Wer sich dafür interessiert, wie die FDP über den Mitgliederentscheid an der Basis diskutiert, kann sich bequem zu Hause dieses dreistündige Youtube-Video ansehen, das zeigt, wie am 4.11. Frank Schäffler und Volker Wissing in Koblenz aufgetreten sind. Man kann aber auch persönlich zu einer der Veranstaltungen hingehen, was ich gestern Abend gemacht habe.
Und zwar besuchte ich den Berliner Ortsverband Charlottenburg-City, der im Minna-Cauer-Saal des Rathauses - ein imposantes Gebäude aus dem 19. Jh. - zur Diskussion einludt. (Minna Cauer (1841-1922) ist eine Demokratin gewesen, die sich vor allem für das Frauenwahlrecht einsetzte; der nach ihr benannte Saal mit Holzsäulen und Brimborium war somit kein ganz schlecht gewählter Ort.)
Etwa dreißig Personen nahmen an der Veranstaltung teil. Für den Schäffler-Antrag setzte sich der Unternehmer Hans Bellstedt ein, den Antrag des Vorstandes vertrat Martin Lindner, einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. (Nicht zu verwechseln mit dem Generalsekretär Christian Lindner.)
Lindner erklärte, er teile die ordnungspolitische Kritik am ESM. Dennoch sei der ESM als Versuch zu würdigen, die Schuldenkrise allmählich unter Kontrolle zu bekommen und damit einen jähen Zusammenbruch zu verhüten. Der Patient, so führte er aus, müsse erst gerettet werden, bevor man ihm einen solideren Lebenswandel verordnen könne.
Ob das mit Hilfe des ESM gelingen werde, wisse er nicht; es sei aber wichtig, daß die FDP als Regierungspartei die Krisenbewältigung weiterhin beeinflussen könne. Sie habe in dieser Hinsicht bereits Bemerkenswertes geleistet wie etwa die Durchsetzung der Parlamentsbeteiligung, die Verhinderung von Eurobonds und anderes.
Würde sich aber die Partei gegen den ESM entscheiden, verlöre sie jeden Einfluss auf den Lauf der Dinge. Denn dann müsse sie unweigerlich die Regierung verlassen: die Kanzlerin würde nämlich nicht mit einer FDP-Führung zusammenarbeiten, die jegliche Autorität verloren habe und nach einer solchen Niederlage nicht mehr als verlässlich gelten würde. Zudem könne Angela Merkel es ihrer eigenen Partei, in der die Bedenken gegen den ESM ebenfalls sehr weit verbreitet seien, nicht antun, in dieser Frage auf die FDP zu hören, nachdem sie gegen dieselben Forderungen aus den eigenen Reihen taub gewesen ist.
Die FDP habe keinerlei Durchsetzungschance bei der Kanzlerin, da der ESM im Bundestag ohnehin eine Mehrheit habe, auch wenn die FDP dagegen stimmen sollte. Der ESM komme auf jeden Fall; es gehe nur noch darum, ob die FDP am weiteren Verlauf der Bemühungen um den Euro noch mitwirken könne oder nicht.
Es sei durchaus möglich, daß der Gang in die Opposition die FDP rettet, wie manche meinen, er könne sie aber auch spalten und zerstören.
Bellstedt bevorzugte es, über die Sache selbst, also den ESM, zu diskutieren, statt über mögliche politische Folgen des Mitgliederentscheids. Der ESM sei löchrig wie ein Käse. In Art. 10 des Entwurfs stehe die Möglichkeit, das Stammkapital zu erhöhen, womit sich auch die Haftungsanteile erhöhen würden, und somit die Deckelung des deutschen Beitrages bei gut 200 Mrd. € nicht zu halten sein würde.
An anderer Stelle heiße es, die Beteiligung der Banken werde "angestrebt". Bei dieser Formulierung sei nicht zu erwarten, daß viel daraus folgen werde.
In Art. 20 sei die Rede von einem "Reservefonds" in unbekannter Höhe und Art. 15 sehe den Ankauf von Staatsanleihen am Primärmarkt vor.
Der ESM sei unbefristet und unkündbar und verewige somit den moral hazard.
