Pfarrer ist nicht einfach ein Beruf wie jeder andere, schon gar nicht ein Job. Pfarrer ist eine Lebensform. Wenn der Gottesdienst, der Unterricht, das seelsorgerliche Gespräch vorbei ist, bin ich immer noch Pfarrer. Natürlich habe ich Freizeit, Urlaub, selbstbestimmte Zeit. Aber ich höre nicht auf, in dieser Zeit Pfarrer zu sein. Das Telefon kann klingeln, und ich werde als Seelsorger benötigt. Ich kann ans andere Ende der Welt reisen und treffe jemanden, der mich als Pfarrer kennt. Und habe ich dort “die Sau rausgelassen”, dann fällt das auf mich als Pfarrer, auf meine Glaubwürdigkeit, auf mein Glaubenszeugnis zurück.
Wer sich entscheidet, Pfarrer zu werden, der entscheidet sich für eine Lebensform, die schön ist, aber auch anspruchsvoll – und von der nichts ausgenommen sein kann.
Wie anspruchsvoll diese Lebensform ist, kommt in der römisch-katholischen Kirche im Zölibat zum Ausdruck. Ein Pfarrer soll frei sein von der Sorge um Ehefrau und Familie, um so frei zu sein für die Sorge um seine Gemeinde. Wie wir wissen, ist dieser Anspruch so hoch, dass viele, allzu viele daran gescheitert sind und so der Glaubwürdigkeit des katholischen Priesteramts Schaden zugefügt haben.
In der evangelischen Reformation wurde eine andere Gestaltung der Lebensform des Pfarrers gefunden: das Pfarrhaus, die Pfarrehe, die Pfarrfamilie. Der Pfarrer war fortan verheiratet und die Ehefrau hatte auf ihre Weise Anteil am Dienst ihres Mannes. Zu einem Gutteil bestand ihr Anteil genau darin, ihrem Mann auch in dieser Lebensform die notwendige Freiheit zu sichern: Sie hielt ihm den Rücken frei von den Sorgen des Alltags, der Hauswirtschaft, der Kindererziehung, und er war frei für die Sorge um seine Gemeinde. Der Vorteil gegenüber der katholischen Lösung bestand darin, dass sie ihn auch weitgehend davon frei hielt, seine sexuellen Bedürfnisse in wie auch immer inakzeptabler Form auszuleben.
Die Lebensform des evangelischen Pfarrhauses ist seit einigen Jahrzehnten in die Krise gekommen. Berufstätigkeit der Pfarrfrauen, Frauenordination und eine zunehmende Scheidungszahl bei Pfarrehen sind nur einige Symptome dieser Krise. Andere Symptome sind die Diskussionen um Arbeitszeiten, dienstfreie Tage sowie Residenz- und Präsenzpflicht des Pfarrers, die seit langem in den Pfarrvereinen und kirchlichen Gremien geführt werden, sowie die Einrichtung von privatrechtlichen Dienstverhältnissen für Pfarrer. Sie zeigen an: Der Pfarrberuf wird zunehmend nicht mehr als umfassende, der Verkündigung des Evangeliums dienende Lebensform gesehen, sondern als ein Job, also als eine zeitlich begrenzte Tätigkeit, der man vierzig, fünfzig oder auch sechzig Stunden in der Woche nachgeht, die man aber wechseln kann, und außerhalb derer man Privatperson ist.
Es ist wohl vor allem dieser Wandel im Verständnis des Pfarrberufs, der erklärt, warum es auf so viel Unverständnis stößt, wenn die Württembergische Landeskirche eine Vikarin aus dem Vorbereitungsdienst entlässt, weil sie einen muslimischen Mann geheiratet hat. Stellvertretend für dieses Unverständnis weise ich auf diese drei Kommentare hin:
Ohne den Einzelfall wirklich beurteilen zu können, möchte ich doch Folgendes zu bedenken geben:
Die Lebensform Pfarrer, auf die der Vorbereitungsdienst hinführt, setzt nicht nur bestimmte professionelle Kompetenzen voraus, die die Landeskirche bei der Einstellung zu berücksichtigen hat. Sie setzt vor allem auch die persönliche Bindung an die Heilige Schrift, an die kirchlichen Bekenntnisse und an die geltenden kirchlichen Ordnungen voraus. Darauf verpflichtet sich jeder Pfarrer öffentlich bei seiner Ordination.
