23. Juli 2009

Zitat des Tages: Worin sich britische Universitätsdozenten und Neonazis einig sind. Ein Blick auf Europa von jenseits des Atlantik

Never mind Iran's crackdown on peaceful protestors, China's killings of ethnic Uighurs or the epidemic murders of Kremlin critics. When it comes to Europe's bien pensants, the only country that really seems to engage their moral indignation is Israel. Calling for Israel to be sanctioned may be the one cause that unites British university lecturers and Scandinavian union activists with radical Islamists and neo-Nazis.

(Was kümmern sie das gewaltsame Vorgehen des Iran gegen friedlich Protestierende, die Morde der Chinesen an Angehörigen des Volks der Uiguren, die ständigen Ermordungen von Kritikern des Kreml. Bei den Gutmenschen in Europa ruft nur ein einziges Land wirklich moralische Entrüstung hervor - Israel. Die Forderung nach Sanktionen gegen Israel dürfte die einzige Sache sein, in der sich Dozenten britischer Universitäten und skandinavische Gewerkschafter mit radikalen Islamisten und Neonazis einig sind.)

Das Wall Street Journal gestern in einem Kommentar unter der Überschrift "Israel on their minds" (Sie denken nur an Israel).

Kommentar: Der Anlaß für dieses Editorial des WSJ ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg von vergangener Woche. Es weist die Klage des ehemaligen Bürgermeisters von Seclin in Frankreich, Jean- Claude Willem, ab, der von einem französischen Berufungsgericht zu einer Geldstrafe von 1000 Euro verurteilt worden war, weil er den Boykott von Waren aus Israel in seiner Gemeinde angekündigt hatte.

Seclin ist eine kleine Stadt in Nordfrankreich, in der Nähe von Lille nahe der belgischen Grenze. Also altes Industriegebiet. Die Stadt ist fest in kommunistischer Hand. Der jetzige Bürgermeister Bernard Debreu ist Kommunist, und ebenso ist es sein Vorgänger Jean- Claude Willem.

Dieser Bürgermeister Willem nun hatte am 3. Oktober 2002 in einer Sitzung des Stadtrats einen Boykott israelischer Waren verkündet; und zwar - wie er in einer späteren Erklärung erläuterte - als "Protest gegen die täglichen Massaker und Morde" an Palästinensern. Dies und alle sonstigen Details des Falles findet man im französischen Juristenblog Actualités du Droit beschrieben.

Die Staatsanwaltschaft leitete daraufhin ein Strafverfahren gegen Willem ein, das sich auf Diskriminationsverbote im französischen Recht stützte; eines davon in einem Gesetz, das bereits seit 1881 gilt.

Das erstinstanzliche Gericht in Lille sah die betreffenden Straftatbestände nicht als erfüllt an und sprach Willem frei. In zweiter Instanz wurde er vom Berufungsgericht in Douai zu einer Geldstrafe von 1000 Euro verurteilt.

Dagegen war er vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen, der die Entscheidung des Berufungsgerichts aber bestätigte (Entscheidung vom 16. Juli 2009, Az 10883). Willem habe nicht als Privatperson oder Politiker seine Meinung geäußert, sondern in seiner Funktion als Bürgermeister die Gemeinde Seclin auf einen Boykott festgelegt, der diskriminatorischen Charakter gehabt habe.



In Europa hat dieser Fall außerhalb Frankreichs kaum Aufmerksamkeit gefunden. Eine Google- Suche in deutschen WebSites liefert keinen einzigen Treffer. Das Wall Street Journal aber findet ihn wichtig genug, um ihm ein Editorial zu widmen; einen namentlich nicht gezeichneten Kommentar also, der die Meinung der Redaktion wiedergibt.

Woher diese Diskrepanz? Warum findet man in den USA etwas wichtig, das in Europa noch nicht einmal ein Achselzucken auslöst?

Was wohl jenseits des Atlantik überhaupt nicht verstanden wird, das ist die Einseitigkeit, mit der sich moralische Empörtheit gegen Israel richtet.

Man hat Vertändnis dafür, daß Israel kritisiert wird; warum nicht. Aber welche Gemeinde in Europa ruft zum Boykott russischer Waren auf, weil dort unter offensichtlicher Duldung, wenn nicht Förderung durch offizielle Stellen kritische Journalisten ermordet werden? Wo wird zum Boykott iranischer, cubanischer, syrischer, sudanesischer Waren aufgerufen, weil in diesen Ländern die Menschenrechte mit Füßen getreten werden?

Die unsäglichen Zustände in Darfur, in Simbabwe, im Sudan lassen das moralische Empfinden der meisten Europäer unberührt. Wenn aber Israel, um sich gegen ständige Aggressionen aus Gaza zu wehren, dort einmarschiert - dann auf einmal ist es hellwach, dieses Gewissen.

Am Schluß des Editorial schreiben die Autoren:
Laws against discrimination have their uses and abuses, and we would rather have seen Mr. Willem voted out of office than sanctioned by a court. But to the extent that the judges' ruling exposes the atavistic fixations of some Europeans with the Jewish state, it does the Continent a service.

Gesetze gegen Diskriminierung haben ihren Nutzen und ihre Nachteile, und uns wäre es lieber gewesen, wenn Willem abgewählt worden wäre, statt daß man ihn gerichtlich bestraft hat. Aber in dem Maß, in dem das Urteil dieser Richter die atavistischen Fixierungen einiger Europäer auf den Staat Israel offenlegt, tut es dem Kontinent einen Gefallen.
Daß die Bürger von Seclin ihren kommunistischen Bürgermeister abgewählt hätten, weil er sich gegen Israel geäußert hat, ist ein frommer Wunsch von jenseits des Atlantik. Ansonsten scheint mir diese Passage die Sache zu treffen.

Oder vielmehr: Sie würde die Sache treffen, wenn dieses "Offenlegen" von den Europäern überhaupt bemerkt worden wäre.



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