26. November 2011

Europas Krise (6): Der Wind wird eisiger. Ein Gastbeitrag von Erling Plaethe


Das Debakel um die Auktion zehnjähriger deutscher Staatsanleihen zieht weite Kreise. In Japan, London und Frankfurt stürzen die Kurse an den Börsen ab. Die Londoner City bereitet sich auf einen Zusammenbruch der Eurozone vor.

Doch Angela Merkel weiß - trotz oder gerade wegen dieser neuerlichen Zuspitzung der Krise - mit ihrer Prinzipien-festigkeit die deutsche Wirtschaft und den deutschen Wähler in großer Mehrheit hinter sich.

Seit Wochen wird mit Griechenland um die für das Land harten Sparmaßnahmen gerungen. Aber das Land, welches die Geduld seiner Retter immer wieder aufs Neue stark in Anspruch nimmt, sagt nein. Es will nicht noch mehr sparen, aber trotzdem Hilfen in Anspruch nehmen.

Dass die Bundeskanzlerin sich inzwischen mit Nicolas Sarkozy darauf geeinigt hat, die EU-Verträge ändern zu wollen, könnte in diesem Zusammenhang durchaus notwendig werden, um sich eventuell zusätzliche Handlungsoptionen zu eröffnen. Wie die Änderungen der Verträge ohne Volksabstimmungen in Ländern, die dies vorsehen, durchgesetzt werden sollen, ist noch unklar; ebenso, wie Großbritannien reagieren wird, das wegen der von der Kanzlerin und Sarkozy gewünschten und für die Londoner City verheerenden Tobin-Steuer erheblich unter Druck gesetzt wird.

Ansonsten wird der Handlungsspielraum im Umgang mit der Eurokrise für die EU-Eliten immer kleiner und der Wind, welcher der Kanzlerin entgegenweht, immer eisiger. Kein Land in Europa hat mehr Verständnis für ihre unnachgiebige Haltung; auch Kommissionspräsident Manuel Barroso nicht. Dieser fühlt sich sogar verraten. Deutschland befindet sich in einer isolierten Situation und agiert mit einem sehr hohen Risiko. Vielleicht zu hoch.

Sollte Europa in eine Depression fallen und/oder der Euro als Währung zusammenbrechen, weil der point of no return überschritten wurde, ohne vorher einen letzten (und fragwürdigen) Trumpf zu ziehen, wäre der aussenpolitische Schaden immens. Die wohl einzige Alternative zu dieser Entwicklung wäre die Rückkehr zu nationalen Währungen. Aber sollte diese in Betracht gezogen werden, dann sicher erst, nachdem der Euro sich weginflationiert hat.

Wie wichtig eine eigene Währung ist, nicht nur für Defizitländer, wird in dieser Krise immer deutlicher. Für den Euro ist sie die Bewährungsprobe, der Stresstest sozusagen. Diesen hat der Euro nicht bestanden. Er hat sich als nicht so hart wie die D-Mark erwiesen.

Auch der EFSF konnte bisher nicht wirksam installiert werden, was aber spätestens nach der misslungenen Versteigerung deutscher Staatsanleihen nicht mehr verwundert. Dadurch ist die Zukunft des ESM als permanente Fortsetzung des EFSF, ungewiss. Die Märkte gehen von einem kompletten Kollaps des Euro aus und ziehen sich aus Europa zurück. Sie glauben nicht mehr daran, dass Deutschland am Ende des Tages einen Zusammenbruch in jedem Fall verhindern will. Das schreibt jedenfalls der Telegraph.

Auch hier wirkt der Markt, indem er die Dinge zurechtrückt. Bekommen die Staaten am Markt kein Geld, müssen sie zum Bürger gehen. Sie müssen ihm das Geld direkt und zeitnah für ihre sozialen Wohltaten aus der Tasche ziehen. Es bleibt abzuwarten, wie lange es dann noch Mehrheiten gegen Steuersenkungen und Ausgabenkürzungen gibt.

Zu befürchten ist allerdings, dass dieser aufklärerische Lernprozess nur bei wenigen stattfinden wird. Für den Reflex, den Raubtierkapitalismus verantwortlich zu machen, ist das Feld ja bereits hinlänglich bestellt. Auch wenn es zum Totalausfall kommt - die deregulierten Märkte sind angeblich das Problem. In diesem planwirtschaftlichen Ansatz hat eine harte Währung, mit wie vielen Teilnehmern auch immer, einfach keinen Bestand. Das gilt natürlich auch für Deutschland.

Den Verschwörungstheorien von Günther Lachmann mag ich nicht folgen. Viel plausibler erscheinen mir dagegen die Befürchtungen der Briten hinsichtlich eines Verschwindens ihres Pfunds; zumal Wolfgang Schäuble dies bereits angekündigt hat. Warum er so etwas Törichtes tut, bleibt wohl sein Geheimnis.

Sollte das alles gut gehen und der Euro diese Krise überstehen, wird dieses Europa, das jetzt durch finanziellen Zwang zusammengepresst wird, bei nachlassendem Druck wieder auseinanderfallen. Wenn dann jedes Land für sich Bilanz zieht, hat Deutschland hoffentlich noch so etwas wie den einen oder anderen Freund. Oder zumindest keine Feinde.

Michael Stürmer schreibt in der "Welt": "Die deutsche Frage ist wieder da".

Das ist auch mein Eindruck, und ich hätte gern drauf verzichtet. Auch das geeinte Deutschland ist eine stolze Wirtschaftsmacht geworden; und es gibt keinen Grund, sich ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen, weil man erfolgreich ist. Aber die Einführung des Euro hat die Zukunft in die Gegenwart geholt. Nicht unsere Kinder allein werden jetzt unsere Probleme bekommen; diese fallen auf die Verursacher zurück. Das nenne ich mal Gerechtigkeit.
Erling Plaethe



© Erling Plaethe. Für Kommentare bitte hier klicken. Abbildung: "Europa auf dem Stier" von Hendrik van Balen (1573 - 1632). Gemeinfrei, da das Copyright erloschen ist.