26. November 2011

Marginalie: Des Freiherrn neues Image. Rätsel Guttenberg

Gewiß können Sie sich noch an diesen Herrn erinnern:

Das ist das "Offizielle freie Pressefoto von Karl-Theodor zu Guttenberg"; zu finden auf der "Offiziellen Homepage von Karl-Theodor zu Guttenberg". Soviel "offiziell" muß schon sein.

So kennen wir ihn: Den distinguierte Freiherrn, every inch a gentleman, das gegelte dunkle Haar zurückgekämmt, mit der seriösen Brille und der dezenten Krawatte.

Und nun sehen Sie sich bitte dieses Foto Guttenbergs an, das vor wenigen Tagen auf einer Sicherheitskonferenz im kanadischen Halifax aufgenommen wurde. Ein flotter junger Mann, brillenlos, das braune Haar keck nach vorn frisiert, die sportliche Tasche um die Schulter geworfen.



Als ich das gesehen habe, hatte ich die Assoziation "Hochstapler". Von Hochstaplern kennt man diese Bilder, auf denen sie einmal so und einmal so aussehen; mit den Alias-Namen darunter, unter denen sie jeweils aufgetreten sind.

Guttenberg ist kein Hochstapler. Ihm wurde der Doktorgrad entzogen; jedoch verurteilt wurde er bisher nicht. Aber was in aller Welt bringt diesen Mann dazu, genau dieses Image des Hochstaplers zu bedienen, indem er sich innerhalb weniger Monate ein völlig geändertes Äußeres gibt?

Der Mann ist ein Rätsel. Er hat auf eine abenteuerliche Weise an Behauptungen über das Zustandekommen seiner Dissertation festgehalten, die ihm kein vernünftiger Mensch abnehmen konnte. Was dachte er sich dabei?

Er war von der politischen Bühne verschwunden; nun ist er also wieder da. Er hat der "Zeit" ein Interview gegeben. Und man mag es nicht glauben - auch darin tischt er wieder die Geschichte von den versehentlichen Plagiaten auf:
"Wenn ich die Absicht gehabt hätte, zu täuschen, dann hätte ich mich niemals so plump und dumm angestellt, wie es an einigen Stellen dieser Arbeit der Fall ist." Es sei kein Betrug gewesen.

Auf die Frage, warum er acht Monate nach dem Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe nicht einfach sage: Ich habe abgeschrieben, antwortet Guttenberg: "Ich sage es doch. Es ist nur eine Frage, wie man das sagt. Weil es ein Unterschied ist, ob man das absichtlich macht oder ob das Abschreiben das fatale Ergebnis einer chaotischen und ungeordneten Arbeitsweise ist. Das ist für mich ganz wichtig, weil es auch etwas mit der eigenen Ehre zu tun hat."
Es ist nicht zu fassen. Guttenberg scheint gar nicht bewußt zu sein, daß er sich mit dieser Behauptung für jedes verantwortliche Amt disqualifiziert - wie kann jemand Minister oder auch nur Abgeordneter sein, der eine solche "chaotische und ungeordnete Arbeitsweise" hat? Wie kann man jemanden in irgendeinem Beruf ernst nehmen, der nicht mehr weiß, was er selbst geschrieben und was er aus irgendeiner Quelle geschöpft hat?

So, wie er sich selbst beschreibt, ist der Freiherr zu Guttenberg allenfalls für das Amt eines Hilfsportiers geeignet; allerdings wird man ihm auch dort wegen seiner chaotischen Arbeitsweise bald feuern.

Er will seine "eigene Ehre" retten und stellt sich zu diesem Zweck als ein unfähiger Chaot dar. Aus dem Kommentar des Chefs des Ressorts Geisteswissenschaften der FAZ, Jürgen Kaube:
Denn unter Ausstoßen von Zurechtweisungen an einen Staatsrechtler, der ihn einen Betrüger nennt, entwickelt Guttenberg eine interessante neue Rechtsfigur. Man könnte sie den "Bewusstlosig-keitsnachweis durch Unwahrscheinlichkeit der Tat" nennen. Im Kern lautet das Argument: Wer eine Tat idiotisch begeht, kann, sofern es sich nicht um einen Idioten handelt, sie gar nicht begangen haben.



Ich habe mich im Februar und März sehr eingehend mit diesem Fall befaßt und im Einzelnen zu zeigen versucht, wie Guttenberg sich herauszureden versuchte; wie er bei den Versuchen, sich zu retten, eine Unwahrscheinlichkeit an die andere reihte.

Ein Höhepunkt dieser Taktik war seine Kelkheimer Rede am 21. Februar (siehe Guttenbergs Kelkheimer Rede. Der Text im Wortlaut und eine Analyse von Guttenbergs Rhetorik; ZR vom 22. 2. 2011); ein anderer seine Verteidigung vor dem Bundestag kurz danach (siehe Der Lügenbaron vor dem Bundestag. Tartuffe Guttenberg; ZR vom 23. 2. 2011).

Es war alles derart konstruiert, derart an den Haaren herbeigezogen, daß man soviel Dreistigkeit kaum fassen konnte.

Was denkt dieser Mann sich? Glaubt er, daß Chuzpe schließlich siegt? Daß die Leute, wenn er seine Story nur eisern wiederholt, irgendwann zu glauben beginnen, sie sei wahr? Niemand in der Kommission der Universität Bayreuth, die sich sehr sorgfältig mit dem Fall befaßte, hat ihm seine Chaoten-Geschichte abgenommen.

Ist es die Lebenserfahrung des reichen, immer erfolgreichen, von allen hochgeachteten Aristokraten, die Guttenberg derart überheblich und realitätsblind gemacht hat? Jürgen Kaube:
Ist der Baron zu Guttenberg ein Fall für die politische Wissenschaft, für die Psychologie der Angeberei, für die Medientheorie des journalistischen Steigbügelhalter-tums oder für die Kulturgeschichte des Hochstaplers?
Jedenfalls ist Deutschland noch einmal davongekommen. Vor einem Jahr noch galt Guttenberg als einer der ernsthaftesten Anwärter auf das Amt des Bundeskanzlers.
Zettel



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