Die kirchliche Ordnung in Form des Pfarrdienstrechts formuliert (im neuen Pfarrerdienstgesetz für die gesamte EKD in bereits abgeschwächter Form; die württembergische Ausführungsverordnung kenne ich nicht) die Erwartung, dass der Pfarrer berücksichtigt, dass auch Ehe und Familie Einfluss auf seinen Dienst haben. Der Ehepartner soll evangelisch sein und muss einer christlichen Kirche angehören. Ausnahmen im zu prüfenden Einzelfall sind möglich.
Die betroffene Vikarin musste wissen, dass sie sich bei der Eheschließung mit einem Muslim in einem Konfliktfeld bewegt, das rechtmäßig so entschieden werden konnte, wie es entschieden worden ist.
Es ist gutes Recht der Kirche, ihre Einstellungs-voraussetzungen zu formulieren.
Und das erscheint mir in diesem Fall auch als sinnvoll. Denn wenn der Pfarrdienst eine besondere, um das Wort hier mal zu gebrauchen: ganzheitliche Lebensform ist, dann muss der Ehepartner sie auch mittragen. Das ist unter heutigen Lebensverhältnissen oft schwierig genug. Eine nicht nur konfessions-, sondern gar religionsverschiedene Ehe im Pfarrhaus aber muss m. E. den Dienst des Pfarrers beeinflussen, beeinträchtigen.
Als Pfarrer bezeuge ich das Heil, das Gott den Menschen in Jesus Christus, seinem Sohn, zueignet. Aber mein Ehepartner vertritt die Meinung, Gott habe keinen Sohn und für das ewige Heil müsse ich mich stattdessen zu Allah und seinem Propheten bekennen. – Wie passt das zusammen? Wie passt das zusammen, wenn denn die Auskunft vom ewigen Heil mehr ist als eine dienstliche Mitteilung, die ich Sonntags vormittags und Dienstag bis Samstag für acht Stunden zu vertreten habe und zu der ich außerhalb dieser Dienstzeiten meine eigene Meinung haben darf?
Wie kann ich Jugendlichen nahebringen, dass es gut und wichtig ist, in der entscheidendsten Frage des Lebens, der Zugehörigkeit zu Jesus Christus, mit seinem Partner übereinzustimmen, wenn ich selber das Gegenteil praktiziere?
Von den Kritikern der Entlassung wurde immer wieder das Argument der Liebe ins Feld geführt. Gerade von Christen, die sich auf einen Gott berufen, der die Liebe ist, und dessen oberstes Gebot für die Menschen die Liebe ist, müsste man doch Verständnis für die Liebe einer angehenden Pfarrerin erwarten.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier bewusst argumentativ geschummelt wird. Jeder weiß, dass christliche Liebe als Gottesliebe, Bruderliebe, Nächstenliebe und Feindesliebe nicht dasselbe ist wie erotische Liebe und eheliche Liebe. Im Sinne christlicher Liebe muss ich fragen: Entspricht es meiner Liebe zu Gott, ist es liebevoll gegenüber meinen christlichen Geschwistern, wenn ich ihnen ein solches eheliches Verhältnis zumute? Baut es auf? Dient es ihrem Glauben? Oder bereite ich den Kleinen und Schwachen Ärgernis (vgl. Matthäus 18, 6; Römer 14, 13ff)?
Niemand zwingt jemanden dazu oder verbietet jemandem, einen Menschen zu lieben und zu heiraten. Aber es zwingt auch niemand jemanden dazu, die Lebensform eines Pfarrers zu wählen. Doch wenn jemand sich dafür entscheidet – und das gilt für das eine wie für das andere –, dann sollte er sich auch die Konsequenzen klar machen.
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