18. November 2011

Marginalie: Diese Nachricht lesen Sie so früh nur in ZR. Und sie ist auch noch lesenswert

Wer zur richtigen Presse, zu den Profi-Medien gehört, der wird von den Akteuren der Politik ständig mit Informationen versorgt. Verbunden damit, wie mit diesen Informationen zu verfahren ist, wenn man denn das gegenseitige Vertrauen respektiert. Man kann es natürlich brechen; aber dann wird man eben nicht mehr des Vertrauens gewürdigt.

"Unter Drei" zum Beispiel bedeutet, daß man von einer Information Gebrauch machen, sie aber ihrem Urheber nicht zuschreiben darf. "Wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet" sagte man dann früher. Heute heißt es salopper: "In Berlin wird gemunkelt", oder: "Wie man hört", oder "ein enger Berater der Kanzlerin meint"; dergleichen.

Sodann erhalten Journalisten Informationen mit Sperrfristen. Gelegentlich widerfährt das auch mir Nicht-Journalisten. Kürzlich wurde mir etwas mitgeteilt, aber mit der Maßgabe, es erst dann publik zu machen, wenn "Spiegel-Online" berichtet haben würde. Ich habe zurückgefragt, wozu ich es denn dann noch bringen soll, wenn man es sogar schon bei "Spiegel-Online" lesen kann.



Gestern habe ich eine Meldung mit Sperrfrist erhalten, die Sie vielleicht interessiert. Die Sperrfrist ist heute 7.00 Uhr; und wenn alles klappt, dann wird dieser Artikel automatisch um 7.01 Uhr publiziert, wenn ich noch schlafe. So früh werden Sie diese Nachricht also nach menschlichem Ermessen nirgendwo sonst lesen.

Die Meldung könnte Sie interessieren, weil sie zu dem Artikel paßt, der gestern in ZR stand (nach einer kleinen Schreibpause, für die ich um Nachsicht bitte): Die CDU rückt nach links. Warum verliert sie dadurch nicht Wähler an die FDP? Ein Paradox, eine These. Und eine Hoffnung; ZR vom 17. 11. 2011. Ich hatte dort auf Burkhard Hirsch aufmerksam gemacht, einen der glaubwürdigen Politiker der alten FDP; und auf Frank Schäffler, einen der glaubwürdigsten Politiker der heutigen FDP.

Diese beiden nun haben ein Schreiben an die Mitglieder der FDP verfaßt; betreffend den Mitgliederentscheid, und eben versehen mit dieser Sperrfrist 18. November, 7.00 Uhr.

Ich dokumentiere jetzt dieses Schreiben, damit Sie sich ein Urteil bilden können, und füge nur erläuternd hinzu, daß dieser Brief den Antrag ("Antrag A") unterstützt, den Hirsch, Schäffler und andere den Mitgliedern der FDP zur Abstimmung vorgelegt haben. Sie finden ihn hier dokumentiert; den Gegenantrag der Parteiführung ("Antrag B") können Sie hier lesen.

Hier also das Schreiben von Hirsch und Schäffler:
Berlin und Düsseldorf, den 18. November 2011

Liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde!

Natürlich sind wir Europäer. Natürlich hat Deutschland in Europa eine besondere Verantwortung. Natürlich erzwingt die Globalisierung eine immer engere Zusammenarbeit. Das ist völlig streitlos. Die Auseinandersetzung in der FDP geht um ein ganz anderes Problem.

Es geht darum, dass die vereinheitlichte Währung rechtliche, wirtschaftliche und monetäre Verwerfungen verursacht hat. Der Maastrichter Vertrag wurde nicht eingehalten. Die exekutiven Mittel zu seiner Durchsetzung waren wirkungslos. Es geht darum, ob nun erneut versucht werden soll, den schädlichen Folgen des Vertragsbruchs mit exekutiven Mitteln zu begegnen. Das wollen die Unterstützer von Antrag B in Form einer zentralen europäischen Wirtschaftsbürokratie. In Griechenland werden uns ihre Funktionsweise und ihre politischen Folgen vorgeführt.

