16. Juli 2009

Marginalie: Noch einmal "Ermordung von Kaida-Kämpfern durch die CIA". Stratfor über die Vorgeschichte und die Hintergründe

Anfang der Woche ging eine Meldung durch die Presse, die "Spiegel- Online" so zusammenfaßte:
Wut im US-Kongress: Die Regierung Bush hat dem Parlament jahrelang ein Programm zur Gefangennahme und gezielten Tötung von al- Qaida- Mitgliedern verheimlicht. Obamas Justizminister ließ es sofort stoppen - jetzt gibt es Rufe, vor allem die Rolle von Ex- Vizepräsident Cheney in der Affäre aufzuklären.
Ich habe auf den Artikel damals nur in einer kleinen Glosse hingewiesen, die sich darauf bezog, daß in der Überschrift des Artikels Terroristen als "Kämpfer" und das Töten von Feinden in einem Krieg als "Ermorden" bezeichnet wurde.

Jetzt gibt es einen Anlaß, noch einmal auf das Thema zurückzukommen: Gestern ist im Nachrichtendienst Stratfor ein Artikel von Scott Stewart und Fred Burton erschienen, der die Vorgeschichte und die Hintergründe der Affäre analysiert und der zu einer ganz anderen Beurteilung kommt. Im folgenden stütze ich mich hauptsächlich auf diesen Artikel.



"Spiegel- Online" macht wieder einmal die Regierung Bush verantwortlich und erweckt den Eindruck, die Regierung Obama betreibe eine ganz andere Politik. Beides ist falsch.

Das gezielte Töten von Anführern der Kaida gehörte schon vor der Regierung Bush zur amerikanischen Politik. Begonnen hat damit die Regierung Clinton nach den Anschlägen auf amerikanische Ziele in Afrika im Jahr 1998. Allerdings war Clinton sich der politischen und juristischen Risiken bewußt; die Washington Post schilderte am 22. Februar 2004 das Hin und Her in der Regierung Clinton um die Formulierung des Auftrags, Bin Laden gezielt zu töten.

Nach dem Anschlag von 9/11 weitete die Regierung Bush dieses Programm aus, in dem sie durch Verfügung des Präsidenten auch das Töten von Anführern der Kaida außerhalb von Afghanistan erlaubte. Auch darüber wurde ausführlich in der Presse berichtet, zum Beispiel in der New York Times vom 15. Dezember 2002.

Auch unter Präsident Obama wurde dieses Programm unverändert fortgesetzt. Bereits im Wahlkampf 2008 hatte Obama gesagt, daß er dafür sei, Osama bin Laden gezielt zu töten.

Im laufenden Jahr hat es unter Obamas Präsidentschaft bisher allein in Pakistan mehr als zwei Dutzend solche Anschläge auf Führer der Kaida gegeben. Auch das ist keineswegs geheim, wie z.B. dieser Bericht der New York Times vom 16. Mai 2009 zeigt.

Fazit der Autoren:
This means that, regardless of who is in the White House, it is U.S. policy to go after individual al Qaeda members as well as the al Qaeda organization.

Das bedeutet, daß es unabhängig davon, wer im Weißen Haus ist, die Politik der USA ist, auf einzelne Mitglieder der Kaida ebenso Jagd zu machen wie auf die Organisation El Kaida.


Alles bekannt, alles in den Zeitungen gewesen. Wie also konnte der Kongreß nichts davon wissen? Nun, es geht in der jetzigen Debatte nicht um dieses Programm überhaupt, sondern um ein kleines Unterprogramm, von dem unklar ist, ob es überhaupt jemals in die Tat umgesetzt wurde.

Die der Öffentlicheit und natürlich auch dem Kongreß bekannten Anschläge wurden und werden aus der Luft durchgeführt. Es werden unbemannte Flugkörper (unmanned aerial vehicles, UAVs; auch Drohnen genannt) wie die MQ-1 Predator und die größere MQ-9 Reaper eingesetzt, aber auch Flugzeuge wie die AC-130, aus denen gezielt auf Führer der Kaida geschossen wird; wie beispielsweise im Mai 2008 in Somalia.

Die Besonderheit des Programms, das jetzt ins Feuer der Kritik geraten ist, besteht darin, daß Führer der Kaida auch durch Spezialkommandos, die am Boden operieren, getötet werden sollten. Solche Operationen sind außerordentlich risikoreich; für die beteiligten Soldaten, aber auch für die Regierung, die mit diplomatischen Verwicklungen rechnen muß, falls ein solcher Anschlag bekannt wird.

Es ist deshalb fraglich, ob es solche Einsätze überhaupt tatsächlich gegeben hat. Woher also die jetzige Aufregung?

Schon in dem Artikel, mit dem diese aktuelle Diskussion begann, wies das Wall Street Journal darauf hin, daß es seit langem eine Auseinandersetzung zwischen dem Kongreß und der Regierung über die Kontrolle des CIA gibt. Dazu gehört, daß der Kongreß auf sein Recht pocht, über alle Programme des CIA informiert zu werden; in Form von Mitteilungen an die zuständigen Ausschüsse.

Am 23. Juni nun erfuhr der Leiter des CIA, Leon Panetta - von Obama Anfang des Jahres in dieses Amt berufen - davon, daß dieses spezielle Programm, auch Spezialeinheiten für die Jagd auf führende Terroristen einzusetzen, dem Kongreß nicht mitgeteilt worden war. Panetta stoppte das Programm sofort und veranlaßte eine Sondersitzung des zuständigen Ausschusses, in dem er den Kongreß bereits am 24. Juni über den Sachverhalt in Kenntnis setzte.

Warum war der Kongreß nicht informiert worden? Die Stratfor- Autoren weisen darauf hin, daß solche Aktionen nur dann erfolgreich sein können, wenn sie unter äußerster Geheimhaltung stattfinden. Selbst im CIA war das Programm deshalb nur wenigen Eingeweihten bekannt.

Beim Kongreß hat es immer wieder undichte Stellen gegeben; geheime Informationen wurden Medien zugespielt. Es gab sogar einen offiziellen Bericht über solche Vorfälle.

Er war geheim - und wurde den Medien zugespielt.



Leon Panetta hingegen hat sich dafür entschieden, die Sache nicht intern zu bereinigen, sondern an die Große Glocke zu hängen. Eine für einen Geheimdienstmann etwas ungewöhnliche Entscheidung.

Nur ist Leon Panetta alles andere als ein Geheimdienstmann. Bevor ihn Präsident Obama in dieses Amt berief, war er in den Bereichen Bürgerrechte, Finanzpolitik und Umwelt engagiert. Mit Geheimdiensten hat er vor seiner Berufung zum obersten Geheimdienstler nie etwas zu tun gehabt.



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