6. November 2011

Kurioses, kurz kommentiert: Deutschland will verstärkt die Kerntechnologie fördern. Ja, Sie haben richtig gelesen. Nur ist es hinausgeworfenes Geld

Die Bundesregierung will zahlreiche europäische Forschungsprojekte kürzen, um 1,3 Milliarden Euro Mehrkosten für den internationalen Kernfusionsreaktor Iter aufbringen zu können. (...) Strom könne zwar nicht vor 2050 produziert werden, doch der Anstieg des Energieverbrauchs mache es nötig, die Technologie zu erproben, heißt es im Forschungsministerium.
Aus einer Vorabmeldung zum "Spiegel" der kommenden Woche (45/2011 vom 7. 11. 2011).

Kommentar: Daß der Kernfusion sehr wahrscheinlich die Zukunft in der Energieversorgung gehört, wird weithin angenommen. Die Kosten für die Entwicklung dieser neuen Technologie, die außerordentliche Ansprüche stellt, sind allerdings so hoch, daß sie kein Land allein bewältigen kann.

An dem Projekt Iter - der Versuchsanlage im französischen Cadarache - sind deshalb die Europäische Atomgemeinschaft, Japan, Rußland, China, Südkorea, Indien und die USA beteiligt. Deutschland trägt als Mitglied der Europäischen Atomgemeinschaft einen Teil der Kosten.

Aber warum in aller Welt tragen wir noch diesen Anteil? Welche kuriose Unvernunft reitet die Bundesregierung, wenn sie sich nun gar, zum Nachteil anderer Forschungsgebiete, an den gestiegenen Kosten beteiligen will? Sie muß bestehende Verträge erfüllen, natürlich. Ansonsten sollte sie raus aus dieser internationalen Kooperation; so schnell und so umfassend, wie es auch immer geht.

Deutschland ist bekanntlich in einem Akt kollektiver Besoffenheit aus der Nutzung der Atomenergie ausgestiegen. Das bedeutet nicht nur, daß alle Kernkraftwerke stillgelegt werden; unabhängig davon, wie sicher sie sind und wie kostengünstig sie Strom liefern. Sondern es bedeutet auch, daß die wissenschaftliche Infrastruktur der Kerntechnologie in Deutschland nach und nach wegbricht.

In einem Land, in dem die Kerntechnik abgeschafft und verteufelt wird, gibt es für Forscher keinen Anreiz mehr, auf diesem Gebiet wissenschaftlich tätig zu sein. Bereits jetzt sind die Studentenzahlen in diesem Bereich niedrig; bald wird er an den Universitäten und Technischen Hochschulen kaum noch eine Rolle spielen (siehe "Unser Bildungssystem ist leistungs- und technikfeindlich". Deutschlands wahre Bildungskatastrophe und die neuen gesellschaftlichen Werte; ZR vom 6. 8. 2010, insbesondere den dort verlinkten Bericht des "Spiegel" über das Studium der Kerntechnik).

Wer in diesem Bereich forschen will, der wird ins Ausland gehen. Deutsche Studenten wären nicht zurechnungsfähig, wenn sie einen zum Aussterben verurteilten Beruf studieren würden. Auch sie werden auswandern oder sich einem anderen Studium zuwenden.

Wenn Mitte dieses Jahrhunderts die Fusions-Technologie serienreif sein sollte, dann wird ihre Nutzung nicht in Deutschland stattfinden. Wir werden dafür schlicht nicht das Knowhow und nicht die Fachleute haben. Denn auch wenn in dieser Technik Vieles neu sein wird (unter anderem ist sie noch einmal um Größenordnungen sicherer als die bereits sehr sichere Technik der Kernspaltung), basiert sie doch auf denselben wissenschaftlichen Grundlagen.

Die Aussteigernation wird diese Grundlagen in einigen Jahrzehnten nicht mehr haben. Es gibt deshalb für Deutschland keinen vernünftigen Grund, Iter weiter mit Milliardenbeträgen zu fördern.

Es ist herausgeworfenes Geld. Wir werden, wenn es so weit ist, die aus Fusionsreaktoren gewonnene Energie im Ausland einkaufen - so, wie wir bereits jetzt Atomstrom aus Frankreich und aus dem maroden tschechischen Reaktor Temelin kaufen (siehe Deutsche Götterdämmerung. Wie man Atomstrom wäscht, und wie man seine Wirtschaft vor die Wand fährt; ZR vom 19. 9. 2011).
Zettel



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