Die von uns gewollte Alternative hierzu ist die marktwirtschaftliche Lösung: Jeder Staat haftet für seine eigenen Schulden. Wir bewahren den Zusammenhang zwischen Risiko und Gewinnen sowie Verlust und Haftung. Diese marktwirtschaftliche Lösung funktioniert, sofern ein Staat aus der Euro-Zone ausscheiden kann, wenn er die Stabilitätskriterien nicht erfüllen kann oder will. Mehr als 50 Professoren der Volkswirtschaft unterstützen daher unseren Antrag A in einem offenen Brief, darunter Hans-Werner Sinn und Roland Vaubel. Wir verwechseln dabei die Euro-Zone nicht mit der Europäischen Union oder gar Europa. Zur EU und zu Europa gehören gute europäische Länder, die nicht der Währungsgemeinschaft angehören.

Der "Europäische Stabilitätsmechanismus" (ESM) wird das gestörte Verhältnis zwischen marktwirtschaftlichen und exekutiven Mitteln weiter verschlechtern. Mit der Bundesbank sind wir einer Meinung, dass der ESM den Anreiz zu einer soliden Haushaltspolitik erheblich schwächt. Wir betreten mit dem ESM das Terrain der Transfer-Union.

Der ESM destabilisiert die Währung. Denn er tritt in Konkurrenz zur Europäischen Zentralbank (EZB) und macht ihre Zinspolitik wirtschaftlich gegenstandslos. Das bedeutet den definitiven Bruch des Versprechens, dass die Währungsstabilität von einer politisch unabhängigen EZB gewahrt werden muss. Der ESM wird zur unkontrollierten und politisch gesteuerten Zentralbank der Euro-Zone. Die Euro-Staaten sind seine Zwangsmitglieder – zeitlich unbegrenzt! So beutet der ESM die Bonität seiner Zwangsmitglieder zugunsten der Schuldnerstaaten aus. Dies strapaziert die Fundamente der Währungsunion nicht nur erheblich. Es zerstört sie unwiederbringlich.

Unbegründet ist die geschürte Angst, die Annahme unseres Antrags A würde zu einem alsbaldigen Kollaps des Währungssystems führen. Wir wenden uns allein gegen den ESM. Der schon bestehende EFSF-Schirm kann noch bis 2013 neue Hilfen vergeben. Danach nimmt er nur noch die Rückzahlung der Hilfen nach dem vereinbarten Zeitplan in Empfang. Seine Restlaufzeit bietet jedem Land ausreichend Zeit, sich mit Reformen vorzubereiten.

Der Frieden in Europa war historisch immer in Gefahr, wenn zentralistische Lösungen durchgesetzt werden sollten. Die friedensschaffende Marktwirtschaft ist das Fundament der europäischen Idee. Wir bitten Sie daher, liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde, durch die Unterstützung des Antrages A eine klare Flagge für eine liberale Politik der Vernunft, der marktwirtschaftlichen Verantwortung und der europäischen Zusammenarbeit zu zeigen. Denn die FDP wird nur erfolgreich sein, wenn sie ihren eigenen Prinzipien folgt.

Mit freundlichen Grüßen

Burkhard Hirsch und Frank Schäffler



Meine Meinung zu dieser Frage ist den Lesern von ZR bekannt, und ich habe sie auch gestern wieder dargelegt:

Welcher der vorgeschlagenen Auswege aus der Krise Europas der beste, welcher möglicherweise falsch ist, das ist außerordentlich schwer zu sagen. In einer kaum beherrschbaren Situation kann jede Entscheidung sich als Glückstreffer erweisen oder als fatal. In einer unsicheren Lage gibt es keine sicheren Antworten.

Zu mißtrauen ist allen, die behaupten, sie wüßten, was man nur einfach machen muß, um aus der Krise zu kommen. Deshalb ist jede Diskussion zu begrüßen. Deshalb begrüße ich die Initiative von Frank Schäffler und Burkhard Hirsch.

Ich begrüße sie vor allem auch deshalb - auch das habe ich gestern erläutert -, weil eine solche offene und ehrliche, eine ernsthafte und von Taktik freie Diskussion das ist, was die FDP in ihrer jetzigen Lage braucht; in einer Lage, die als desolat zu bezeichnen fast schon ein Euphemismus wäre.
Zettel



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