17. Juli 2009

Zettels Meckerecke: Pfeife und Zigarette - die neuen Genitalien? In Frankreich schlagen die Retoucheure zu

In Frankreich gab es in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts "Magazine" zu kaufen, in denen man viel Nacktes sehen konnte. Nur die Genitalien waren sorgsam retouchiert. Wo sie eigentlich hätten sein müssen, sah man nur eine verwaschene Fläche.

Daran habe ich mich erinnert gefühlt, als ich gestern im Nouvel Observateur diese Meldung gelesen habe:

Da hat der Parfumeur Christian Dior ein Foto von Alain Delon für seine Werbung benutzt. Freilich nicht das Original. Auf dem nämlich hielt Delon eine Zigarette in der Hand. Die hat man wegretouchiert. Jetzt sieht Delon so aus, als hielte er dem Betrachter einfach nur so seine Faust entgegen.

Kein Einzelfall. Im April wurde von einer noch groteskeren Retouche berichtet.

Sie betraf Jacques Tati, einen in den fünfziger und sechziger Jahren sehr geschätzten Regisseur, der grotesk- ironische Filme von hoher künstlerischer Qualität drehte. Sein Alter Ego war Monsieur Hulot, zu dessen Markenzeichen ein Hütchen und die Pfeife im Mund gehörten. Hier sehen Sie Monsieur Hulot.

Die Paris Cinemathèque nun veranstaltete eine Retrospektive zu Tati. Sie wollte dafür mit Plakaten unter anderem in der Pariser U-Bahn und S-Bahn werben. Mit Plakaten, auf denen natürlich Monsieur Hulot zu sehen war. Auf seinem Rad. Und natürlich mit Hütchen und Pfeife.

Und was machten die Pariser Verkehrsbetriebe? Sie ließen die Plakate retouchieren, bevor sie geklebt wurden. Was Monsieur Hulot im Mund hatte, das wurde statt des Kopfs der Pfeife mit einem gelben Gebilde versehen, so daß es aussieht, als hätte er eine Art Windrädchen zwischen den Lippen.

Die Vereinigungen der französischen Filmkritiker und der französischen Regisseure zeigten sich empört, aber die Verkehrsbetriebe blieben bei ihrer Zensur.



Gewiß, es gibt in Frankreich ein Gesetz (Loi Evin), das die Werbung für das Rauchen verbietet. Aber selbst der Urheber dieses Gesetzes, Claude Evin, fand das Vorgehen der Verkehrsbetriebe "lachhaft".

Aber so ist das nun einmal. Solche Gesetze sollen ja, wie ihre Befürworter immer wieder betonen, der Erziehung der Bürger dienen. Das Ergebnis sind erzogene Untertanen, die lieber auf Nummer sicher gehen.

Aus der einst vernünftigen Warnung vor den Gefahren des Rauchens ist längst die Errichtung eines Tabus geworden. Mit all dem Irrationalen, das ein Tabu umgibt.

Genau wie bei Sexualtabus. Was vor einem halben Jahrhundert die Genitalien waren, die unbedingt wegretouchiert werden mußten, das sind in unserer Zeit Pfeife, Zigarette, Zigarre.



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