7. November 2011

Zitat des Tages: "Maximal 15 Menschen können über einen eventuellen Angriff Israels kompetent urteilen". Nebst einer Anmerkung zur Krise Europas

In terms of democratic principles, the public debate over a prospective Israeli attack on Iranian nuclear facilities is justified, as long as it doesn't cause Israel diplomatic damage or require revealing secret information. But the current debate is actually a ritualized and pointless endeavor.

In effect, it's impossible to take a serious position on the matter without full knowledge of the facts. (...)

I am inclined to estimate that not more than 10 or 15 people in all of Israel know all the varied information that is essential for a level-headed decision on the Iranian issue, including the prime minister, defense minister and two or three advisers and professionals.


(Hinsichtlich demokratischer Prinzipien ist die öffentliche Debatte über einen möglicherweise bevorstehenden Angriff Israels auf iranische Nuklearanlagen gerechtfertigt, solange sie Israel keinen diplomatischen Schaden verursacht oder geheime Informationen enthüllt. Aber die gegenwärtige Debatte ist in Wahrheit eine ritualisierte und zwecklose Veranstaltung.

Es ist im Grunde unmöglich, ohne vollständige Kenntnis der Fakten in dieser Frage seriös Position zu beziehen. (...)

Ich neige zu der Schätzung, daß nicht mehr als 10 bis 15 Menschen im gesamten Israel alle die vielfältigen Informationen kennen, die für eine nüchterne Entscheidung zum Iran-Problem unabdingbar sind; dazu gehören der Premierminister, der Verteidigungsminister und zwei oder drei Berater und Fachleute.)
Der 83jährige Doyen der israelischen Politologie Yehezkel Dror heute in einem Kommentar in der Tel Aviver Zeitung Haaretz. Überschrift: "Here's how to decide whether to support an attack on Iran" - "Wie über die Unterstützung eines Angriffs auf den Iran entschieden werden sollte".

Kommentar: Dror ist nicht nur ein emeritierter Professor, sondern war auch im israelischen Verteidigungsminsterium und als Berater verschiedener israelischer Premierminister tätig. Er kennt also die Materie von beiden Seiten: Aus der Perspektive der verantwortlichen Politiker und aus derjenigen der Öffentlichkeit.

In der Öffentlichkeit gibt es ein berechtigtes Bedürfnis, bei einer solchen Entscheidung mit möglicherweise weitreichenden Konsequenzen mitreden, am besten mitentscheiden zu können. Aber wie kann eine solche Entscheidung überhaupt getroffen werden?

Zahllose Sachverhalte sind zu berücksichtigen; vom Stand des iranischen Nuklearprogramms über die internationale diplomatische Lage, die Haltung entscheidener Regierungen - wie der amerikanischen und der Regierungen der arabischen Staaten - bis hin zu den militärischen Details, die maßgeblich dafür sind, ob ein solches Unternehmen gelingt oder möglicherweise im Desaster endet. Dazu kommt die Prognose darüber, wie der Iran auf einen solchen Angriff reagieren würde.

Das kann in der Tat nicht die Öffentlichkeit, das können noch nicht einmal informierte Journalisten und Politologen hinreichend beurteilen. Zum einen, weil die Materie so außerordentlich komplex ist; zum anderen, weil viele der relevanten Informationen geheim sind.

Der emeritierte Professor Dror kann etwas sagen, was kein aktiver Politiker auszusprechen wagen würde: Das Volk kann da schlicht nicht mitreden. Es muß seiner Regierung vertrauen. Zum Glück habe Israel eine Regierung, schreibt Dror, die über die Kompetenz, die Urteilsfähigkeit und die erforderliche Bereitschaft verfüge, das für Israels Sicherheit Erforderliche zu tun.

Es gebe andere Politikfelder, fügt Dror hinzu, in denen die Bevölkerung durchaus mitentscheiden könne; den Friedensprozeß zum Beispiel. Denn dort gehe es um Abwägungen - etwa die Frage, welche Opfer Israel für einen Frieden zu bringen bereit ist. Das sind Streitpunke jenseits dessen, was nur Fachleute beurteilen können.



Es liegt nahe, eine Parallele zu den ökonomischen und finanzpolitischen Entscheidungen zu ziehen, die in diesen Wochen in Europa fallen.

Auch dort geht es um eine komplexe Materie, die nur wenige Fachleute beherrschen. Ich habe in diesem Blog bisher nicht Stellung dazu bezogen, ob die Entscheidungen der deutschen und der französischen Regierung in der Griechenland-Krise richtig waren und sind. Ich sehe mich außerstande, das zu beurteilen.

Ich kann da nur die Antwort geben, die Dror den Bürgern Israels in Bezug auf einen möglichen Angriff auf den Iran anrät: "I don't have the necessary information to express an opinion" - mir fehlt die erforderliche Information, um eine Meinung äußern zu können.

Andererseits trägt diese jetzige Krise aber auch Züge, die eher dem Thema des Friedensprozesses in Bezug auf Israel vergleichbar sind. Die Frage, wie man mit den Schulden Griechenlands fertig wird, ohne daß das europäische Bankensystem ins Straucheln gerät und der Euro in Mitleidenschaft gezogen wird - das ist die eine Ebene. Diejenige, die aus meiner Sicht nur von Fachleuten beurteilt werden kann. Die andere Ebene ist die Krise Europas, die sich in der griechischen Schuldenkrise manifestiert. Hier geht es, wie im Fall des Friedensprozesses, um Wert-, um Richtungsentscheidungen.

Was für ein Europa wollen wir überhaupt? Welchen Platz wollen wir für Deutschland in diesem Europa? Welches sind eigentlich unsere deutschen Interessen in Europa? Das sind Fragen, die wir Bürger nicht den Fachleuten überlassen dürfen. Die Serie zur Krise Europas, die ich in der vergangenen Woche begonnen habe, soll dazu beitragen, die Gedanken zu diesen Fragen ein wenig zu ordnen.
Zettel



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