Die Meldung ging gestern über die Ticker der Agenturen: Auf einer schottischen Insel namens Hirta schrumpfen die Schafe.
Diese Meldung hat natürlich auch die Wissenschafts- Redaktion von "Welt- Online" erreicht. Und dort hat wer auch immer - der Artikel ist nicht namentlich gezeichnet - etwas dazu zusammengeschustert, das exemplarisch das Elend des deutschen Wissenschafts- Journalismus zeigt.
Nein, nicht des gesamten. Aber wie da mit Fakten umgesprungen wird, als seien sie ein leerer Wahn, das ist leider gar nicht untypisch für das, was man in den Wissenschafts- Rubriken unserer Medien serviert bekommt.
Dies schreibt der unbekannte Wissenschafts- Redakteur von "Welt- Online":
Was wirklich der Fall ist, erfährt man, wenn man die Pressemitteilung der Zeitschrift Science liest, in der die betreffende Untersuchung erschienen ist; wenn man deren Abstract zur Kenntnis nimmt und wenn man einen Blick in die Berichterstattung von Medien wirft, die eine Wissenschaftsredaktion haben, die diesen Namen verdient; zum Beispiel die New York Times oder Time Magazine.
Also, worum geht es?
Biologen, die sich für die Entwicklung von Populationen interessieren, nehmen sich gern eine Insel zum Studienobjekt. Dort sind die Populationen oft isoliert; es gibt wenige Veränderungen; man hat sozusagen Laborbedingungen vor sich, wie es sie sonst in der biologischen Feldforschung nur selten gibt.
Die Insel Hirta ist ein solches Beispiel. Dort findet man die Soay- Schafe; ursprünglich Haustiere, die aber, seit sie 1932 nach Hirta kamen, dort wild leben, ohne sich seither mit anderen Schafen gekreuzt zu haben. Nahezu die gesamte dortige Vegetation dient ihnen zur Nahrung. Also ein schön abgeschlossenes Biotop, wie es der Populationenforscher schätzt.
Das Durchschnittsgewicht dieser Schafe nun nimmt ab; darauf wurde man erstmals 2007 aufmerksam. Anhand vorliegender älterer Daten konnte man zurückrechnen, daß diese Veränderung seit mindestens 1985 im Gang ist und von damals bis heute dazu geführt hat, daß die Tiere im Schnitt 5 Prozent an Gewicht verloren haben.
Was ist daran nun wissenschaftlich interessant? Eine solche Veränderung kann im Prinzip zwei Ursachen haben:
Es kann sich um eine evolutionäre Veränderung handeln, also eine Veränderung im Genom (im gesamten Genmaterial) der betreffenden Population. Die Biologen nennen das eine Veränderung im Genotyp.
Es könnte aber auch sein, daß sich am Genmaterial nichts oder nur wenig geändert hat und daß lediglich innerhalb der Variationsbreite, die es in jeder Population gibt, bestimmte Individuen bessere Bedingungen hatten, sich fortzupflanzen. Dann ändert sich der Phänotyp, während der Genotyp unverändert bleiben kann.
Man kann sich das am Beispiel des Vogelflugs und der Ziegen auf Fuerteventura klarmachen: Zugvögel können innerhalb weniger Jahre ihre Flugroute ändern. Dabei verändert sich nichts in ihrem Genmaterial. Sondern dieses läßt verschiedene Flugstrecken zu - so, wie die Ziegen auf Fuerteventura mal schwarz, mal weiß, mal weißbraun gescheckt sind.
Diese Variationsbreite bewirkt, daß eine Ziegenherde sich optisch perfekt der dortigen Landschaft aus trockener, vielfarbiger Erde und Geröll anpaßt.
Eine solche Variantionsbreite gibt es auch bei Zugvögeln: Einige sind schon immer die eine Route geflogen, andere eine davon verschiedene. Wird nun eine Route günstiger, z.B. aufgrund klimatischer Änderungen, dann überleben mehr von denjenigen Individuen, die diese Route bevorzugen; und innerhalb weniger Generationen fliegt die ganze Vogelschar so.
Am Genom hat sich aber nichts geändert. Es ist eben von Vorteil, wenn die Tiere, die einen Genpool gemeinsam haben, doch individuell verschieden ausfallen; ob es Ziegen sind oder Zugvögel.
Oder Schafe? Das war die Forschungsfrage des Teams um den Biologen Tim Coulson vom Imperial College London. Mit Hilfe mathematischer Modelle versuchte man abzuschätzen, welcher der beiden Mechanismen den Gewichtsverlust der Schafe auf Hirta bewirkt hatte - eine Änderung des Genotyps oder nur eine Verschiebung im Phänotyp?
Das Ergebnis war, daß sich vermutlich genetisch wenig verändert hat, aber die veränderten Klimabedingungen - kürzere, weniger kalte Winter - dazu geführt haben, daß auch Schafe den Winter überleben können, die sich ein weniger dickes Speckpolster angefressen haben.