Mit einem Parteibeschluß im Rücken sei es der FDP-Führung durchaus möglich, die Kanzlerin zum Nachverhandeln zu bewegen.
Man müsse jetzt eine rote Linie gegen die Verschuldungspolitik ziehen. Hilfsmaßnahmen seien nur akzeptabel, wenn sie punktuell, befristet und kündbar sind.
Zusätzlich zu den Ausführungen der Hauptredner habe ich mir aus der Diskussion folgende einschlägige Argumente notiert:
Zugunsten des Vorstandsantrages
Neun Anwesende haben sich zu Wort gemeldet, einer sprach sich für den Schäffler-Antrag aus, sieben für den Vorstandsantrag und einer erklärte sich noch unentschieden.
Allerdings bekam Bellstedt am Ende mehr Applaus als Lindner.
Kommentar
Mit dem ESM verknüpft sich die vage Hoffnung, ohne große Katastrophe durch die Krise hindurchzukommen. Überzeugt hat mich das nicht sehr.
Ich glaube allerdings dem Vorstandsargument, daß der ESM in Kraft gesetzt wird, gleichgültig, wie sich die FDP entscheidet. Ich glaube andererseits nicht, daß die Mitwirkungsmöglichkeiten der Partei in dieser Regierung noch viel wert sind.
Der Winter einer langen Oppositionszeit wird ebenso unvermeidlich auf die FDP zukommen wie der ESM auf das Euroland.
Und zwar besuchte ich den Berliner Ortsverband Charlottenburg-City, der im Minna-Cauer-Saal des Rathauses - ein imposantes Gebäude aus dem 19. Jh. - zur Diskussion einludt. (Minna Cauer (1841-1922) ist eine Demokratin gewesen, die sich vor allem für das Frauenwahlrecht einsetzte; der nach ihr benannte Saal mit Holzsäulen und Brimborium war somit kein ganz schlecht gewählter Ort.)
Etwa dreißig Personen nahmen an der Veranstaltung teil. Für den Schäffler-Antrag setzte sich der Unternehmer Hans Bellstedt ein, den Antrag des Vorstandes vertrat Martin Lindner, einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. (Nicht zu verwechseln mit dem Generalsekretär Christian Lindner.)
Lindner erklärte, er teile die ordnungspolitische Kritik am ESM. Dennoch sei der ESM als Versuch zu würdigen, die Schuldenkrise allmählich unter Kontrolle zu bekommen und damit einen jähen Zusammenbruch zu verhüten. Der Patient, so führte er aus, müsse erst gerettet werden, bevor man ihm einen solideren Lebenswandel verordnen könne.
Ob das mit Hilfe des ESM gelingen werde, wisse er nicht; es sei aber wichtig, daß die FDP als Regierungspartei die Krisenbewältigung weiterhin beeinflussen könne. Sie habe in dieser Hinsicht bereits Bemerkenswertes geleistet wie etwa die Durchsetzung der Parlamentsbeteiligung, die Verhinderung von Eurobonds und anderes.
Würde sich aber die Partei gegen den ESM entscheiden, verlöre sie jeden Einfluss auf den Lauf der Dinge. Denn dann müsse sie unweigerlich die Regierung verlassen: die Kanzlerin würde nämlich nicht mit einer FDP-Führung zusammenarbeiten, die jegliche Autorität verloren habe und nach einer solchen Niederlage nicht mehr als verlässlich gelten würde. Zudem könne Angela Merkel es ihrer eigenen Partei, in der die Bedenken gegen den ESM ebenfalls sehr weit verbreitet seien, nicht antun, in dieser Frage auf die FDP zu hören, nachdem sie gegen dieselben Forderungen aus den eigenen Reihen taub gewesen ist.
Die FDP habe keinerlei Durchsetzungschance bei der Kanzlerin, da der ESM im Bundestag ohnehin eine Mehrheit habe, auch wenn die FDP dagegen stimmen sollte. Der ESM komme auf jeden Fall; es gehe nur noch darum, ob die FDP am weiteren Verlauf der Bemühungen um den Euro noch mitwirken könne oder nicht.
Es sei durchaus möglich, daß der Gang in die Opposition die FDP rettet, wie manche meinen, er könne sie aber auch spalten und zerstören.
