zweiten Unterschied, der mit dem ersten zusammenhängt: Die allgemeine Abscheu, die jetzt zu Recht die NSU-Mörder trifft, wurde den RAF-Mördern keineswegs zuteil. Sie konnten Öffentlichkeit anstreben, weil sie auf eine ihnen in Teilen wohlgesonnene Öffentlichkeit rechnen konnten.

Es gab sie, die Abscheu; aber sie war eben nicht allgemein. Die Haltungen im linken Spektrum reichten von Sympathie ("Klammheimliche Freude") über Verständnis ("Immerhin haben sie den Mut, etwas zu tun, statt nur zu labern") und Skepsis, daß es gelingen werde ("Der bewaffnete Kampf ist die falsche Strategie") bis hin zu so etwas wie Mitleid mit den irregeleiteten Genossen, die sich unnötig opfern.

1972, nach der Festnahme von Baader, Meins und Raspe gab der damals sehr prominente linke Sexualwissenschaftler Ernest Bornemann dem WDR ein Interview, in dem er es an Mitgefühl mit den "jungen Männern in Unterhosen" nicht fehlen ließ, die man da festgenommen hatte.

An dieser Haltung in der Linken hat sich bis heute nichts geändert.

Für die Kommunisten war die RAF nie eine Mörderbande. Der Serienmörder (neun Morde) Christian Klar durfte im Februar 2007 eine Grußbotschaft an die Rosa-Luxemburg-Konferenz richten, an der beispielsweise von der damaligen PDS Gesine Lötzsch teilnahm (siehe Die PDS und der Gruß eines Terroristen; ZR vom 27. 2. 2007); dazu eingeladen hatte Klar der ehemalige Rektor der Humboldt-Universität Heinrich (IM "Heiner") Finke (siehe Christian Klar, die Waffe der Kritik, die Kritik der Waffen; ZR vom 8. 5. 2007).

Zu den Mördern des deutschen Diplomaten Andreas von Mirbach, der in der Stockholmer Botschaft viehisch hingerichtet wurde (er wurde eine Stunde lang sterbend auf einer Treppe liegengelassen; die Mörder erlaubten keine Hilfe) gehörte Karlheinz Dellwo. Heute ist er Mitgesellschafter und Autor der kommunistischen Tageszeitung "Junge Welt" (siehe Karl-Heinz Dellwo, das "1000. Mitglied" der "LPG junge Welt". Ist das der RAF-Mörder Dellwo? Die "Rote Armee Fraktion" und die Parteikommunisten; ZR vom 23. 1. 2010).

Inge Viett, eines der RAF-Mitglieder, die später in der DDR Unterschlupf fanden, schoß 1981 in Paris den Polizisten Francis Violleau zum Krüppel. Sie hat sich nie von den Taten der RAF distanziert. Im Januar dieses Jahres trat sie auf der "Rosa-Luxemburg-Konferenz" mit einem Beitrag auf, in dem sie erklärte: "Wenn Deutschland Krieg führt und als Antikriegsaktion Bundeswehrausrüstung abgefackelt wird, dann ist das eine legitime Aktion".

Zu der Podiumsdiskussion mit Viett hatte sich auch die Vorsitzende der Partei "Die Linke" Gesine Lötzsch angemeldet; sie entschied sich aber in letzter Minute, ihren Beitrag nur schriftlich vorzulegen (siehe Die Rosa-Luxemburg-Konferenz und Lötzschs Strategie der "fortschreitenden Machteroberung"; ZR vom 7. 1. 2011; sowie "Es ist legitim, Bundeswehrausrüstung abzufackeln". Inge Viett, die einen Menschen zum Krüppel schoß, ruft wieder zur Gewalt auf; ZR vom 8. 1. 2011).

Anders als die NPD gilt die Partei "Die Linke" weithin als eine respektable Partei. Die SPD hat in zwei Bundesländern mit ihr koaliert und läßt sich gegenwärtig in NRW von ihr tolerieren. Ihre Stars sind gern gesehene Gäste in Talkshows.



Ich komme jetzt zu einem Einwand, der Ihnen möglicherweise bei der Lektüre durch den Kopf gegangen ist: "Ja, aber man kann doch die Morde der RAF nicht mit denen der NSU vergleichen".

Die NSU hat wahllos Unschuldige ermordet, so könnte man das weiterführen; friedliche, wahrscheinlich unpolitische Bürger. Sie hat das außerdem aus dem niederen Motiv des Fremdenhasses heraus getan.

Beides stimmt. Aber wie war das denn bei der RAF? Hat sie etwa "Schuldige" ermordet? Alle ihre Opfer waren exakt so unschuldig wie die Opfer der NSU. Es wäre nachgerade eine Verhöhnung von Männern wie Günter von Drenkmann, Jürgen Ponto, Hanns-Martin Schleyer, Siegfried Buback oder Andreas von Mirbach, das in Zweifel zu ziehen; von Polizisten wie Norbert Schmid und Herbert Schoner und den vielen weiteren Polizisten und Sicherheitsbeamten ganz abgesehen, die Opfer der Mörderbande RAF wurden. Das Motiv war ebenso Haß wie bei der NSU - nur eben Haß auf die "Herrschenden" und nicht auf die "Fremden".

Kurz: Die RAF und die NSU unterscheiden sich darin, wie sie selbst gegenüber der Öffentlichkeit aufgetreten sind und wie sie von der Öffentlichkeit - jedenfalls der linken - gesehen werden. Sie unterscheiden sich aber überhaupt nicht in ihrer Unmenschlichkeit, ihrer kriminellen Energie; in dem Zynismus und in der Arroganz, mit der sie aus einer extremistischen Ideologie für sich das Recht ableiteten, Menschen das Leben zu nehmen.

Es stimmt: Wir brauchen angesichts der jetzt aufgedeckten politischen Morde eine Terrorismus-Diskussion. Aber mit Rechts oder Links hat der Terrorismus nichts zu tun. Es gibt ihn am einen Rande ebenso wie am anderen; und er ist auf der einen Seite keinen Deut besser oder akzeptabler als auf der anderen.

Sowohl links als auch rechts gibt es allerdings eine Grauzone zwischen dem Terrorismus und Extremisten, die selbst nicht mit terroristischen Mitteln arbeiten. Es gab solche Verbindungen offenbar zwischen Mitgliedern der NPD und der Zwickauer Zelle. Es gibt, wie beschrieben, die Grauzone zwischen den RAF-Terroristen und der extremen Linken.

Sollte man also die NPD verbieten? Sollte man die Partei "Die Linke" verbieten? Ich halte das für falsch. Extremisten in den Untergrund zu treiben nützt nie der Demokratie. Nur frage ich mich, mit welchem Recht denn jetzt gefordert wird, die NPD zu verbieten, während offenbar diejenigen, die das wollen, die Partei "Die Linke" keineswegs verbieten möchten.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette "Cartoon against violence" vom Autor Welleman in die Public Domain gestellt.