Weiter vermuten die Forscher, daß unter den veränderten klimatischen Bedingungen Schafe früher gebären; damit kleinere Nachkommen zur Welt bringen. Genetische Veränderungen könnten, so die Autoren, beteiligt sein, scheinen aber "wenig von beobachteten Veränderungen zu erklären".
Sie fragen, lieber Leser, wo denn das Meckern bleibt? Gemach, es kommt jetzt.
Der Autor von "Welt-Online" schreibt: "Der Klimawandel lässt schottische Schafe schrumpfen. Diese Beobachtung britischer Forscher ...". Nein, das ist keine Beobachtung, in keiner Weise. Die Beobachtung ist der Gewichtsverlust. Daß dieser auf den Klimawandel zurückgeht, ist eine Hypothese, die richtig sein kann oder auch falsch. Eine alternative Erklärung ist zum Beispiel, daß sich das Nahrungsangebot auf Hirta verändert hat, so daß die Tiere sich weniger gut mästen können.
In den Naturwissenschaften lernen Studenten im ersten Semester, daß man zwischen Beobachtungen und Hypothesen streng zu trennen hat. Beobachtungen müssen beispielsweise repliziert werden können; also von anderen Forschern bestätigt. An Hypothesen (und Theorien) werden ganz andere Anforderungen gestellt.
Der Autor von "Welt-Online" schreibt sodann: "Diese Beobachtung britischer Forscher widerspricht der klassischen Evolutionslehre."
Völliger Unsinn. Der Autor hat nichts, aber auch gar nichts verstanden. Es ging in dieser Untersuchung darum, ob in diesem konkreten Fall Evolution stattfindet, oder ob es sich um nichtgenetische Änderungen handelt. Die Hypothese von Tim Coulson und seinem Team widerspricht der Evolutionstheorie ungefähr so sehr, wie der Umstand, daß Vögel und Flugzeuge fliegen, dem Gravitationsgesetz widerspricht.
Nicht wahr, wenn ein Wissenschaftsredakteur einer der großen deutschen Tageszeitungen einen solchen Unsinn verzapft, den man keinem Erstsemester durchgehen lassen würde - dann ist das schon eine Meckerei wert. Und zwar eine laute. Und wenn er sich den Unsinn gar nicht selbst ausgedacht, sondern ihn von einer Agentur übernommen haben sollte, dann macht das die Sache keinen Deut besser.
Diese Meldung hat natürlich auch die Wissenschafts- Redaktion von "Welt- Online" erreicht. Und dort hat wer auch immer - der Artikel ist nicht namentlich gezeichnet - etwas dazu zusammengeschustert, das exemplarisch das Elend des deutschen Wissenschafts- Journalismus zeigt.
Nein, nicht des gesamten. Aber wie da mit Fakten umgesprungen wird, als seien sie ein leerer Wahn, das ist leider gar nicht untypisch für das, was man in den Wissenschafts- Rubriken unserer Medien serviert bekommt.
Dies schreibt der unbekannte Wissenschafts- Redakteur von "Welt- Online":
Der Klimawandel lässt schottische Schafe schrumpfen. Diese Beobachtung britischer Forscher widerspricht der klassischen Evolutionslehre und veranschaulicht gleichzeitig die komplexen Auswirkungen der Erderwärmung.Daran stimmt fast nichts.
Was wirklich der Fall ist, erfährt man, wenn man die Pressemitteilung der Zeitschrift Science liest, in der die betreffende Untersuchung erschienen ist; wenn man deren Abstract zur Kenntnis nimmt und wenn man einen Blick in die Berichterstattung von Medien wirft, die eine Wissenschaftsredaktion haben, die diesen Namen verdient; zum Beispiel die New York Times oder Time Magazine.
Also, worum geht es?
Biologen, die sich für die Entwicklung von Populationen interessieren, nehmen sich gern eine Insel zum Studienobjekt. Dort sind die Populationen oft isoliert; es gibt wenige Veränderungen; man hat sozusagen Laborbedingungen vor sich, wie es sie sonst in der biologischen Feldforschung nur selten gibt.
Die Insel Hirta ist ein solches Beispiel. Dort findet man die Soay- Schafe; ursprünglich Haustiere, die aber, seit sie 1932 nach Hirta kamen, dort wild leben, ohne sich seither mit anderen Schafen gekreuzt zu haben. Nahezu die gesamte dortige Vegetation dient ihnen zur Nahrung. Also ein schön abgeschlossenes Biotop, wie es der Populationenforscher schätzt.
Das Durchschnittsgewicht dieser Schafe nun nimmt ab; darauf wurde man erstmals 2007 aufmerksam. Anhand vorliegender älterer Daten konnte man zurückrechnen, daß diese Veränderung seit mindestens 1985 im Gang ist und von damals bis heute dazu geführt hat, daß die Tiere im Schnitt 5 Prozent an Gewicht verloren haben.