Bellstedt bevorzugte es, über die Sache selbst, also den ESM, zu diskutieren, statt über mögliche politische Folgen des Mitgliederentscheids. Der ESM sei löchrig wie ein Käse. In Art. 10 des Entwurfs stehe die Möglichkeit, das Stammkapital zu erhöhen, womit sich auch die Haftungsanteile erhöhen würden, und somit die Deckelung des deutschen Beitrages bei gut 200 Mrd. € nicht zu halten sein würde.
An anderer Stelle heiße es, die Beteiligung der Banken werde "angestrebt". Bei dieser Formulierung sei nicht zu erwarten, daß viel daraus folgen werde.
In Art. 20 sei die Rede von einem "Reservefonds" in unbekannter Höhe und Art. 15 sehe den Ankauf von Staatsanleihen am Primärmarkt vor.
Der ESM sei unbefristet und unkündbar und verewige somit den moral hazard.
Mit einem Parteibeschluß im Rücken sei es der FDP-Führung durchaus möglich, die Kanzlerin zum Nachverhandeln zu bewegen.
Man müsse jetzt eine rote Linie gegen die Verschuldungspolitik ziehen. Hilfsmaßnahmen seien nur akzeptabel, wenn sie punktuell, befristet und kündbar sind.
Zusätzlich zu den Ausführungen der Hauptredner habe ich mir aus der Diskussion folgende einschlägige Argumente notiert:
Zugunsten des Vorstandsantrages
der ESM habe im wesentlichen die gleiche Funktion wie der IWF; mit ihm nehme das Euroland die Verantwortung für ihre Stabilität in die eigenen Hände. man brauche einen unbefristeten Rettungsmechanismus, da Angreifer sonst nur auf das Ende der Frist warten würden - ähnlich wie die Taliban auf den Abzug der westlichen Armeen. die Achse Deutschland - Frankreich würde zerbrechen, wenn sich die Eurozone in zwei Teile zerlegt. mit einer Ablehnung des ESM hätte Deutschland keinen Einfluß mehr auf das weitere Geschehen. die kaufmännischen Vorstellungen von Verschuldung und Haftung, wie sie dem Schäffler-Antrag zugrundeliegen, seien nicht auf Volkswirtschaften übertragbar; das sei fehlgeleitetes betriebswirtschaftliches Denken. der Schäffler-Antrag sei zu rigoros, indem er mögliche Mittelwege ausschließe, wie etwa Rettungsmechanismen mit langen Fristen. ein Diskussionsteilnehmer äußerte den Verdacht, die 53 Professoren, die Schäffler unterstützen, seien aus wissenschaftlicher Neugierde am finanziellen Kollaps interessiert.
Zugunsten des Schäffler-Antragesfür die FDP sei es besser, an der Regierung zu sein als in der Opposition. der Antrag der Basis würde eine Spaltung zwischen Partei und Fraktion herbeiführen. die FDP würde in der Öffentlichkeit nicht als Held, sondern als Problemfall dastehen.
Der ESM beseitige jegliche weitere Gestaltungsmöglichkeit. Die Mehrheit der Deutschen sei gegen die Rettungspolitik. Stimmt die FDP dem ESM zu, werde sie für dessen unerfreuliche Folgen verantwortlich gemacht werden. Stimmt sie dagegen, könne sie den ESM kritisieren, sobald nachteilige Folgen auftreten.
Neun Anwesende haben sich zu Wort gemeldet, einer sprach sich für den Schäffler-Antrag aus, sieben für den Vorstandsantrag und einer erklärte sich noch unentschieden.
Allerdings bekam Bellstedt am Ende mehr Applaus als Lindner.
Kommentar
Mit dem ESM verknüpft sich die vage Hoffnung, ohne große Katastrophe durch die Krise hindurchzukommen. Überzeugt hat mich das nicht sehr.
Ich glaube allerdings dem Vorstandsargument, daß der ESM in Kraft gesetzt wird, gleichgültig, wie sich die FDP entscheidet. Ich glaube andererseits nicht, daß die Mitwirkungsmöglichkeiten der Partei in dieser Regierung noch viel wert sind.
Der Winter einer langen Oppositionszeit wird ebenso unvermeidlich auf die FDP zukommen wie der ESM auf das Euroland.
Kallias
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