9. November 2011

Europas Krise (3): Europa von unten



Irgendwann im vorgeblichen Sommer diesen Jahres, im idyllisch öden oberen Leinetal, auf einer Radtour im kalten Nieselregen reifte mein Entschluß: In den Herbstferien muß noch eine Woche Mittelmeerurlaub sein, in der Sonne in einem schönen Restaurant sitzend aufs Meer schauen ...

Und so ging es dann im Oktober - ausgerechnet nach Mallorca. Eigentlich waren diverse andere Ziele angedacht. Aber da waren die Flüge schwierig oder die Quartiere ausgebucht oder unsere Terminwünsche paßten nicht. Und siehe, die Insel ist wirklich sehr schön, die Landschaft wunderbar, die Sehenswürdigkeiten sind beachtlich, die Restaurants hervorragend (wenn man umsichtig auswählt) und die Unterkunft gut und preiswert.

Nur mit einem kleinen Nachteil: Es war Oktober, und abends zwischen 19:00 und 24:00 Uhr ging 200 Meter weiter im großen Zelt die Post ab.

Man hätte meinen können, die Blasmusik würde direkt im Wohnzimmer stehen, so laut war die Verstärkeranlage im Zelt eingestellt. Die Abende verbrachten wir also nicht auf unserem Balkon mit Meerblick, sondern im Ort in diversen Restaurants. Auch gut.
Aber wie heißt es so schön in den USA: "If you can't beat 'em, join 'em".

Also gut, wenn schon Oktoberfest ist in Mallorca, dann gehen wir halt auch mal hin. Und tatsächlich, alles fast wie in München: 2000 Leute im Zelt, einige hundert davon tanzen auf den Tischen. Echtes Paulaner-Bier, nur in Maßkrügen, spanische Bedienungen in echten Dirndls. Die Musik etwas zu laut, aber eine witzige Mischung aus etwas Bayrischem, etwas Stimmungsmusik, vielen Rock-Oldies und internationalen Hits.

Das Publikum ist bunt gemischt, alle Altersgruppen sind dabei. Etwa die Hälfte sind Deutsche (incl. Schweizer und Österreicher, das läßt sich nicht unterscheiden) und Holländer. Das sind nämlich die, die diverse deutsche Refrains mitsingen können. Etwa ein Drittel Spanier, der Rest Briten, Franzosen, diverse andere Nationalitäten - die singen erst bei den international üblichen Hits mit. Erstaunlich viele Gäste (gerade auch bei den Nicht-Deutschen) haben irgendwelche Klamotten an, die entfernt als "bayrisch" durchgehen könnten.

Das Mitsingen deutscher Refrains verbessert sich im Laufe des Abends deutlich. Alle halbe Stunde wird die Erkennungshymne der Feier gespielt: "Ein Prosit der Gemütlichkeit" mit anschließendem "Oans, Zwoa, Gsuffa" mit allen Zusätzen, das Zelt zieht mit.
Einige Tische weiter eine Gruppe Briten. So betrunken, wie nur Briten sein können, kaum noch aktionsfähig. Aber alle halbe Stunde bekommen die ein so kerniges, präzises "Zickezacke, zickezacke, hoi, hoi, hoi" auf die Reihe, daß ein preußischer Feldwebel ins Schwärmen geraten würde.

Die Feier steigert meine Zuversicht in die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Nicht nur, daß alles perfekt organisiert ist.
Es zeigt sich auch, daß ein Produkt deutscher Wertarbeit wie die Bank einer Biergarnitur es locker aushält, wenn fünf stämmige spanische Muttis synchron "Rock around the Clock" darauf tanzen.
Und der Bandleader ist ein wahres Musterbeispiel für deutschen Arbeitsethos. Fünf Stunden voller Einsatz auf der Bühne - und während die Band zwischendurch Pause macht und abhängt, zieht der Chef unermüdlich von Tisch zu Tisch und trinkt den Leuten zu.

Also fast wie im echten Oktoberfest - aber ohne Randale oder schlechtem Benehmen. Die Maßkrüge sind ordentlich eingeschenkt und die Toiletten sauber. Wir haben den Abend genossen.

Jeden Tag braucht man das natürlich nicht. Also sind wir am nächsten Abend in eine Flamenco-Show gegangen. Das ist für Mallorca etwa so typisch wie Schuhplattler auf Helgoland - aber ich mag halt die Musik. Der hervorragende Vortänzer der Gruppe war für andalusische Verhältnisse auffallend großgewachsen. Ein Holländer.

R.A.



© R.A.. Für Kommentare bitte hier klicken. Abbildung: "Europa auf dem Stier" von Hendrik van Balen (1573 - 1632). Gemeinfrei, da das Copyright erloschen ist.