Was ist daran nun wissenschaftlich interessant? Eine solche Veränderung kann im Prinzip zwei Ursachen haben:
Es kann sich um eine evolutionäre Veränderung handeln, also eine Veränderung im Genom (im gesamten Genmaterial) der betreffenden Population. Die Biologen nennen das eine Veränderung im Genotyp.
Es könnte aber auch sein, daß sich am Genmaterial nichts oder nur wenig geändert hat und daß lediglich innerhalb der Variationsbreite, die es in jeder Population gibt, bestimmte Individuen bessere Bedingungen hatten, sich fortzupflanzen. Dann ändert sich der Phänotyp, während der Genotyp unverändert bleiben kann.
Man kann sich das am Beispiel des Vogelflugs und der Ziegen auf Fuerteventura klarmachen: Zugvögel können innerhalb weniger Jahre ihre Flugroute ändern. Dabei verändert sich nichts in ihrem Genmaterial. Sondern dieses läßt verschiedene Flugstrecken zu - so, wie die Ziegen auf Fuerteventura mal schwarz, mal weiß, mal weißbraun gescheckt sind.
Diese Variationsbreite bewirkt, daß eine Ziegenherde sich optisch perfekt der dortigen Landschaft aus trockener, vielfarbiger Erde und Geröll anpaßt.
Eine solche Variantionsbreite gibt es auch bei Zugvögeln: Einige sind schon immer die eine Route geflogen, andere eine davon verschiedene. Wird nun eine Route günstiger, z.B. aufgrund klimatischer Änderungen, dann überleben mehr von denjenigen Individuen, die diese Route bevorzugen; und innerhalb weniger Generationen fliegt die ganze Vogelschar so.
Am Genom hat sich aber nichts geändert. Es ist eben von Vorteil, wenn die Tiere, die einen Genpool gemeinsam haben, doch individuell verschieden ausfallen; ob es Ziegen sind oder Zugvögel.
Oder Schafe? Das war die Forschungsfrage des Teams um den Biologen Tim Coulson vom Imperial College London. Mit Hilfe mathematischer Modelle versuchte man abzuschätzen, welcher der beiden Mechanismen den Gewichtsverlust der Schafe auf Hirta bewirkt hatte - eine Änderung des Genotyps oder nur eine Verschiebung im Phänotyp?
Das Ergebnis war, daß sich vermutlich genetisch wenig verändert hat, aber die veränderten Klimabedingungen - kürzere, weniger kalte Winter - dazu geführt haben, daß auch Schafe den Winter überleben können, die sich ein weniger dickes Speckpolster angefressen haben.
Weiter vermuten die Forscher, daß unter den veränderten klimatischen Bedingungen Schafe früher gebären; damit kleinere Nachkommen zur Welt bringen. Genetische Veränderungen könnten, so die Autoren, beteiligt sein, scheinen aber "wenig von beobachteten Veränderungen zu erklären".
Sie fragen, lieber Leser, wo denn das Meckern bleibt? Gemach, es kommt jetzt.
Der Autor von "Welt-Online" schreibt: "Der Klimawandel lässt schottische Schafe schrumpfen. Diese Beobachtung britischer Forscher ...". Nein, das ist keine Beobachtung, in keiner Weise. Die Beobachtung ist der Gewichtsverlust. Daß dieser auf den Klimawandel zurückgeht, ist eine Hypothese, die richtig sein kann oder auch falsch. Eine alternative Erklärung ist zum Beispiel, daß sich das Nahrungsangebot auf Hirta verändert hat, so daß die Tiere sich weniger gut mästen können.
In den Naturwissenschaften lernen Studenten im ersten Semester, daß man zwischen Beobachtungen und Hypothesen streng zu trennen hat. Beobachtungen müssen beispielsweise repliziert werden können; also von anderen Forschern bestätigt. An Hypothesen (und Theorien) werden ganz andere Anforderungen gestellt.
Der Autor von "Welt-Online" schreibt sodann: "Diese Beobachtung britischer Forscher widerspricht der klassischen Evolutionslehre."
Völliger Unsinn. Der Autor hat nichts, aber auch gar nichts verstanden. Es ging in dieser Untersuchung darum, ob in diesem konkreten Fall Evolution stattfindet, oder ob es sich um nichtgenetische Änderungen handelt. Die Hypothese von Tim Coulson und seinem Team widerspricht der Evolutionstheorie ungefähr so sehr, wie der Umstand, daß Vögel und Flugzeuge fliegen, dem Gravitationsgesetz widerspricht.
Nicht wahr, wenn ein Wissenschaftsredakteur einer der großen deutschen Tageszeitungen einen solchen Unsinn verzapft, den man keinem Erstsemester durchgehen lassen würde - dann ist das schon eine Meckerei wert. Und zwar eine laute. Und wenn er sich den Unsinn gar nicht selbst ausgedacht, sondern ihn von einer Agentur übernommen haben sollte, dann macht das die Sache keinen Deut besser.
Für Kommentare bitte hier klicken.